Anfang Januar besuchte der Bundeskanzler vom Hochwasser betroffene Gebiete in Sachsen-Anhalt. Extra zu PR-Zwecken seien dafür Asylsuchende angereist und andere Helfer vor Ort verdrängt worden, hieß es in sozialen Netzwerken. Doch das stimmt nicht, wie Verantwortliche vor Ort sagen.
Wegen des Hochwassers im Landkreis Mansfeld-Südharz besuchte Bundeskanzler
Dazu teilten einige ein kurzes Video, in dem eine Gruppe von Menschen in orangen Warnwesten hinter einem Gabelstapler mit Sandsäcken vorbeiläuft. Das Video, das sich tausendfach verbreitete, zeigt aber weder Olaf Scholz, noch entstand es in Oberröblingen.
Auch eine Sprachnachricht verbreitete sich mit der Behauptung. "Alles inszenierte Scheiße", sagt der Urheber darin, anderswo ist von "Propaganda für den Staatsfunk" oder "Verarsche" die Rede. Einige Politiker der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Thüringer AfD, wie Björn Höcke oder Jens Cotta, sowie der offizielle Instagram-Account der Bundespartei verbreiteten das Video mit und ohne Sprachnachricht weiter.
Einige freiwillige Helfer waren Asylsuchende und kamen zur Unterstützung nach Berga
CORRECTIV.Faktencheck erhielt auch via Whatsapp Hinweise auf die Sprachnachricht. Darin sagt der Urheber, die Asylsuchenden seien vom Landratsamt Nordhausen gebracht worden.
Jessica Piper von der Pressestelle des Landratsamts schrieb uns: "Der Landkreis Nordhausen hat unter Asylsuchenden einen freiwilligen Aufruf gestartet, wer in der aktuellen Hochwasserlage im benachbarten Mansfeld-Südharz unterstützen möchte. Daraufhin haben sich rund 20 freiwillige Helfer gemeldet." Das Unterstützungsangebot sei an die Gemeinde Berga gesandt worden, die für den 4. Januar um Hilfe bat.
Auch die Pressesprecherin des Landkreises Mansfeld-Südharz, Michaela Heilek, bestätigte, "dass 20 Asylbewerber aus dem Landkreis Nordhausen beim Sandsackbefüllen geholfen haben".
Am Nachmittag des 4. Januar besuchte Olaf Scholz Medienberichten zufolge den Bauhof in Berga, wo die zentrale Abfüllstation für Sandsäcke der Region war. Dort ist auch das Video entstanden, wie ein Vergleich mit Fotos der Freiwilligen Feuerwehr auf Facebook zeigt. Im Hintergrund ist in den Aufnahmen dasselbe Zelt der Marke 24MX zu erkennen und das Gebäude und die Hausnummer sind identisch.
Kein inszenierter Einsatz: Asylsuchende kamen erst nach Olaf Scholz an
Die Asylsuchenden seien jedoch erst auf dem Bauhof in Berga angekommen, nachdem der Kanzler abgereist sei, schrieb uns Piper. "Es handelte sich nicht um einen inszenierten Einsatz zu PR-Zwecken für den Kanzler, sondern um eine Unterstützung der Einsatzkräfte im Nachbarlandkreis." Das bestätigte auch die Sprecherin des Landkreises Mansfeld-Südharz.
Der Bürgermeister von Berga, Gunther Pabst, und der Landrat von Nordhausen, Matthias Jendricke, haben die Behauptungen auf Facebook ebenfalls zurückgewiesen. Der Stadtwehrleiter von Sangerhausen, Arno Kalina, bezeichnete die Behauptungen gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung ebenfalls als "Fakenews".
Laut zuständigem Landkreis wurden keine zivilen Helferinnen und Helfer weggeschickt
Anders als online behauptet, seien für die Ankunft der Asylsuchenden in Berga zudem keine zivilen Helferinnen und Helfer weggeschickt worden, schrieb uns die Sprecherin des Landkreises Mansfeld-Südharz.
Mehrere Anwohnerinnen und Anwohner sagten gegenüber dem MDR, dass in Oberröblingen einige zivile Helfer weggeschickt worden seien. Der Grund war aber laut MDR nicht die Ankunft von Asylsuchenden, sondern Sicherheitsvorkehrungen für den Besuch des Kanzlers. Der Landkreis dementierte auch dies auf Facebook: Zivile Helfer müssten im Einzelfall mit Wartezeiten rechnen, sie würden wegen des Kanzlerbesuchs aber weder zurückgezogen noch ignoriert.
Freiwillige Feuerwehr Berga: "Hier versuchen Menschen, Stimmung zu machen"
Die Freiwillige Feuerwehr in Berga verwies uns auf Anfrage auf den Bericht der Mitteldeutschen Zeitung. Jörg Hoffmann, Leiter der Freiwilligen Feuerwehr Berga, sagte darin: "Das stimmt alles überhaupt nicht". Die Asylsuchenden seien nach dem Besuch des Kanzlers angekommen und hätten bis zum Abend beim Befüllen der Sandsäcke geholfen. "Hier versuchen Menschen, Stimmung zu machen", sagte Hoffmann weiter.
Dem Medienbericht zufolge hatte die Feuerwehr bereits am Abend des 4. Januar eine Richtigstellung auf Facebook veröffentlicht. Darin dementierte sie unter anderem auch den Vorwurf, andere Helferinnen und Helfer in Berga seien weggeschickt worden. Der Beitrag sei aufgrund vieler Beschimpfungen wieder gelöscht worden, sagte Hoffmann. Screenshots davon sind aber noch verfügbar.
Entgegen der unterstellten Inszenierung in sozialen Netzwerken konnten wir zudem keine gemeinsamen Pressefotos von Olaf Scholz und den asylsuchenden Helfern finden.
Verwendete Quellen
- Mitteldeutsche Zeitung: Liveticker: Warnung vor dem Betreten von Eisflächen - Pegel an der Helme derzeit stabil | Flüchtlinge nicht wegen Scholz beim Sandsackschippen - Fake-News tausendfach verbreitet
- MDR: "Viele sind total gereizt" – Stimmungsbericht vom Scholz-Besuch im Hochwassergebiet | Hochwasser in Mansfeld-Südharz: Falschmeldung über Asylbewerber verbreitet
Über CORRECTIV
- CORRECTIV ist ein gemeinnütziges, unabhängiges und vielfach ausgezeichnetes Recherchezentrum. Die investigativen Journalisten recherchieren langfristig zu Missständen in der Gesellschaft, wie dem Cum-Ex-Steuerraub oder illegaler Parteifinanzierung.
- Eine eigene Faktencheck-Redaktion - CORRECTIV.Faktencheck - überprüft irreführende Behauptungen und Gerüchte in den sozialen Medien. Die Faktenchecker erklären, wie Falschmeldungen unsere Wahrnehmung beeinflussen und wie Sie sich vor gezielten Falschmeldungen schützen können.
- Immer freitags erhalten Sie die neuesten Faktenchecks zu Gerüchten im Netz direkt in Ihr Postfach: Abonnieren Sie hier den CORRECTIV Newsletter.
- Wenn Sie auf mögliche Falschmeldungen oder Gerüchte stoßen, können Sie diese CORRECTIV.Faktencheck zur Überprüfung schicken — entweder über den CrowdNewsroom oder über WhatsApp an die +49-151-17535184.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.