• Die Ampel-Koalition streitet über den Bau neuer Straßen, die Fronten sind verhärtet.
  • Aus Sicht der FDP sind Straßen das Rückgrat der Wirtschaft. Aus Sicht der Grünen müssen in Deutschland in Zukunft weniger Autos unterwegs sein.
  • Kompromisse sollen jetzt auf höchster Ebene gefunden werden.

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Die Deutschen und ihr Auto – das ist bekanntlich eine ganz besondere Beziehung. Anfang 2022 waren dem Kraftfahrtbundesamt zufolge bundesweit 48,5 Millionen PKW registriert. So viele wie nie zuvor. Andererseits wollen wohl die wenigsten Bundesbürgerinnen und Bundesbürger neben einer vielbefahrenen Straße wohnen. Auch der Klimawandel lässt sich mit immer mehr Autos kaum aufhalten.

Dieser Konflikt beschäftigt auch die Bundesregierung. Von einem "politischen Grabenkampf" ist sogar die Rede. In der Ampel-Koalition liegen Grüne und FDP über Kreuz, wenn es um eine zentrale verkehrspolitische Frage geht: Braucht das Land zusätzliche Straßen?

Die Position der FDP: Straßen garantieren Wohlstand und Arbeitsplätze

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) jedenfalls will die Planung von Infrastrukturprojekten beschleunigen. Vorbild ist der Bau von Flüssiggas-Terminals an der Küste, mit denen Deutschland die Unabhängigkeit von russischem Gas sichern will. Drei davon sind in den vergangenen Monaten mit hoher Geschwindigkeit geplant und gebaut worden.

Möglich war das unter anderem, weil die zukünftigen Betreiber schon bauen durften, bevor die offizielle Genehmigung dafür vorlag – ähnlich wie im Fall der Tesla-Fabrik in Brandenburg. Auch andere Bauprojekte sollen nach Wissings Vorstellung den Stempel "Im überragenden öffentlichen Interesse" erhalten. Das würde Genehmigungs- und Planungsprozesse abkürzen.

"Deutschland-Geschwindigkeit" nennt das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Und genau mit dieser Geschwindigkeit will die FDP weitere Projekte vorantreiben: den Bau von Schienen, Wasserwegen, aber eben auch von neuen Straßen. "Davon hängen unser Wohlstand und viele Arbeitsplätze ab", sagte Verkehrsminister Wissing Ende Januar in einem Interview mit der "Deutschen Verkehrszeitung" (Bezahlinhalt).

FDP setzt auf mehr Straßen

Der Minister geht davon aus, dass der Güterverkehr auf der Straße in Zukunft noch zunehmen wird. Davon könne nicht alles auf der Schiene transportiert werden. Außerdem würden nun einmal auch Elektroautos, auf die die Bundesregierung ja bekanntlich setzt, auf Straßen fahren, betont Wissing.

Die Liberalen treiben den Plan ihres Ministers stark voran. Anfang dieser Woche verabschiedete das Parteipräsidium ein Papier mit dem Titel "Individuelle Mobilität stärken – Vielfalt bei Mobilitätsangeboten ausbauen statt Autos ideologisch bekämpfen".

Aus Sicht der FDP können sehr viele Menschen sowohl auf dem Land als auch in der Stadt nicht auf ein Auto verzichten. Deswegen dringt die Partei darauf, dass in Zukunft auch Straßen schneller geplant und gebaut werden können. Es gebe "keine gute und schlechte Infrastruktur", betont FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai immer wieder. Bei einer Pressekonferenz sagte er in dieser Woche: "Wir erwarten von unserem Koalitionspartner, dass hier keine Blockadepolitik gemacht wird."

Die Position der Grünen: Sanieren geht vor Neubau

Gemeint sind damit die Grünen. Sie sprechen sich zwar ebenfalls für mehr Schnelligkeit aus, aber nicht überall. Im gemeinsamen Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP darauf geeinigt, besonders bedeutende Infrastruktur-Projekte schneller zu planen und umzusetzen. Im Vertrag heißt es dazu: "Unter solchen Infrastrukturmaßnahmen verstehen wir systemrelevante Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieursbauwerke (z. B. kritische Brücken)." Straßen sind dort nicht erwähnt.

Die Grünen wollen nämlich kein Tempo machen, wenn es um den Bau zusätzlicher Straßen oder die Verbreiterung bestehender Autobahnen geht. "Wir müssen da als Erstes handeln, wo die Probleme am größten sind", sagte die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, in dieser Woche bei einem Fachgespräch.

