Was treibt Horst Seehofer um? In den vergangenen Monaten hat der CSU-Chef und deutsche Innenminister mit Alleingängen für Aufregung gesorgt. Ein Politikexperte vermutet persönliche Kränkung hinter den Attacken: Schuld an Seehofers Polterei sei ein anderer bayerischer Politiker.

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Im Alleingang die deutschen Grenzen sichern, der Kanzlerin drohen, vom Rücktritt zurücktreten und einen Brief an die EU-Kommission schreiben: Bundesinnenminister Horst Seehofer hat in den letzten Wochen von sich hören lassen. Was steckt hinter der Solotour des 69-Jährigen?

"Seehofer ist von jeher ein Politiker, der gerne angeeckt hat", sagt der Freiburger Politikwissenschaftler Sebastian Jäckle im Gespräch mit unserer Redaktion. Das mache ihm Spaß. Gleichzeitig gelte er als "inhaltlich und ideologisch flexibel", was der Spitznamen "Drehhofer" karikiert.

Seine Alleingänge brachten ihm schon früher den Ruf des Einzelkämpfers ein. "Es gibt manche in der CDU, die halten Seehofer für einen politischen Amokläufer, einen, der unberechenbar ist", schrieb Spiegel Online bereits 2004 über Seehofer.

Eine Parallele zur aktuellen Situation gibt es auch im Jahr 1995. Damals drohte er als Gesundheitsminister zur Durchsetzung einer Krankenhausreform mit Rücktritt.

Seehofer fühlt sich von Söder getrieben

Der Politikwissenschaftler glaubt, dass sich Seehofer von seinem Dauerrivalen in der CSU, Markus Söder, getrieben fühlt. Seehofer hat den politischen Kampf in Bayern gegen den jüngeren Franken verloren. Gegen seinen Willen wurde er als Landesvater abgelöst. "Dabei ist das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten für einen CSU-Mann das Wichtigste", betont Jäckle.

Doch ganz klein beigeben will der Ingolstädter nicht, zumindest den CSU-Vorsitz will er auf jeden Fall bis zum Herbst behalten. Am 14. Oktober steht die Landtagswahl in Bayern an.

"Seehofer hat gar nicht so sehr was dagegen, wenn Söder bei der Landtagswahl abgewatscht wird", meint der Politikwissenschaftler. Mit seinem Auftreten in Berlin könne Seehofer sich dann bei einem möglichen Wahldesaster der CSU von jeder Schuld freisprechen.

Zugleich stiehlt er Söder damit die Schau. Denn bisher wird auch in Bayern vor der Wahl viel mehr über den deutschen Innenminister gesprochen als über den amtierenden bayerischen Ministerpräsidenten.

Seehofer galt lange als "CSU-Linker"

Zuletzt hat Seehofer für seinen Vergleich zwischen seinem 69. Geburtstag und 69 an diesem Tag abgeschobenen Afghanen heftige Kritik geerntet. "Das lässt er an sich abperlen", glaubt Jäckle, zumal sie insbesondere von der Opposition komme.

Trotzdem sei der Zynismus, der in Seehofers Anspielung zutage tritt, eigentlich untypisch für ihn. Aufgrund seiner Sozialpolitik galt er lange Zeit als "CSU-Linker". Selbst aus einfachen Verhältnissen kommend, stand Seehofer für die katholische Sozialethik.

Jäckle vermutet, dass Seehofers Radikalisierung auch auf den Konflikt mit Söder zurückzuführen ist. Um sich gegen diesen parteiintern zu behaupten, habe er immer extremere Positionen bezogen.

Seehofer fühle sich "zwischen Söder und Merkel eingekeilt", deswegen sucht er die Flucht nach vorn: "Ganz untergehen will er dabei nicht."

Sein einstiger Aufstieg war keineswegs vorgezeichnet. Seehofer geriet eher zufällig in die Politik. Mit 20 Jahren unterschrieb er seinen Eintritt in die CSU auf einem Bierfilz bei einem Kegelabend, erzählte sein Ausbilder Hermann Regensburger einmal der "Süddeutschen Zeitung".

Doch galt Seehofer schon früh als ehrgeizig. Er wollte nicht nur in der bayerischen Provinzpolitik erfolgreich sein und ging deshalb 1980 nach Bonn in den Bundestag.

