Deutschlands Rolle bei der Bekämpfung der Terrorgruppe Islamischer Staat beschränkt sich auf die Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis der Nato. Luftschläge und Bodentruppen werden vermieden. Aber wie lange noch?

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Sturmgewehre und eine Handvoll Soldaten reichen nicht. So lautete im vergangenen Herbst die Kritik am Engagement der Bundesregierung im Kampf gegen den Islamischen Staat. "Ich will den Beitrag nicht kleinreden, aber der Einfluss ist doch bescheiden", sagte Markus Kaim, Sicherheitsexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zu Beginn des deutschen Einsatzes im Nordirak.

Bisher wurden deutsche Panzerabwehr-und Kleinfeuerwaffen an die Peschmerga, die offiziellen Streitkräfte in der Autonomen Region Kurdistan im Irak, geliefert. Die Ausbilder der Bundeswehr haben ihr Wissen zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung weitergegeben. Auch Spähfahrzeuge und Helikopter sind bereitgestellt worden. Eine Luftraumüberwachung durch bewaffnete Tornados aus Deutschland schließt die deutsche Regierung derzeit ausdrücklich aus.

Deutschland zieht nicht in den Krieg

Ob das fehlende UN-Mandat eine Erklärung für die deutsche Zurückhaltung ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die Regierungsposition ist eindeutig: Deutschlands Rolle besteht in der Herbeiführung einer politischen, nicht einer militärischen Lösung. Damit bleiben Luftschläge weiterhin hauptsächlich den USA, Großbritannien und Frankreich überlassen.

Mit der erneuten Einberufung eines Sondertreffens der Nato-Partner durch das Mitglied Türkei könnte der Druck auf Deutschland jedoch wachsen. Bereits zum vierten Mal in zwölf Jahren hat die Regierung in Ankara Artikel 4 des Nato-Vertrags angewendet. Darin heißt es, dass sich die Bündnispartner beraten müssen, wenn ein Mitglied meint, dass die Unversehrtheit des eigenen Territoriums, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit in Gefahr ist.

Von Artikel 4 zu dem in Artikel 5 beschriebenen Bündnisfall ist es im Zweifel nicht mehr weit. Wenn, wie nach den Anschlägen vom 11. September 2011, der Bündnisfall erklärt wird, sind alle Nato-Mitglieder zum Beistand für ein angegriffenes Partnerland verpflichtet. Deutschland müsste also der Türkei zu Hilfe kommen, die sich durch den Konflikt im Nachbarland Syrien zunehmend bedroht sieht. Wie diese Hilfe konkret aussehen soll, lässt Artikel 5 dagegen offen.

Harte Probe für die Nato

Dass es bald eine Resolution des Sicherheitsrats der UN geben könnte, der ein internationales militärisches Eingreifen völkerrechtlich legitimieren würde, hält Nahost-Expertin Petra Becker von der SWP für unwahrscheinlich. "Das würde die deutsche Regierung sicherlich nicht mittragen", glaubt Becker.

Unwahrscheinlich ist eine gemeinsame Erklärung, mit der eine mögliche Selbstverpflichtung Berlins einhergehen könnte, auch deshalb, weil sich im Vergleich zu den letzten beiden Nato-Sondergipfeln nach Artikel 4 im Jahr 2012 wenig geändert hat. Damals wie heute gingen dem Ruf aus Ankara offiziell Angriffe durch IS-Kämpfer an der syrisch-türkischen Grenze voraus.

Becker vermutet allerdings einen anderen Hintergrund für das jetzt einberufene Treffen. "Ankara will, dass die Nato sich auf seine Seite stellt, um einen kurdischen Staat zu verhindern." Deshalb würde die Türkei den Kampf gegen den IS mit dem Kampf gegen syrische Ableger der kurdischen Arbeiterpartei PKK verbinden. Ob Kurde oder Islamist – für Recep Tayyip Erdoğan sind beide Terroristen. "Der Konflikt mit dem IS spielt der Türkei deshalb momentan in die Hände", so Becker.

Bündnisfall ist unwahrscheinlich

Der früherer Nato-General und ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat gab bereits letztes Jahr zu bedenken: "Sollten türkische Truppen ohne syrisches Einverständnis und ohne UN-Mandat in Syrien agieren und dabei angegriffen werden, kann das niemals ein Bündnisfall sein."

In Washington hat man sich indessen damit abgefunden, dass die Auseinandersetzung mit dem IS so schnell kein Ende nehmen wird. Umso deutlicher werden die Forderungen, dass sich auch Europa bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors in Nahost einbringt. Doch die Bildung einer Eingreiftruppe unter deutscher Beteiligung, "die diese terroristische Bedrohung aktiv zerstören will und zerstören kann", wie US-Außenminister John Kerry es einmal formulierte, scheint in weiter Ferne.

Berlin engagiert sich – auf seine Weise

"Es macht keinen Sinn, wenn neben einem Dutzend anderer Länder auch Deutschland bei Luftangriffen mitmacht", kommentierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier zuletzt den Status Quo. Was Deutschland im aktuellen Konflikt tun will und kann, hat Berlin bereits beantwortet: Laut kurdischen Angaben sind zahlreiche verletzte Anhänger der offiziellen Peschmerga-Streitkräfte im Irak nach Deutschland ausgeflogen worden, um hier behandelt zu werden. Deutschland ist also nicht gegen den Krieg, eine Beteiligung an Kampfhandlungen kommt aber nur indirekt in Frage.

Auch Becker zweifelt an der Dringlichkeit eines deutschen Militäreinsatzes. Die Allianz müsse sich eine Gesamtstrategie für die Region überlegen. "Luftschläge gegen den IS führen nirgendwo hin, wenn nicht gleichzeitig an einer grundsätzlichen Befriedung gearbeitet wird."

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