Die Junge Union fordert eine Urwahl des Kanzlerkandidaten und greift damit Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer direkt an. Politikwissenschaftler Emanuel Richter analysiert die Kanzlerkandidatin, ihre potentiellen Gegner und die inoffizielle Rolle von Friedrich Merz.

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Die Junge Union hat sich mit einer Mehrheit von 61,4 Prozent auf ihrem Deutschlandtag dafür entschieden, beim kommenden Parteitag einen Antrag einzubringen, der die Urwahl des Kanzlerkandidaten fordert. Führt das zu Unruhe in der Partei?

Emanuel Richter: 61 Prozent für einen Urwahl-Antrag sind nicht besonders viel. Auch in der Jungen Union ist das Verfahren also umstritten. Ein Drive, dass die Mutterpartei an der Forderung "gar nicht mehr vorbeikommt", hat sich somit nicht entwickelt. Ich sehe die CDU deshalb nicht vor einer Urwahl ihres Kanzlerkandidaten.

Aber: Es war zu erwarten, dass die Junge Union progressiver als ihre Mutterpartei ist und sagt: "Was die anderen Parteien machen, das möchten wir auch." Ein Affront ist es allemal, weil der Antrag ein Misstrauensvotum gegen die eigene Parteichefin darstellt. Kramp-Karrenbauer ist als gesetzte Kanzlerkandidatin hochumstritten.

Wohl nicht nur deshalb ist es ein Affront: Vor der Abstimmung über den Antrag sprach außerdem Friedrich Merz. Formell ist er nur stellvertretender Vorsitzender des Wirtschaftsrates. Was ist er in der Union inoffiziell?

Gegenkandidat von Annegret Kramp-Karrenbauer und Vertreter des konservativen Flügels. Mit seiner Kompetenz in der Wirtschaftspolitik hat er außerdem ein klares Profil.

Bei AKK wissen viele nicht, wofür sie überhaupt steht. In ihrer Profilsuche hat sie erst gesagt, sie werde keine Ministerin, nun ist sie Verteidigungsministerin. Das haben ihr nicht alle in der Partei verziehen.

Trotzdem gilt: Auch wenn Merz den konservativen Gegenpol zu AKK bildet und es berechtigte Kritik an ihr gibt, braucht es am Ende vermutlich einen anderen Kandidaten, der Kanzler werden will.

Wieso?

Dass Kramp-Karrenbauer als Kanzlerkandidatin umstritten ist, steht fest. Die Parteichefin steht für eine Merkel-Nachfolge und damit zugespitzt für eine Sozialdemokratisierung der Union.

Der Gegenkandidat Merz steht zwar für das Konservative in der Union, aber am Ende wären beide nicht die Richtigen, wenn sie zu einseitige Tendenzen in der Union vertreten. Dann gäbe es einen lachenden Dritten.

Ehe Sie verraten, an wen Sie dabei denken, noch einmal zurück zur Urwahl: Auch die konservative Werte-Union will einen entsprechenden Antrag einbringen. Woher kommt auf einmal der Wunsch nach basisdemokratischen Elementen in der Union?

Man kann den Antrag auch als ultra-konservativen Impuls lesen. Nämlich dann, wenn man den Fokus auf den strategischen Hintergrund legt. Und der besteht darin, Merz nach vorne zu bringen.

Nichtsdestotrotz sind die jungen Parteimitglieder meist progressiver. Zudem haben viele Parteien – etwa Grüne und Piratenpartei - seit längerem ähnliche Verfahren, wenn es um die Auswahl für ein Spitzenamt geht.

Die SPD wurde für ihre sehr aufwändige Kandidatenkür zunächst belächelt, erzielt aber nun Achtungserfolge. Die Basis zu beteiligen, liegt also in der Luft und ist ein Stück Demokratisierung.

Der ehemalige JU-Vorsitzende Paul Ziemiak hat sich gegen ein Urwahl-Verfahren ausgesprochen. Er argumentiert, die Partei dürfe sich nicht zu viel mit sich selbst beschäftigen und verweist auf die SPD als Negativbeispiel. Ist das ein stichhaltiges Argument oder steckt etwas anderes dahinter?

Die Angst vor zu viel Selbstbeschäftigung ist tatsächlich da. Das Kandidatenschaulaufen der SPD ist in den vergangenen Wochen immer wieder ironisiert worden.

Regionalkonferenzen mit riesigem Aufwand und Kandidaten mit schwachen Mehrheiten wurden verlacht, auch wenn die Vorgänge in der Schlusskurve mehr und mehr Anerkennung finden und zeigen, dass kein innerparteiliches Zerfleischen stattfinden muss.

