Zwei Jahre nach ihrem Start steckt die Ampelkoalition in der tiefsten ihrer zahlreichen Krisen. Muss sie trotzdem weitermachen? Oder ist es Zeit für Neuwahlen?

Dieser Meinungsbeitrag stellt die Sicht von Marie-Christine Fischer und Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Finanzplanung der Bundesregierung gesprengt. Ihr fehlen Milliarden – und damit der Kitt, der SPD, Grüne und FDP bislang zusammengehalten hat. Hat die Ampelkoalition nach vielen Streiten und Krisen noch eine Zukunft? Zwei unterschiedliche Meinungen aus unserer Redaktion.

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Pro: Die Ampel muss weitermachen, Neuwahlen würden dem Land nicht nützen

Von Marie-Christine Fischer

Keine Frage: Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat der Ampelkoalition den Boden unter den Füßen weggezogen. Das muss aber nicht heißen, dass sie, um im Bild zu bleiben, nicht wieder Land gewinnen kann.

SPD, Grüne und FDP haben in den vergangenen zwei Jahren nach außen schon oft ein mieses Bild abgegeben. Es wurde gezankt und gespottet - und am Ende doch zusammengearbeitet. So auch jetzt.

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat seine Reise zur Klimakonferenz vertagt, um in Berlin an einem Ausweg aus der Haushaltsmisere basteln zu können und betont, die Koalitionäre kämen in ihren Gesprächen "gut voran" - auch wenn es dieses Jahr nichts mehr wird. 17 Milliarden Euro fehlen laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) für 2024. Das ist natürlich eine Stange Geld, im Vergleich zu so einem Gesamtetat (2023 waren es 476 Milliarden Euro) aber auch kein völlig abwegiges Sparziel.

Oppositionsführer Friedrich Merz versucht, die Krise der Ampel auszuschlachten und ruft nach Neuwahlen. Was er freilich nicht betont, ist, dass eine andere Regierung auch nicht mehr Geld zur Verfügung hätte. Und, dass die Wählerinnen und Wähler in puncto Neuwahl unentschieden sind. Je nach Umfrage ist mal eine knappe Mehrheit für einen vorgezogenen Urnengang, mal dagegen.

Das sind ähnliche Werte wie im Juni 2010. Damals war die schwarz-gelbe Bundesregierung an einem Tiefpunkt. Sie stritt - Überraschung - über ein Sparpaket. Die Koalitionäre machten sich Komplimente wie "Gurkentruppe" und "Wildsau". Aber Neuwahlen forderte Friedrich Merz nicht.

Die große Mehrheit der Anhänger von SPD und Grünen wollen, dass die Koalition weitermacht, auch das zeigen Umfragen. Für das Ende der Ampel plädieren in erster Linie jene, die sie nie wollten, was der Forderung nicht gerade Wumms verleiht. Am stärksten liebäugeln AfD-Sympathisanten mit Neuwahlen. Kein Wunder, könnte die Rechtsaußenpartei ihren Stimmanteil im Vergleich zum Ergebnis der letzten Bundestagswahl doch womöglich verdoppeln.

Die Ampel-Parteien sollten sich jetzt zusammenraufen. Kompromissbereitschaft ist vor allem von Seiten der FDP gefragt. Schließlich war sie nicht nur von Anfang an der kleinste Partner, sondern könnte nach Neuwahlen sogar aus dem Bundestag fliegen.

Contra: Eine so zerstrittene Koalition gibt dem Land keine Orientierung

Von Fabian Busch

Um es in einer abgewandelten Redewendung zu sagen: Man soll aufhören, wenn es am schlimmsten ist. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Ampelkoalition an einem neuen Tiefpunkt angekommen: Ihre Finanzplanung liegt in Scherben, ein Ausweg ist nicht absehbar. Die drei Parteien würden dem Land einen Dienst erweisen, wenn sie ihr Bündnis beenden. Denn die Fortschritts- ist zur Stillstandskoalition geworden.

Das Bündnis hatte von Anfang an einen Konstruktionsfehler. Einerseits haben SPD und Grüne im Koalitionsvertrag zahlreiche soziale und ökologische Projekte durchgesetzt. Projekte, die sinnvoll, aber auch teuer sind: Bürgergeld, höherer Mindestlohn, Kindergrundsicherung, grüne Transformation der Industrie, Wärmewende, artgerechtere Tierhaltung und vieles mehr. Die Handschrift der FDP bestand andererseits aus roten Linien in der Finanzierung: keine zusätzlichen Schulden, keine höheren Steuern.

Kurz gesagt: Alles muss sich ändern – aber es darf nichts kosten. Das konnte nicht funktionieren.

Der russische Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen für Preise, Konjunktur und Energieversorgung – das alles ist nicht die Schuld der Bundesregierung. Aber diese Ereignisse haben die inneren Widersprüche der Koalition nur weiter verschärft. Die Grünen halten an – im Grunde sinnvollen – Transformationsplänen fest, obwohl die Gesellschaft ermüdet ist von Krisen und Veränderungen. Die FDP beharrt auf ihrer knauserigen Finanzpolitik, obwohl das Land ohne massive Investitionen seine Zukunft verspielt.

Das Land bräuchte jetzt Orientierung, die die drei Parteien zusammen nicht mehr bieten können: Die Grünen weisen in die eine Richtung, die FDP in die andere – und bei der SPD und ihrem Kanzler weiß niemand so genau, wo sie eigentlich hinwollen.

Was wäre die Alternative? Am ehesten eine große Koalition. Zugegeben, das klingt nach Stillstand. Aber still steht das Land auch jetzt mit der Ampel.

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