• Zweite Chance für Emmanuel Macron: Der französische Präsident hat die Stichwahl gegen Marine Le Pen gewonnen.
  • Le Pen hat mit 42 Prozent allerdings ein Rekordergebnis eingefahren, 28 Prozent der Bürger und Bürgerinnen haben sich enthalten.
  • Während Deutschland und der Rest Europas feiern, herrschen in Frankreich daher gemischte Gefühle.

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"Mit Macron ist Schluss", sagt Vanessa, eine Frau Ende zwanzig aus Marseille noch vor dem ersten Wahlgang am 10. April. Sie ist wie insgesamt 31 Prozent der Menschen in der zweitgrößten und ältesten Stadt Frankreichs eine überzeugte Anhängerin Jean-Luc Mélenchons. Nachdem es der Linkspopulist aber mit einem Prozentpunkt weniger als Marine Le Pen nicht in die Stichwahl geschafft hat, steht die junge Frau vor einer schwierigen Entscheidung, denn: Macron wählen kommt für die meisten der enttäuschten linken Wählerschaft eigentlich nicht infrage.

"Steuern, Lockdowns ohne Ende und er zwingt die Leute, sich zu impfen. Und nach Marseille kommt er auch nur, wenn er für sich Werbung machen will!", schimpft sie. Freizügigkeit innerhalb der EU und die großen Europa-Visionen Emmanuel Macrons sind für sie nicht wichtig, genauso wenig wie die Putin-Nähe und die EU-feindliche Politik, die Jean-Luc Mélenchon und Marine Le Pen teilen, denn diese Themen sind nicht Teil ihrer Realität. Vor allem die Reformen des Präsidenten belasten ihren Alltag, sagt sie. Die Benzin-Steuer beispielsweise sei für sie, die in einem schlecht angebundenen Viertel im Norden der Mittelmeerstadt lebt, nicht tragbar.

"Ich wähle Macron. Aber nicht, weil ich will, sondern weil ich muss"

Ähnlich gemischte Gefühle teilen auch die Menschen im Zentrum: "Ich wähle Macron. Aber nicht, weil ich will, sondern weil ich muss", sagt ein Familienvater mittleren Alters. Er wartet mit dem Kinderwagen vor dem Wahllokal auf seine Frau, die gerade ihren Stimmzettel abgibt. "Ich kann den Rechtsextremismus nicht gewinnen lassen, auch wenn ich gegen Macron bin."

Roxane, eine Sozialarbeiterin Mitte 30 hadert bis zur letzten Sekunde mit sich: Emmanuel Macron wählen? Schwierig. "Was hat er fürs Klima getan?", ist eine der Fragen, die sie umtreiben. Zwar wisse sie, dass seine geplanten Reformen, wie die Kürzung der Arbeitslosenversicherung sie nicht oder kaum treffen würden, aber die Menschen, mit denen sie arbeitet, durchaus. Also doch einen leeren Zettel abgeben? Erst in der Wahlkabine trifft sie ihre Entscheidung: gegen Le Pen. Mit einer Stimme für Macron, den sie "Präsident der Reichen" nennt.

Emmanuel Macron gibt Versprechen ab

Die Haltung vieler Franzosen hat sich auch bis in den Élysée-Palast rumgesprochen. Bei seiner Siegesrede am Champs-de-Mars in Paris sagte der alte und neue Präsident Frankreichs mit leuchtendem Eiffelturm im Rücken: "Ich weiß, dass viele Landsleute für mich gestimmt haben, nicht um die Ideen, die ich vertrete, zu unterstützen, sondern um der extremen Rechten einen Riegel vorzuschieben [...] Ich weiß, was ich euch schulde."

Im Juni stehen allerdings noch die Parlamentswahlen an, die umgangssprachlich auch als "dritter Wahlgang" bezeichnet werden und sowohl für die Rechten als auch die Linken noch eine wichtige Rolle spielen werden. Besonders Jean-Luc Mélenchon rechnet sich gute Chancen aus: Er forderte die französischen Bürger bereits medienwirksam auf, ihn "zum Premierminister zu machen", indem sie viele Abgeordnete seiner Partei 'La France Insoumise', in das Parlament wählen.

