Soll die AfD auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden? Darüber streitet der Bundestag in einer eineinhalbstündigen Debatte.

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Die Stimmung im Bundestag ist aufgeheizt. Es ist eine angespannte Woche, gerade wurde die AfD erstmals zur Mehrheitsbeschafferin. Es ging um Begrenzung der Migration. Ein Antrag, der keine gesetzgeberische Wirkung hat und somit ohne Not eingebracht wurde. Von der Union, mehrheitsfähig durch AfD und FDP. Ganz zur Freude der AfD.

"Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche", frohlockte der AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann im Anschluss. "Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an, das führen die neuen Kräfte an, das sind die Kräfte von der AfD."

Zwei Anträge zur Überprüfung der AfD

Auch einen Tag später sind alle Scheinwerfer auf die selbsternannte Alternative gerichtet. Entsprechend gut gefüllt sind die Reihen rechts außen im Plenum des Bundestags, wo die Fraktion sitzt. Eineinhalb Stunden diskutieren die Parlamentarier darüber, ob das Bundesverfassungsgericht sich mit der Überprüfung der Verfassungswidrigkeit der AfD beschäftigen soll. Eingebracht wurde der Antrag zur Überprüfung der AfD von einer überparteilichen Gruppe von 124 Abgeordneten um den CDU-Politiker Marco Wanderwitz.

Ein weiterer Gruppen-Antrag um die Grünen-Politikerin Renate Künast fordert die Beauftragung eines Gutachters durch die Präsidentin des Bundestags. Ein Parteiverbotsverfahren könne nur Erfolg haben, wenn eine umfassende Grundlage an belastbaren Beweisen vorliege, hatte Künast im Vorfeld erklärt.

Letztlich wollen also beide Gruppen den ersten Schritt gehen zu einer Überprüfung einer möglichen Verfassungswidrigkeit der AfD. Abgestimmt wird an diesem Tag allerdings nicht, die Anträge werden in den Ausschuss für Inneres übergeben und dort weiterentwickelt.

Und trotzdem: Die Debatte an diesem Tag hat es in sich. Die Stimmung ist zum Greifen dick. Viele der Reden tragen Pathos in sich. So spricht etwa Stefan Seidler vom Südschleswigschem Wählerverband (SSW) davon, der aktuelle Bundestag sei womöglich "der letzte Bundestag, der das noch kann". Minderheiten seien immer die ersten, die spürten, wenn sich etwas verändere.

Zahlreiche andere bemühen die "Mütter und Väter des Grundgesetzes", die genau für einen Fall wie die AfD das "scharfe Schwert" des Parteienverbots im Artikel 21 in die Verfassung geschrieben hätten. Demnach können Parteien, "die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden" durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden.

Hürden für Parteienverbot sind hoch

Für ein Parteiverbot gibt es in Deutschland historisch begründet hohe Hürden. In einem früheren Gespräch mit dieser Redaktion merkte etwa der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler von der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg an, dass ein solches Verbot auch dann schwierig werden könnte, wenn der Partei verfassungswidrige Aussagen nachgewiesen werden können.

Für ein Verbot nämlich müsste sie aktiv an der Abschaffung der Verfassung arbeiten. Das bedeutet: Einschüchterungstaktiken, umstürzlerische Handlungen oder Aufstände müssten im direkten Zusammenhang mit der Partei stehen.

Hinzukommt: Es muss sogenannte Staatsfreiheit bestehen. Das bedeutet, dass jegliche verfassungswidrigen Handlungen und Aussagen unabhängig von sogenannten V-Leuten getätigt werden müssen. V-Leute sind Vertrauenspersonen, die mit dem Verfassungsschutz kooperieren und ihm Informationen liefern. Auch deshalb fordern die Initiatoren um Wanderwitz, Bundesregierung und Länder auf, dafür zu sorgen, dass alle Anforderungen für ein solches Verfahren gegeben sind.

Emotionale Debatte im Bundestag

Die Debatte im Bundestag schlägt mitten rein in extrem polarisierte Zeiten. Auch an diesem Tag demonstrieren Tausende vor der CDU-Parteizentrale in Berlin. Der Grund: Die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD für eine schärfere Migrationspolitik. In den vorausgegangenen Tagen gab es immer wieder (Groß-)Demonstrationen für die Demokratie und gegen Rechts.

Die Angst um die Demokratie, sie treibt dieser Tage viele um. Auch deshalb fühlen sich die Unterstützer der beiden Anträge, die auf eine Überprüfung der AfD hinwirken sollen, der breiten Gesellschaft verpflichtet. Initiator Marco Wanderwitz (CDU) spricht in seiner Einbringungsrede die AfD direkt an: "Die AfD ist keine Partei, die ein bisschen rechts ist. Sie sind Verfassungsfeinde, Feinde unserer Demokratie, Sie sind Menschenfeinde." "Sie sind ein Realitätsfeind", schallt es aus den Reihen der AfD zurück.

Die AfD höhnt und grölt. Mal lachen die Abgeordneten, mal beschweren sie sich lautstark. Zeitweise wirkt es, wie auf einem Fußballplatz. Der zweite Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Bundestag, Stephan Brandner, wird zum Ende der Debatte zur Ordnung gerufen, weil er zweimal von "Sozialfaschisten" gesprochen hat.

Der AfD-Parlamentarier Peter Boehringer bezeichnet die Forderung nach einem Verbot seiner Partei naturgemäß als absurd: "Selbstverständlich liegt der AfD in ihrer gesamten Breite nichts ferner als die Verletzung des Demokratieprinzips."

Sorge um Demokratie eint Parteien

So überzeugt die Antragssteller von der Notwendigkeit eines Verbotsverfahrens sind, so sehr sorgen sich die Kritiker. Philipp Amthor (CDU) etwa meint, mit einem solchen Antrag gebe man der AfD kurz vor der Bundestagswahl die Möglichkeit, sich als Opfer zu präsentieren. Die weitere Sorge: Scheitert der Antrag, wäre das ein "demokratisches Gütesiegel, das der Partei nicht zusteht."

Ebenfalls skeptisch zeigt sich FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle. Schon jetzt gebe es bei vielen Menschen eine Entfremdung von den Institutionen der liberalen Demokratie, sagt er. Diese Entwicklung würde durch ein Verbotsverfahren nicht beendet, sondern noch verstärkt.

Befürworter hingegen tun die Sorge kund: Wenn wir es jetzt nicht machen, wird es irgendwann zu spät sein. Bei den einen ist es fünf vor zwölf – bei den anderen bereits fünf nach. Manche sagen "Wehret den Anfängen" – andere sprechen davon, dass die Anfänge bereits vorbei sind.

Klar wird an diesem Abend im Bundestag: Die Sorge um die Demokratie, sie besteht. Die Parlamentarier geben lediglich unterschiedliche Antworten darauf. Und die AfD? Die scheint sich ins Fäustchen zu lachen. Sie nennt die anderen Parteien undemokratisch, weil sie ihre politische Konkurrenz verbieten wollten. Getroffene Hunde bellen, so zumindest wirkt es.

Dass ein Verfahren gegen die AfD erfolgreich wäre, ist aber tatsächlich alles andere als ausgemacht. Klar ist nur: Eine solche Entscheidung kann nur das Bundesverfassungsgericht treffen – und sollte es zu einem Verfahren kommen, kann dieses lange dauern.

Verwendete Quellen

  • Besuch der Plenardebatte
  • Material der dpa
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