Oberste Priorität haben aus ihrer Sicht bestehende Straßen- und Autobahnbrücken. Mehr als 4000 Brücken seien in Deutschland so marode, dass sie bis 2030 saniert werden müssen, erinnert Dröge. Die Grünen weisen auch auf den großen Personalmangel im Straßenbau und in der Verkehrsplanung hin: Wenn jetzt zusätzliche Straßen gebaut würden, ziehe das Kapazitäten für die Sanierungen ab.

Wenn es um die schnellere Sanierung bestehender Brücken gehe, dann "könnten wir das sofort machen", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, in dieser Woche. Die Landschaft mit zusätzlichem Asphalt zuzupflastern, sei aber nicht der richtige Weg. Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke sprach sich im Interview mit unserer Redaktion vor kurzem gegen Wissings Pläne aus: "Straßenbau wäre dann wichtiger als der Erhalt der Natur und der Schutz der Menschen", sagte sie. "Das geht in Zeiten von Klimakrise und Artenaussterben wirklich nicht."

Die Grünen sind ohnehin genervt vom Bundesverkehrsminister. Wissing will zwar den Umstieg auf Elektroautos fördern und hat das bundesweite 49-Euro-Ticket für Busse und Bahnen auf den Weg gebracht. Das reicht aus Sicht der Grünen aber nicht, um den Ausstoß klimaschädlicher Gase deutlich zu senken. "Klimaschutz ist in der Regierung nicht allein Aufgabe der Grünen", sagt Irene Mihalic.

Unterschiedliche Weltbilder

In der Verkehrspolitik prallen bei Grünen und FDP Weltbilder aufeinander: Die Öko-Partei will den Autoverkehr reduzieren, um Klima, Luft und Natur zu schonen. Für die Liberalen sind Straßen dagegen das Rückgrat von Wirtschaft und Wohlstand.

Unklar ist noch die Rolle der SPD: Der größte Koalitionspartner hat sich aus dem gelb-grünen Streit bisher herausgehalten. Die Grünen hoffen auf Unterstützung des selbsternannten Klimakanzlers Olaf Scholz. Allerdings hat SPD-Chef Lars Klingbeil vor kurzem einen "Turbo" gefordert. Die neue "Deutschland-Geschwindigkeit" brauche man für alle Infrastruktur-Projekte. Das klingt eher nach der FDP-Position.

Dabei wären Kompromisse durchaus denkbar: Die Koalition könnte sich darauf einigen, die Planung von Verkehrsprojekten grundsätzlich zu beschleunigen, besonders umstrittene Neubauten aber vorerst auf Eis zu legen. Dazu gehören etwa die Erweiterungen der Berliner Stadtautobahn A100 und der A20 in Norddeutschland. Beide Projekte stehen im Bundesverkehrswegeplan. Dort ist festgeschrieben, welche Sanierungen, Erweiterungen und Neubauten der Bund vorantreiben will. Aus Sicht der Grünen ist der Plan überfrachtet, sie würden dort gerne das eine oder andere Projekt streichen.

Kompromisse? Bisher nicht in Sicht

"Am Ende des Tages gibt es immer gute Lösungen für das Land", hat in dieser Woche FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gesagt. In den Medien wurde in den vergangenen Wochen über mögliche Deals spekuliert. Sowohl Grüne als auch FDP dementieren aber vehement, dass Kompromisse absehbar sind. Die Fronten sind offenbar verhärtet. Es gebe keinerlei Signale auf eine Einigung – in dieser Einschätzung sind sich Grüne und FDP ausnahmsweise einig. Ende Januar trafen sich die Spitzen der drei Koalitionspartner im Kanzleramt, um Kompromisse zu suchen. Doch die Runde ging ergebnislos auseinander.

Jetzt ist der Streit ein Fall für die höchste Ebene. Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge werden sich Kanzler Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) der Sache annehmen. Muss der Kanzler den Streit am Ende vielleicht sogar mit einem Machtwort beenden? Das ist in Koalitionen eigentlich die absolute Ausnahme. Im Fall von Scholz und der Ampel-Koalition wäre es nach dem Streit um die Atomenergie aber schon das zweite Mal.

Verwendete Quellen:

  • Bundesregierung.de: Koalitionsvertrag 2021
  • DVZ.de: Wissing: "Verkehrspolitik ist keine Geschmackssache"
  • KBA.de: Bestand
  • Sueddeutsche.de: FDP und Grüne: Verkehrs- und Klimapolitik stecken in der Sackgasse
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