Deutschland und Europa freuen sich

Jenseits der Landesgrenzen ist von gemischten Gefühlen keine Rede. Um 21:00 Uhr, eine Stunde nachdem die offiziellen ersten Hochrechnungen veröffentlicht wurden, gratulierte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nicht nur telefonisch, sondern auch auf Twitter: "Félicitations, herzliche Glückwünsche, lieber Präsident @EmmanuelMacron. Deine Wählerinnen und Wähler haben heute auch ein starkes Bekenntnis zu Europa gesendet. Ich freue mich, dass wir unsere gute Zusammenarbeit fortsetzen!"

Auch Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, der italienische Ministerpräsident Mario Draghi, Großbritanniens Premier Boris Johnson und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj freuten sich neben vielen anderen internationalen Politikern öffentlich mit Emmanuel Macron über seinen erneuten Wahlsieg.

Macron, der die Wahl als "Referendum über Europa" bezeichnete und zum Klang der Europahymne den Champ-de-Mars betrat, glaubt im Gegensatz zu seiner Herausforderin an ein starkes, souveränes Europa. Auf der zukünftigen EU-Agenda steht neben einer Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts vor allem die gemeinsame Sicherheits-und Verteidigungspolitik, aber auch eine internationale Strategie in Sachen Klimawandel und Energiewende. Ein Thema, bei dem die Meinungen innerhalb der Mitgliedstaaten auseinandergehen.

Deutschland und Frankreich: Ein starkes Bündnis

Zwei Länder, die von Kriegstradition zu Konsens und von "Erbfeindschaft" zu Freundschaft übergegangen sind, bilden heute die starke Mitte Europas. Kaum eine andere Allianz zweier Nationen ist weltpolitisch so bedeutend wie die zwischen Deutschland und Frankreich. Das spiegelt sich auch in einer langen Tradition wider: Der erste Auslandstermin nach einer Wahl findet stets beim Nachbarn statt.

Die erste Reise des Kanzlers ging im Dezember 2021 nach Paris, dementsprechend wird Emmanuel Macron nun bald in Berlin erwartet. Immer wieder betonte Macron seine Wertschätzung für Deutschland, nicht zuletzt im TV-Duell am 20. April: "Ich glaube an das deutsch-französische Tandem, denn es erlaubt uns, voranzukommen." Als Beispiel dafür nannte er unter anderem den deutschen Impfstoff.

Während Marine Le Pen die enge Zusammenarbeit mit Deutschland als schädigend für französische Interessen empfand und ankündigte, gemeinsame Rüstungsprojekte einstellen zu wollen, will Macron die deutsch-französische Zusammenarbeit weiter ausbauen und pflegen. "Die Kooperation läuft bereits auf sehr hohem Niveau", sagte Claire Demesmay, Expertin für deutsch-französische Beziehungen beim DFJW, in einem Twitter Space nach der Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen, "und wird auch so weitergehen."

Vor allem der künftige Umgang mit der Pandemie und der Krieg in der Ukraine werden Paris und Berlin beschäftigen. Die Zeichen stehen gut, dass das Bündnis Macron-Scholz kompatibler arbeitet, als es zuvor mit Angela Merkel der Fall war.

Verwendete Quellen:

  • avecvous.fr: Notre projet présidentiel pour la France
  • francebleu.fr: Présidentielle : réélu, Emmanuel Macron promet une "méthode refondée" pour gouverner la France
  • riffreporter.de: Deutschland und Frankreich: Ein Bündnis auf dem Prüfstand
  • bfmtv.com: Présidentielle: à l'international, les dirigeants félicitent Macron pour sa réélection
  • Youtube.com: Macron réélu président : quel avenir pour la relation franco-allemande ? • FRANCE 24

Anmerkung: Alle nicht anderweitig markierten Zitate sind selbst recherchierte O-Töne.

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