Allerdings ist die Alternative zur Urwahl auch kein Deal in Hinterzimmern, sondern ein Parteitag, auf welchem es auch kontroverse Diskussionen geben kann.

Wer Parteichef ist, wird nicht automatisch Kanzlerkandidat. Die Union hat in der Vergangenheit selbst immer Schwierigkeiten gehabt, ihren Kanzlerkandidaten zu finden und durchzusetzen.

Traditionell hat die Parteichefin das Vorrecht auf die Kanzlerkandidatur. Würde AKK auch bei einer Urwahl bestehen? In der Bevölkerung sind ihre Umfragewerte im Keller, 63 Prozent sehen AKK in einer aktuellen INSA-Umfrage mit dem Kanzleramt überfordert.

Vermutlich nicht im ersten Anlauf und nicht mit absoluter Mehrheit. AKK hat politisch-strategische und persönliche Schwächen gezeigt.

Sie tritt manchmal sehr unbeholfen auf, gerade auch was ihre Wortwahl anbelangt. Ihr fehlt das Coole und Gewiefte, was Merkel durchaus hatte.

Sie enttäuscht viele, weil sie von Merkel als angemessene Nachfolgerin aufgebaut wurde und in den Koalitionsverhandlungen noch eine relativ gute Figur als Vermittlerin zwischen den Flügeln machte, als amtierende Vorsitzende nun aber überfordert scheint.

Da bröckelt etwas ab. Das müsste eigentlich andersherum sein. Sie demontiert sich selbst durch Ungeschicklichkeiten, Beispiele sind die Karnevalsrede und die Reaktion auf den Rezo-Beitrag.

Stimmt es denn, dass AKK nicht konservativ genug ist?

Sozial- und familienpolitisch gibt sie sich durchaus konservativer als Merkel und erscheint mithin durchaus als Alternative zur "sozialdemokratisierten Kanzlerin". Andererseits pflegt sie einen Merkelschen Pragmatismus, der sie von "Hardlinern" wie Merz trennt.

Wer profitiert also von der aktuellen Situation?

Man sollte mit Armin Laschet rechnen. Die Publicity seiner Person und Politik ist raffiniert. Er wäre ein Kompromisskandidat im besseren Sinne.

Er kann sowohl das Konservativ-Katholische in der Union vertreten, als auch das Pragmatische – wie Merkel es tat – ohne dabei verbrannt zu sein.

Als Politiker mit Ministerpräsidentenerfahrung könnte er von den Flügelkämpfen profitieren. Ein Laschet-Aufstieg wäre wahrscheinlich, wenn die CDU ihn protegiert, um eine innerparteilich polarisierende Entscheidung zwischen Merz und AKK zu vermeiden.

Ein "Weiter So" verbietet sich für viele in der Partei. Muss die Union in anderer Form auf die Anträge reagieren, selbst wenn das Urwahl-Verfahren insgesamt keine Mehrheit findet?

Es wird definitiv Diskussionen im Präsidium geben und auf dem Parteitag muss sorgfältig Platz und Zeit reserviert werden, um die Kanzlerkandidatenfrage zu klären. Auffangen könnte man die Urwahlforderung mit einer Erweiterung des Kandidatenspektrums, wobei man im Vorfeld der Wahl wie beim Parteivorsitz eine Vorstellungsrunde macht. Dann wäre interessant, wer dabei ist.

Sind es Merz, Spahn und Kramp-Karrenbauer, oder ist Laschet schon dabei? Die CSU könnte dann auch jemanden ins Spiel bringen, allerdings hat Söder eine Kandidatur für sich schon ausgeschlossen.

Wäre mit der CSU eine Urwahl überhaupt machbar?

Es gäbe sicherlich Probleme, da sich die Parteien in einer Fraktionsgemeinschaft befinden und die CSU immer ein Mitspracherecht hat, gerade bei der Kanzlerkandidatur.

Mehrfach haben CSU-Leute als Kanzlerkandidat fungiert. Man hat mit einer solchen Urwahl keine Erfahrung und müsste in der CSU eigentlich gleichzeitig auch eine Urwahl abhalten. Es könnte gut sein, dass die CDU dann jemand anderen kürt als die CSU.

Prof. Dr. Emanuel Richter ist Professor für Politische Wissenschaft an der RWTH Aachen mit dem Schwerpunkt Politische Systeme und Comparative Politics. Zu seinen Fachgebieten gehören die Demokratietheorie und die vergleichende Systemforschung.

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