Unter den Kapitolstürmern gilt sie als Richterin Gnadenlos. Reihenweise verhängt sie harte Gefängnisstrafen gegen Trump-Anhänger. Nun hat sensationell ein Los entschieden, dass ausgerechnet Tanya Chutkan auch über den Ex-Präsidenten richten wird. Für Donald Trump hätte es nicht schlimmer kommen können.
Der Prozess gegen den früheren US-Präsidenten
In der Anklageschrift werden Trump vier Anklagepunkte zur Last gelegt, darunter Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten. Im Fall einer Verurteilung könnte ihm eine lange Haftstrafe drohen. Am "Super Tuesday" finden in 16 der 50 US-Staaten Vorwahlen zur Kür des Präsidentschaftskandidaten statt, darunter in den bevölkerungsreichen Staaten Texas und Kalifornien.
Tanya Chutkan, die Frau die Trump fürchtet
Tatsächlich hat Trump vor Tanya Chutkan aus guten Gründen Angst. Die 61 Jahre alte Bundesrichterin in Washington gilt als knallharte Juristin und Trump-Kritikerin. Sie sieht den Kapitolsturm der Trumpisten als einen organisierten Putschversuch an, dem der Rechtsstaat mit aller Härte entgegentreten muss. Und so hat sie persönlich schon 38 Kapitolstürmer zu harten Gefängnisstrafen verurteilt. Sie schickte die Trumpisten sogar ins Gefängnis, wenn nicht einmal die Staatsanwälte das gefordert hatten. Die Mutter zweier Söhne gilt seither für die einen als zuchtmeisternde Heldin der Demokratie, für andere als Scharfrichterin
Vor zwei Jahren brachte Chutkan Donald Trump die erste schwere juristische Niederlage bei: "Präsidenten sind keine Könige. Und der Angeklagte ist kein Präsident." Mit diesen pathetischen Worten schmetterte sie damals Trumps Beschwerde ab.
Der Ex-Präsident wollte 2021 unbedingt verhindern, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss brisante White-House-Dokumente aus den wilden Tagen des Regierungswechsels erhält. Trumps Notizen, E-Mails, Kalendereinträge, Anrufprotokolle, Fotos, Briefe: Chutkan ließ das Parlament alles einsehen, was Trumps Rolle als Anstifter des Sturms auf das US-Kapitol vom 6. Januar 2021 verraten könnte. Der Kongress konnte daraufhin den Putschversuch detailliert aufarbeiten und empfahl schließlich, den ehemaligen Präsidenten anzuklagen.
Los-Unglück für Donald Trump
Heute liegt diese Anklage vor, und das Schicksal scheint Rache nehmen zu wollen an Trump. Denn ein Zufallsgenerator loste den historischen Fall ausgerechnet Tanya Chutkan zu. Für Trump hätte es nicht schlimmer kommen können, denn nun ist sein Risiko enorm gestiegen, ebenfalls im Gefängnis zu landen. Trumps Verteidiger versuchen daher, Chutkan zu diskreditieren und als eine politische Marionette eines abgekarteten Verfahrens darzustellen.
Unter Trump-Gefolgsleuten wird eifrig verbreitet, dass die in Jamaika geborene Chutkan gar keine echte Amerikanerin sei, dass sie von den beiden demokratischen Präsenten
Chutkan spendete 2008 und 2009 - nach einem Bericht von Newsweek - 1.500 Dollar an Barack Obamas Wahlkampf. Newsweek kommentiert diesen Umstand so: "Chutkans Spenden an die Demokraten werden in Republikaner-Kreisen natürlich zu einem politischen Spielball werden. Es wird in eine breitere Erzählung einfließen, dass diese ganze Anklage nichts weiter als eine politische Intrige sei, um Trump zu stürzen, von oben bis unten von Biden-Agenten orchestriert."
Chutkan führt eines der wichtigsten Verfahren der US-Geschichte
Entgegen rechter Konspirationsthesen ist Chutkan selbstverständlich Amerikanerin. Sie wurde als Arzttochter in Kingston, Jamaika, geboren und kam als Teenager in die USA, um an der George Washington University und anschließend an der University of Pennsylvania Jura zu studieren. Sie nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an und verbrachte mehr als zehn Jahre als Pflichtverteidigerin in Washington. Später arbeitete sie für die Anwaltskanzlei Boies Schiller & Flexner, bevor sie 2014 als Bundesrichterin in Washington bestätigt wurde.