Seehofer ist ein Kämpfer

In seinem Leben hat er einige Niederlagen und Rückschläge einstecken müssen. 2002 erkrankt Seehofer lebensbedrohlich an einer Herzmuskelentzündung, nur knapp entkommt er dem Tod.

Seine erste Ehe scheitert früh, dabei ist eine Scheidung im katholisch-konservativen Bayern zu dieser Zeit nicht gern gesehen. 1985 heiratet er erneut, mit Karin Seehofer hat er drei Kinder. Seine Berliner Affäre, aus der 2007 auch ein Kind hervorgeht, sorgt für Aufsehen und bringt seine politische Karriere vorübergehend ins Stocken.

Doch Seehofer gibt nicht auf: Nur kurze Zeit später wird er bayerischer Ministerpräsident, "das schönste Amt der Welt nach dem Papst", wie er selbst sagt. Aber der Diplom-Verwaltungswirt vergisst nicht. Das persönliche Verhältnis zu Merkel hat stark gelitten, seitdem er 2004 im Streit um die Gesundheitspolitik der Union als Fraktionsvize zurücktreten musste. "Seitdem ist er auf Merkel nicht gut zu sprechen", erklärt Jäckle.

Höhepunkt ihrer Rivalität war der Sommer 2015, auf den beide eine sehr unterschiedliche Sichtweise haben. Als Seehofer der Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht drohte, war die Beziehung der beiden endgültig zerrüttet.

Der 69-Jährige sorgt sich um sein Erbe

Mit dem Posten als Bundesinnenminister hat Angela Merkel immerhin Seehofer die Hand ausgestreckt. Im vergangenen Winter befand sich Seehofer in einer schwierigen Situation.

Nach seiner Entmachtung durch Söder hätte er kaum noch in Bayern bleiben können. Trotz seiner damals 68 Jahre wollte sich der CSU-Senior aber noch nicht aus dem politischen Geschäft zurückziehen.

Seehofers Alter könnte auch bei seinem derzeitigen Verhalten eine Rolle spielen. Gut möglich, dass sich Seehofer nach fast 50 Jahren in der Politik ein Denkmal setzen will. "Er will sein Erbe gestalten", vermutet Jäckle. "Möglicherweise will er sich als ‚Retter des Abendlandes‘ feiern lassen."

Zudem könne man bei dem Ex-Ministerpräsidenten von einer gewissen Heimatverbundenheit ausgehen, glaubt der Politikwissenschaftler: "Seehofer fühlt sich immer noch für Bayern verantwortlich, obwohl er es de facto als deutscher Innenminister nicht mehr ist."

So hat Seehofer die Flüchtlingspolitik zu seinem Thema gemacht. Auch um zu verhindern, dass sich CSU-Wähler weiter der AfD zuwenden.

Doch Jäckle sieht nur bedingt einen "rationalen Plan" hinter dem Vorgehen des Innenministers. Der Asylstreit drehte sich um ein randständiges Problem, das konkret auf nicht mehr als zehn Flüchtlinge am Tag zutrifft.

Dass es deswegen zu einer wochenlangen Regierungskrise kam, traf in der Bevölkerung auf wenig Verständnis. Schlechte Umfragewerte waren die Folge.

"Die CSU hat sich verspekuliert. Dort hat man gemerkt, dass das Poltern über Kleinigkeiten beim Wähler nicht gut ankommt", so Jäckle. Zudem sei das Thema Flüchtlinge in der Bevölkerung nicht mehr so zentral wie noch 2015 und 2016.

Aber was bedeutet die Auseinandersetzung zwischen Seehofer und Merkel für die Bundesregierung? "Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass die Regierung die ganzen vier Jahre übersteht", meint der Politikwissenschaftler. Dafür dominiere der zentrale Konflikt zwischen Teilen der CDU und einem Großteil der CSU die Große Koalition zu sehr.

Dr. Sebastian Jäckle ist Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg. Zu seinen Schwerpunkten gehören Vergleichende Regierungslehre, Regierungsscheitern und Ministerkarrieren. Er hat an der Universität München studiert und in Freiburg und Heidelberg promoviert.
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