Brexit, Iran-Krise, die Beziehungen zu den USA und China: Den neuen britischen Premierminister erwarten in der Außenpolitik schwierige Aufgaben.
Boris Johnson wurde immer schon besonders großes Ehrgeiz nachgesagt, jetzt ist er endlich am Ziel: Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der britischen Konservativen soll der 55-Jährige am Mittwoch als Premierminister in die Downing Street Nummer 10 einziehen. Zeit, seinen Sieg zu feiern, wird er kaum haben. Denn drei außenpolitische Baustellen erfordern besondere Aufmerksamkeit.
1. Große Versprechen beim Brexit
Ein neuer Brexit-Vertrag bis zum 31. Oktober - oder ein EU-Austritt ohne Abkommen. Das war ein zentrales Versprechen in
Johnson stört vor allem der "Backstop": Solange sich Briten und Europäer nicht über einen Freihandelsvertrag geeinigt haben, soll das Königreich eng an den Kontinent gebunden bleiben. So will die EU verhindern, dass an der Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland wieder Grenzkontrollen nötig werden.
Johnson ist überzeugt, dass er den Vertrag nachverhandeln und den Backstop kippen kann. Wie er die europäischen Partner davon überzeugen will, ist unklar. Die nächste EU-Kommissionspräsidentin
Johnson wiederum setzt auf Konfrontation: Bisher hat er wenig Anstalten gemacht, auf die Verhandlungspartner zuzugehen - im Gegenteil. Die vereinbarten Austrittszahlungen von 44 Milliarden Euro will er zum Beispiel zurückhalten, und als neuer Brexit-Minister ist der Hardliner Steve Baker im Gespräch.
Die Zeit bis zum 31. Oktober sei knapp - auch weil die Verhandlungszeit zum Teil in die Sommerpause falle, warnt die britische Zeitung "Guardian". Dass das Königreich die EU nach dem Stichtag ohne Deal verlässt, ist also möglich. Auf dieses wirtschaftlich gefährliche Szenario muss Johnson sein Land einstellen.
Zudem muss er sich in diesem Fall auf Gegenwind auch aus der eigenen Partei gefasst machen. Eine Mehrheit im britischen Unterhaus lehnt einen Brexit ohne Deal ab. Komme es trotzdem dazu, könnte der scheidende Schatzkanzler Philip Hammond ein Misstrauensvotum gegen Johnson anzetteln, schreibt die "Süddeutsche Zeitung".
2. Der Konflikt mit dem Iran
Während die Briten mit der Suche nach einem neuen Premier beschäftigt waren, ist das Land in eine internationale Krise geraten: Die iranischen Revolutionsgarden setzten vergangenen Freitag einen Tanker unter britischer Flagge fest, der in der Straße von Hormus unterwegs war.
Zwei Wochen zuvor hatte die britische Marine wiederum einen iranischen Tanker in Gibraltar gestoppt - der Verdacht lautete, dass er Öl nach Syrien transportierte.
Der neue Premierminister müsse sich ganz darauf konzentrieren, diese Krise zu lösen - andernfalls riskiere er einen Krieg, schrieb Admiral Lord West im britischen "Observer". Die frühere Außenministerin Margaret Beckett sagte dem "Guardian": "Das ist ein kritischer Test für den neuen Premierminister, bei dem er und sein Team Standfestigkeit beweisen müssen."
Bisher gehörte Großbritannien gemeinsam mit Deutschland und Frankreich zu den Partnern, die das Nuklear-Abkommen mit Iran erhalten möchten. Die USA haben es dagegen gekündigt. Die jüngsten Ereignisse machen es den Briten nun zunehmend schwer, die Iraner in Schutz zu nehmen.
Außenminister Jeremy Hunt hat eine internationale Mission zum Schutz von Schiffen gegen Iran ins Spiel gebracht. Schwenken die Briten jetzt auf die harte US-Linie ein? Der neue Premier wird sich entscheiden müssen.
Laut "Guardian" gibt es im Londoner Regierungsviertel Stimmen, die bezweifeln, dass der aufbrausende Johnson diese Krise meistern kann. Immerhin könnte er sich fachkundige Unterstützung sichern: Wenn er Jeremy Hunt, seinen unterlegenden Konkurrenten um den Parteivorsitz, im Amt belässt.
3. Beziehungen zu den Großmächten USA und China
Falls es zu einem ungeregelten EU-Austritt kommt, werden die Briten sich schnell nach neuen Handelspartnern umsehen müssen - und US-Präsident
Die Voraussetzungen sind auf den ersten Blick günstig: Die amerikanisch-britischen Beziehungen gelten generell als besonders eng, und Trump hatte sich schon bei seinem Staatsbesuch im Juni für Johnson als neuen Premierminister ausgesprochen.
Doch innenpolitisch ist ein Schulterschluss umstritten - US-Präsident Trump ist bei vielen Briten unbeliebt. Zudem belastet die Affäre um den ehemaligen britischen Botschafter in den USA die Beziehungen, der Trump in einem geheimen Dokument scharf kritisiert hatte.
Schwierig gestaltet sich auch das Verhältnis zur Weltmacht China. Das Vereinigte Königreich hat vor einigen Jahren ein "goldenes Zeitalter" in den Beziehungen zu Peking ausgerufen. Der wirtschaftliche Austausch ist allerdings hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
Dem Außenpolitik-Magazin "The Diplomat" zufolge spielen die Briten als Handelspartner für China eine weniger wichtige Rolle als zum Beispiel Deutschland, Australien oder Südkorea.
Für Verstimmungen haben auch die jüngsten Geschehnisse in Hongkong gesorgt, wo Bürger gegen die chinesische Zentralregierung demonstrieren. Großbritannien hatte seine ehemalige Kolonie 1997 an China übergeben.
In einer Erklärung zwischen den beiden Staaten hieß es, dass Hongkong 50 Jahre lang als Sonderverwaltungszone sein liberales Wirtschaftssystem behalten würde. Die Briten pochen darauf, dass diese Erklärung weiterhin gilt. Peking dagegen bezeichnet sie als "historisches Dokument" - und verbittet sich jegliche Einmischung von britischer Seite.
Verwendete Quellen:
- www.youtube.com: "1. Rede Ursula von der Leyen (Originalton) - Debatte Wahl zur Kommissionspräsidentin"
- www.dpa.de: "Trump: Großes Freihandelsabkommen mit Großbritannien möglich"
- www.theguardian.com: "Boris Johnson warned: focus on Iran or risk war"
- Süddeutsche Zeitung: Kann der das? Die Krise mit Iran trifft London mitten im Machtwechsel-Fieber (22. Juli 2019)
- www.reuters.com: "China tells Britain to stop 'gesticulating' about Hong Kong"
- www.thediplomat.com: "The Golden Era of UK-China relations meets Brexit"
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