Vom Helden zum Buhmann: So schnell kann es in der Politik gehen. Enthüllungen und emsige Historiker kratzen häufig am Bild von Personen der Zeitgeschichte, wie es jüngst Helmut Kohl erfahren musste. Wir zeigen Ihnen die größten Imagewandel der letzten Jahrzehnte.
Helmut Kohl wollte die Zahl der in Deutschland lebenden Türken in den 1980er Jahren halbieren. Dieser aus britischen Dokumenten jüngst bekannt gewordene Vorstoß
In Deutschland ist in den vergangenen Jahren wohl kein Politiker so schnell und so hoch aufgestiegen und anschließend so tief gefallen wie Karl-Theodor zu Guttenberg – womit ein völliger Wandel seines öffentlichen Image einherging. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere – um das Jahr 2010 herum, da war Guttenberg gerade Verteidigungsminister – wurde er von manchen gar als der nächste Kanzler der Bundesrepublik gehandelt. Adrett und gleichzeitig cool auftretend, oft ein paar denkwürdige Sätze im Gepäck und alles andere als medienscheu inszenierte sich Guttenberg als der letzte aufrechte Politiker Deutschlands. Und gleichzeitig als Idealtypus eines Politikers einer neuen Generation. Unvergessen ist ein Foto von Guttenberg auf dem Time Square in New York. Damals war er eigentlich in den USA, um Opel zu retten.
Begonnen hatte Guttenbergs politische Karriere so richtig, als er 2008 CSU-Generalsekretär wurde. 2009 folgte er dem scheidenden Michael Glos (CSU) als Bundeswirtschaftsminister nach, im gleichen Jahr wurde er Bundesverteidigungsminister. Großen Zuspruch bekam er damals dafür, dass er den Konflikt in Afghanistan als erster deutscher Spitzenpolitiker als Krieg bezeichnete.
Dann, 2011, die Affäre um seine Doktorarbeit. Obwohl Guttenberg es monatelang wieder und wieder leugnete: Die Arbeit, mit der er 2007 diesen wissenschaftlichen Grad verliehen bekam, stellte sich als ein Plagiat heraus. Die Universität Bayreuth entzog ihm den Titel, Guttenberg trat als Verteidigungsminister zurück und wanderte in die USA aus, wo er noch heute lebt. An ein politisches Comeback des einstigen Überfliegers ist gegenwärtig nicht zu denken. Vielen gilt der ehemalige Vorzeige-CSU-ler inzwischen nur noch als Minister-Copy-and-Paste.
Franz Josef Strauß
Auch bei einem anderen bayerischen Urgestein – freilich auch CSU-Mitglied – passt das öffentlichen Bild von einst nicht mehr unbedingt zu dem, was die Geschichte inzwischen noch alles über sein Wirken zu erzählen weiß: Franz Josef Strauß. Als begnadeter Polterer, der nie um einen bissigen Kommentar verlegen war, vertrat Strauß nicht nur eigene und bayerische Interesse innerhalb der alten Bundesrepublik. Er präsentierte sich auch als glühender Anti-Kommunist, der eine harte Haltung besonders im Umgang mit der DDR befürwortete. Eines seiner Lieblingsthemen im Kampf gegen "die Roten": die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Als Strauß von 1956 bis 1962 Bundesverteidigungsminister war, setzte er sich nachhaltig – und erfolglos – dafür ein, die westdeutschen Streitkräfte mit Atomwaffen auszurüsten.
Hinter den Kulissen allerdings war es ausgerechnet dieser Polterer, der die DDR in den 1980er Jahren vor dem Staatsbankrott rettete. Denn Strauß persönlich war es, der als bayerischer Ministerpräsident 1983 einen bundesdeutschen Milliardenkredit für den zweiten deutschen Staat vermittelte und das SED-Regime damit nach Meinung vieler Historiker vor jenem Untergrund bewahrte, der damals sich sechs Jahre später dann nicht mehr verhindern ließ. Vielleicht wäre die DDR ohne Strauß also schon früher Geschichte gewesen.