Nun führt sie eines der wichtigsten Verfahren der amerikanischen Geschichte. Es geht um die Vorwürfe einer Verschwörung zum Umsturz nach der Präsidentenwahl. Mehr als 1.000 Kapitolstürmer haben die amerikanischen Strafverfolger inzwischen vor Gericht gestellt, etwa 500 wurden bereits verurteilt, gut 300 erhielten Gefängnisstrafen. Nun steht mit Trump der politische Anführer der Bewegung vor Gericht. Seine Unterstützer sagen, es sei kein Putschversuch gewesen, Trump habe keine aktive Rolle beim Kapitolsturm gespielt und vielmehr zu Ruhe und Rückzug aufgefordert.
Richterin Chutkan hat wiederholt klar gemacht, dass sie das anders sieht. "Das war ein gewaltsamer Versuch eines Staatsstreichs", sagte sie in einem der Prozesse: "Und er war beinahe erfolgreich."
Chutkan sieht die Gefahr eines Staatsstreichs durch Trump immer noch für groß an. In einer ihrer Urteilsbegründungen sagte sie: "Ich muss klarstellen, dass sich die Handlungen, an denen Sie beteiligt waren, nicht wiederholen dürfen. Jeden Tag hören wir von Berichten über antidemokratische Gruppierungen, die Gewalt planen, die potenzielle Gefahr von Gewalt im Jahr 2024."
Trump will Wahlkampf auch nach Verurteilung fortsetzen
Im politischen Amerika wird nun heiß diskutiert, was ein Urteil oder gar eine Gefängnisstrafe für Trumps politische Karriere bedeuten würde? Kein ehemaliger Präsident wurde jemals inhaftiert. Rechtlich klar ist: Selbst wenn er verurteilt würde, stünde seiner Kandidatur für eine zweite Amtszeit nichts im Wege. Die US-Verfassung stellt nur drei Anforderungen an Präsidentschaftskandidaten: Sie müssen gebürtige amerikanische Staatsbürger, mindestens 35 Jahre alt sein und seit mindestens 14 Jahren im Land leben.
Was passiert, sollte Trump tatsächlich ins Gefängnis kommen? Theoretisch könnte er selbst dann von dort aus weiter Wahlkampf betreiben. Im Jahr 1920 erhielt Eugene V. Debs, ein Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei, fast eine Million Stimmen, während er eine Haftstrafe wegen Aufwiegelung verbüßte. Im Jahr 1992 führte der politische Aktivist Lyndon LaRouche einen Wahlkampf, während er wegen Betrugs im Gefängnis saß.
Trump selbst hat bereits geschworen, den Wahlkampf fortzusetzen, auch wenn er verurteilt werden sollte. "Ich werde nie aufgeben", sagte er in einem Interview mit der US-Tageszeitung "Politico" im Juni. Manche Leitartikler vermuten sogar, dass er es auf eine Verurteilung heimlich absehe. Denn dann könnte er bei seinen Anhängern einen Märtyrerstatus aufbauen - und sich im Falle eines Wahlsiegs selbst begnadigen, vor allem wenn die Prozesse noch laufen sollten. Trump dürfte daher auf Zeit spielen und mit der vermeintlichen Verfolgung Wahlkampf betreiben.
Unter führenden US-Juristen wird freilich noch etwas anderes intensiv diskutiert: ob im Falle Trump womöglich eine Klausel des 14. Zusatzartikels der US-Verfassung Anwendung finden könnte. Demnach kann eine Person, die der "Rebellion" oder des "Aufstandes" für schuldig befunden wurde, von der Kandidatur für das Präsidentenamt ausgeschlossen werden.
Die seit anderthalb Jahrhunderten völlig unbeachtete Regelung sollte nach dem Bürgerkrieg 1861-65 verhindern, dass Mitglieder der aufständischen Konföderation ins Weiße Haus einziehen. Nun könnte sie plötzlich wieder wichtig werden - falls Trump von Chutkan verurteilt würde. Das politische Schicksal Amerikas liegt ein Stück weit in ihren Händen.
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