Wer ein Leben lang gearbeitet hat, dessen Rente soll deutlich über Hartz-IV-Niveau liegen, so will es die SPD. Doch die Grundrente spaltet den Bundestag. Schon vor der ersten Beratung am Freitag gibt es heftige Diskussionen um das Projekt. Vor allem die Wirtschaft und Teile der CDU stemmen sich gegen das Vorhaben. Die Aussage, es sei nun wegen der Coronakrise kein Geld dafür da, will die SPD jedoch nicht gelten lassen.
Vor der ersten Beratung der Grundrente im Bundestag an diesem Freitag haben Befürworter und Gegner des Projekts noch einmal deutlich Stellung bezogen. SPD, Gewerkschaften und Sozialverbände fordern eine zügige Umsetzung des Projekts. Die Wirtschaft würde das Vorhaben dagegen am liebsten versenkt sehen. Und der Regierungspartner Union stellt nicht nur Bedingungen für die Verabschiedung des Gesetzes - der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier stellt es sogar ganz in Frage.
Worum es geht
Die Grundrente sollen Menschen bekommen, die jahrelang für wenig Geld gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Ihre rechnerische Rente fällt durch die geringen Beiträge, die eingezahlt wurden, sehr klein aus. Die Rente soll deshalb aufgestockt werden, laut Bundessozialministerium um durchschnittlich 75 Euro brutto im Monat. Maximal kann sich im Einzelfall sogar ein Zuschlag von gut 400 Euro brutto ergeben. Profitieren sollen im geplanten Startjahr 2021 rund 1,3 Millionen Menschen, davon 70 Prozent Frauen. Voraussetzung sind mindestens 33 Beitragsjahre. Union und SPD hatten grundsätzlich vereinbart, eine solche Grundrente einzuführen. Am Herzen liegt sie aber vor allem der SPD.
Streitpunkt Kosten und Finanzierung
Kosten soll die Grundrente laut Gesetzentwurf bis 2025 zwischen 1,3 und 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. In der Union sind einige der Meinung, dafür fehlt jetzt das Geld, angesichts der Milliardenausgaben für Rettungsmaßnahmen in der Corona-Krise. Unionspolitiker werfen Finanzminister
Im Entwurf steht, dass die Grundrente aus Steuermitteln finanziert werden soll, nicht aus höheren Rentenbeiträgen. Für zusätzliche Steuermittel zur Finanzierung der Grundrente, das hatten Union und SPD vereinbart, sollte eine Finanztransaktionssteuer, also eine Abgabe auf Finanzgeschäfte, eingeführt werden. Diese gibt es bisher nicht.
Streitpunkt Bedürftigkeitsprüfung
Ein anderer Streitpunkt war von Anfang an die sogenannte Bedürftigkeitsprüfung. Eine Berechnung, ob ein potenzieller Grundrentenbezieher den Rentenaufschlag auch wirklich braucht. Nach monatelangem Kampf hatten Union und SPD diesen Streitpunkt entschärft und sich geeinigt: Es soll nicht das Vermögen eines Rentners, aber sein mögliches Einkommen neben der Rente überprüft werden. Alleinstehende Rentner sollen 15 000, Partner 23 400 Euro im Jahr dazuverdienen dürfen, ohne dass es auf die Grundrente angerechnet wird, heißt es im Gesetzentwurf. Unionsfraktionschef
Technische und praktische Probleme
Für die Einkommensprüfung braucht die Rentenversicherung die Daten der Finanzämter, wo die Steuererbescheide der Betroffenen liegen. Dafür muss noch ein funktionierender und schneller automatischer Datenaustausch eingerichtet werden. Die Präsidentin der Rentenversicherung Gundula Roßbach hatte Ende vergangenen Jahres zudem vor einem hohen Verwaltungsaufwand gewarnt: "Angesichts mehrerer Millionen laufender Renten, die zu prüfen wären, ist der relativ kurze Zeitraum bis zum 1. Januar 2021 für Entwicklung und Einsatz einer voll automatisierten Lösung aus Sicht der Rentenversicherung problematisch."
Arbeitsminister Heil spricht inzwischen davon, dass die Grundrente zwar am 1. Januar starten soll, die Auszahlung aber auch später und dann rückwirkend stattfinden könnte.
Buhruhfe und "hysterische Hektik"
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer forderte am Donnerstag, es sei höchste Zeit, bei der Grundrente die Reißleine zu ziehen. Michael Grosse Bröhmer (CDU), der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion sagte dem ZDF, es gebe keine Eile, "weil die Rentenversicherung selbst sagt, dass vor Mitte nächsten Jahres sowieso nichts ausgezahlt werden kann. In Folge dessen ist das ein bisschen hysterische Hektik bei der SPD". Hessens Ministerpräsident
Die SPD reagierte scharf auf die Töne aus der Union. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Freitag/Online): "Das jetzt in Frage zu stellen und so zu tun, als wäre es wegen Corona nicht finanzierbar, geht überhaupt nicht." Richtung Unionsfraktion sagte er: Wenn Fraktionschef Brinkhaus jetzt meine, noch Pirouetten drehen zu müssen, sei das kein guter Stil. Finanzminister Scholz hatte am Donnerstag bereits scharfe Töne angeschlagen: "Wir geben großen Unternehmen Kredite von mehreren Milliarden Euro. Und dann kommt jemand daher und sagt, die Grundrente, die knapp über eine Milliarde kostet, können wir aber nicht bezahlen. So jemand gehört eigentlich ausgebuht". SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitag): "Ich gehe davon aus, dass auch die Union zügige Beratung will, sich an ihre eigenen Beschlüsse in Kabinett und Koalitionsausschuss hält und die Verabschiedung im Bundestag nicht weiter verzögert." Die Grundrente sei für viele gerade aus den Berufen wichtig, die jetzt als systemrelevant erkannt würden: Krankenschwestern, Busfahrer, Kassiererinnen.
Wie es jetzt weitergeht
Der frühere SPD-Fraktionschef Peter Struck und Ex-Verteidigungsminister hatte vor Jahren das berühmte "Strucksche Gesetz" geprägt: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist. Das dürfte jetzt auch mit der Grundrente passieren. Die Fraktionen werden nach erster Lesung an diesem Freitag in den Ausschüssen weiter darüber verhandeln. Zur Abschlussberatung und Abstimmung kommt sie erst wieder auf die Tagesordnung, wenn ein Kompromiss gefunden ist. (dpa/ska)
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