Wie sehr dieser konspirativ ausgehandelte Geldübergang dem widersprach, was Strauß immer wieder öffentlich predigte, zeigt ein schönes Zitat des 1988 in Regensburg verstorbenen Bayers. In dem Jahr, in dem Strauß nämlich Milliarden für die DDR beschaffte, ließ er im Bundestagswahlkampf verlauten: "Was passiert, wenn in der Sahara der Sozialismus eingeführt wird? Zehn Jahre überhaupt nichts, und dann wird der Sand knapp."
Douglas MacArthur
Die Atombombe hatte viele Freunde. Neben Franz Josef Strauß auch den amerikanischen General Douglas MacArthur, der davon überzeugt war, mit dieser Waffe das ultimative Mittel gegen die Ausbreitung des Kommunismus in der Hand zu haben. Und genau diese Überzeugung sollte den General schließlich seinen Job und einen großen Teil seines Ansehens kosten. Dabei war der Offizier für viele Amerikaner am Ende des Zweiten Weltkriegs ein Nationalheld. Er war einer der maßgeblichen Köpfe der US-Streitkräfte hinter dem erfolgreichen sogenannten Insel-Springen, mit dem die Amerikaner die Japaner schließlich besiegten. So groß war MacArthurs Popularität, dass er am 2. September 1945 die Kapitulation der Japaner entgegennehmen durfte, die den Zweiten Weltkrieg endgültig formal beendete.
Als 1950 der Korea-Krieg ausbrach, war es deshalb nur folgerichtig, dass US-Präsident Harry Truman auf MacArthur setzte, um die Aggressionen der Nordkoreaner zurückzudrängen. Mit diesem Einsatz jedoch begann MacArthurs Stern zu sinken. Immer wieder drängte er Truman zu einem besonders harten Vorgehen gegen die von China und der Sowjetunion unterstützten Nordkoreaner – und sprach sich mehrfach dafür aus, im Korea-Krieg Atombomben einzusetzen. Schließlich wurden die Spannungen zwischen dem Präsidenten und seinem General so groß, dass Truman MacArthur im April 1951 entließ. Dem Ansehen MacArthurs schadete das zumindest in Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit nachhaltig, auch wenn andere Truman für diesen Schritt scharf angriffen.
Und so gilt MacArthur zwar vielen Amerikanern bis heute als Held des Pazifikkrieges. Und noch mehr Südkoreaner verklären ihn, weil sie in ihm den Mann gesehen, der sie vor dem Joch Nordkoreas bewahrt hat. Doch in eher liberalen Kreisen wird MacArthur inzwischen als Kriegstreiber wahrgenommen, der den nuklearen Holocaust riskieren wollte. Als die Republikaner 1952 einen Präsidentschaftskandidaten suchten, fiel ihre Wahl wohl nicht zuletzt wegen des gewandelten Images von MacArthur nicht auf ihn, sondern auf einen anderen Helden des Sieges von 1945; einen, der den Koreakrieg nicht zu eskalieren, sondern zu beenden versprach: Dwight D. Eisenhower. Ihn wählten die Amerikaner schließlich zu ihrem 34. Präsidenten.
Josef Stalin
Dass sich das Image von Mächtigen und Ganz-besonders-Mächtigen ändert, ist nicht nur ein Phänomen von Demokratien. Auch in Diktaturen erscheint mancher nach seinem Tode in einem völlig anderen Licht als zuvor. An keinem Beispiel wird das so deutlich wie am Fall des sowjetischen Diktators Josef Stalin. Während er sich zu Lebzeiten zu einem Halbgott stilisieren ließ und der Kult um seine Person bis heute als Paradebeispiel für die Verehrung von Führern in totalitären Regimes gilt, wird Stalin heute vor allem als Massenmörder wahrgenommen. Millionen Menschen starben während seiner Herrschaft im Machtbereich der Sowjetunion oder wurden in Arbeitslager gesperrt. Berüchtigt sind zudem die Säuberungen, die er in den 1930er Jahren innerhalb seines Systems durchführen ließ. Auch enge Weggefährten ließ jener Mann dabei in Schauprozessen verurteilen und hinrichten, der sich im Kampf um die Nachfolge Lenins als Führer der kommunistischen Welt in den 1920er Jahren durchgesetzt hatte.
Der Umbruch im öffentlichen Stalin-Bild lässt sich recht präzise datieren. Relativ bald nach Stalins Tod 1953 war es sein Nachfolger Nikita Chruschtschow, der auf einer geheimen Rede auf dem 20. Parteitag der kommunistischen Partei der Sowjetunion 1956 die so genannte Ent-Stalin-isierung maßgeblich vorantrieb. Dort berichtete er von einigen der Verbrechen Stalins und verurteilte sie. Auch wenn im kommunistischen Teil der Welt bis zum Ende des Kalten Krieges eine umfassende Auseinandersetzung mit diesen Gräuel ausblieb, endete so doch noch in den 1950er Jahren ein wesentlicher Teil des Kults um Stalin. Nur in Teilen der russischen Gesellschaft wird er heute noch als der Held gefeiert, der die Sowjetunion vor dem Ansturm Nazi-Deutschlands rettete.
John F. Kennedy
Jung, dynamisch und begleitet von den Hoffnungen einer ganzen Generation – so trat John F. Kennedy 1961 seine Amtszeit als amerikanischer Präsident an. Als Nachfolger des alten Eisenhower symbolisierte Kennedy am Beginn der 1960er Jahre den Aufbruch in ein neues Jahrzehnt. Unvergessen ist, wie er bei seiner Rede zum Amtsantritt trotz beißender Januar-Kälte seinen Mantel auszog und so seine vermeintliche Jugend und Widerstandskraft öffentlich zur Schau stellte. Die alten Männer, die damals um ihn herum standen, waren überwiegend in warme Mäntel gekleidet. Es war dieses Gelegenheit, bei der er seinen vielleicht berühmtesten Satz sagte: "Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann. Frage, was Du für Dein Land tun kannst."
Dass Kennedy 1963 einem Attentat zum Opfer fiel, war das letztlich wohl entscheidende Ereignis seiner Amtszeit, das dem jungen Präsidenten über Jahrzehnte hinweg einen ganz besonderen Platz in den Geschichtsbüchern überall auf der Welt sicherte. Bei seinem Tod war Kennedy gerade einmal 46 Jahre alt. In der langen Reihe der amerikanischen Präsidenten galt er damals vielen – manchen bis heute – als einer, der alles anders und besser machen wollte, aber vom politischen System daran gehindert wurde. Oliver Stones Film J.F.K – Tatort Dallas aus dem Jahr 1991 hat maßgeblich zu diesem Mythos beigetragen.
Erst ganz langsam haben Historiker ein anderes, ausgewogeneres Bild von Kennedy gezeichnet, das sich nun aber mehr und mehr auch in den übrigen Teilen der Öffentlichkeit durchsetzt. Tatsächlich war Kennedy nämlich nicht nur ein Mann mit großen Vorsätzen. Er war auch ein kalter Krieger und politischer Hardliner. Entgegen der Darstellung in J.F.K. wollte Kennedy beispielsweise den Krieg in Vietnam nicht um jeden Preis beenden. Im Gegenteil. Er war es, der erstmals eine große Zahl amerikanischer Soldaten in das südostasiatische Land entsendete, in dem sich die USA schon seit den 1950er Jahren politisch, wirtschaftlich und – im kleinerem Umfang – auch militärisch engagierten. Zugleich war Kennedy nicht nur der treu sorgende Familienvater und liebende Ehemann, als der er zu Lebzeiten dargestellt wurde. Über Kennedys zahlreiche Affären nicht nur mit der Schauspielerin Marylin Monroe ist inzwischen viel bekannt geworden. Ein weiteres, inzwischen gelüftetes Geheimnis des jungen Kennedy: Der Mann, der sich als dynamisch und gesund präsentierte, war während großer Teile seiner Amtszeit krankheitsbedingt auf Schmerzmittel angewiesen.
Der amtierende US-Präsident Barack Obama wurde schon mehr als einmal mit Kennedy verglichen. Wie auf seinem weißen Vorgänger ruhten auch auf dem ersten schwarzen Mann an der Spitze der mächtigsten Nation der Welt viele Hoffnungen, als er im Januar 2009 sein Amt antrat. Und damit der Parallelen nicht genug: Denn wie auch bei Kennedy unterliegt das Image von Obama einem Wandel. Während dieser Prozess bei Kennedy allerdings Jahrzehnte dauerte, vollzieht er sich bei Obama viel schneller – noch innerhalb seiner Präsidentschaft.
Zu Beginn seiner Amtszeit galt Obama – wie Kennedy – als Heilsbringer. Sein Wahlkampf 2008 war voll von visionärer Rhetorik. Sie beeindruckte Menschen rund um den Globus so sehr, dass Obama nach nicht einmal einem Jahr im Amt bereits der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Unter anderem hatte Obama versprochen, die USA wieder mit der arabischen Welt zu versöhnen und nicht primär auf Gewalt als Mittel der Außenpolitik zu setzen. Zudem versprach er, die Bürgerrechte viel stärker zu achten als das sein unmittelbarer Vorgänger George W. Bush getan hatte.
Nun, da Obama am Beginn seiner zweiten Amtszeit – er wurde 2012 als Präsident wiedergewählt – angekommen ist, gilt er dagegen in weiten Teilen der Welt als ein Mann, der am eigenen Anspruch gescheitert ist, viele seiner Versprechen nicht halten konnte. Das Gefangenenlager Guantanamo ist noch immer nicht geschlossen. Die Obama-Regierung verfolgt jene, die aus Angst um die Menschen- und Bürgerrechte Geheimnisse verraten, unbarmherzig. Und den leisen, aber nicht weniger mörderische Drohnenkrieg hat Obama nicht beendet, sondern sogar noch ausgeweitet. Trotz Friedensnobelpreis und aller Erwartungen hat auch Obama das getan, was alle US-Präsidenten vor ihm schon getan haben: Das nationale Sicherheitsinteresse über alles andere gestellt.
Husni Mubarak
Dass sich das öffentliche Bild von Politikern nicht nur in eine Richtung, sondern manchmal auch wieder zurückwandeln kann, das könnte die Welt gerade am Beispiel des ehemaligen ägyptischen Staatschefs Husni Mubarak erleben. Vor wenigen Wochen galt er noch als Despot, der die Ägypter jahrzehntelang mit eiserner Faust unterdrückte. Gut möglich, dass er in ein paar Monaten wieder als das gesehen wird, als das er zuvor vielen gerade im Westen galt: als Faktor für Stabilität in Ägypten und im Nahen Osten.
Als ein solcher Garant nämlich war Mubarak bald nach seiner Machtergreifung 1981 im Westen gesehen worden. Er folgte damals auf Anwar Sadat, der von Islamisten ermordet worden war. Weil Mubarak das Land ruhig hielt und sich besonders gegenüber Israel – anders als viele andere arabische Staaten damals wie heute - nicht offen feindselig zeigte, wurde er schnell zu einem wichtigen Partner des Westens. Auf zahlreichen Fotos der 1990er und 2000er Jahre ist Mubarak neben europäischen und amerikanischen Spitzenpolitikern zu sehen. Erst der Arabische Frühling brachte 2011 ein Ende dieses Images von Mubarak mit sich. Als die Menschen in Kairo ihn aus dem Amt jagten, galt Mubarak plötzlich als Diktator, der zu Recht abgesetzt worden war.
Und jetzt? Ägypten steht nach Meinung mancher Beobachter nach dem jüngsten Militärputsch gegen Präsident Muhammad Mursi kurz vor einem Bürgerkrieg. Seit der Absetzung Mubaraks ist das Land nicht wieder zur Ruhe gekommen. Gut möglich, dass, wenn Ägypten noch weiter ins Chaos stürzt, sich auch im Westen mancher noch nach den Zeiten sehen wird, als Mubarak am Nil herrschte. Sollte dem so sein, dann wird man sich wieder an die "guten" Seiten dieses Machthabers erinnern. Sein öffentliches Bild könnte sich erneut wandeln.
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