Der Islamische Staat (IS) ist wieder auf dem Vormarsch: In Syrien hat die Terrormiliz nach der Einnahme der Stadt Palmyra mittlerweile über 50 Prozent der Landes unter seiner Kontrolle, im Irak konnten die Dschihadisten zuletzt die Stadt Ramadi rund 100 Kilometer westlich von Bagdad erobern. Wie der IS noch zu stoppen ist.

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In den USA läuft bereits die Debatte, ob der Kampf gegen den IS alleine mit Luftangriffen, dem irakischen Militär und von Iran unterstützten Milizen zu gewinnen ist - oder ob doch Bodentruppen entsendet werden müssen. Im Interview erklärt der Islamismus-Experte Dr. Stephan Rosiny vom Giga-Institut, warum der IS so schwer zu besiegen ist, welche Rolle die Regionalmächte Saudi-Arabien, Türkei und Iran spielen - und ob ein Einsatz von US-Bodentruppen nötig wird.

Herr Rosiny, vor einigen Wochen sagten Sie, dass der Islamische Staat (IS) militärisch bald besiegt sein wird? Aktuell stellt sich die Lage anders dar.

Dr. Stephan Rosiny: Es war damals optimistisch, von einem schnellen Zerfall des Islamischen Staates (IS) als Territorialstaat auszugehen. Insbesondere eine Prämisse meiner These ist nicht eingetreten: Die nahöstlichen Staaten haben sich nicht gegen die gemeinsame Bedrohung des IS zusammengeschlossen und haben keine gemeinsame Gegenstrategie entwickelt. Stattdessen haben sich die alten Rivalitäten verstärkt. Aktuell kämpft nur Jordanien als sunnitisch-arabischer Staat an der Seite der USA. Alle anderen Länder der Region - abgesehen vom schiitischen Iran - halten sich aus dem Konflikt weitgehend heraus - und kämpfen stattdessen im Jemen.

Warum findet sich im Nahen Osten keine Allianz gegen den IS?

Es ist innenpolitisch einfacher für die sunnitischen Staaten, gegen die schiitischen Huthis im Jemen, die mutmaßlich auch noch vom Iran unterstützt werden, zu kämpfen als gegen die sunnitischen IS-Extremisten im Irak.

Warum tut sich die irakische Armee, die ja von den USA sowohl ausgebildet als auch bewaffnet wird, so schwer gegen den IS Siege einzufahren?

Die irakische Armee ist durch Korruption und Ineffizienz geschwächt. So haben Armeekommandeure zum Beispiel wesentlich mehr Soldaten in ihren Einheiten angegeben als in Wirklichkeit vorhanden sind. Deren Sold haben sie dann selbst eingesteckt. Zudem kommt die Bewaffnung der sunnitischen Stämme nicht Recht voran, weil man ihnen misstraut, die Waffen an den IS weiterzureichen. Zum Hintergrund: Es gab bisher zwei Konstellationen, in denen man gegen den IS gekämpft hat. Einerseits setzt man auf schiitische Milizen, die auch von Iran unterstützt werden. Die waren beispielsweise an der Befreiung von Tikrit stark beteiligt. Dadurch wurde der Konflikt aber konfessionalisiert, weil Schiiten gegen Sunniten kämpften. Das bestätigt das Selbstbild des IS, er verteidige die Sunniten gegen die Schiiten. In Ramadi hat man es anders versucht: Dort war die irakische Armee stationiert, hat dem Angriff des IS aber nicht standgehalten.

Weshalb konnte sich der IS durchsetzen?

Unter anderem wegen des brutalen Vorgehens des IS. Der IS ist militärtaktisch geschickt, weil sich viele ehemalige Militärs von Saddam Hussein ihm angeschlossen haben. In Ramadi spielte wohl auch das Wetter eine Rolle: Es gab einen starken Sandsturm, so dass die US-Luftwaffe im entscheidenden Moment keine Angriffe fliegen konnte.

Was ist das Besondere an der Taktik des IS?

Gegen die Guerilla- oder Terror-Taktik des IS kommt man mit einer traditionellen Militärstrategie nicht an. Wie soll man sich beispielsweise gegen Selbstmordattentäter verteidigen, die in umkämpfte Städte geschickt werden? Man darf nicht vergessen: Auch die US-Bodentruppen sind während des Irak-Kriegs dagegen nicht angekommen. Und die IS-Strategie hat weitere schlimme Auswirkungen: So werden aktuell viele Flüchtlinge aus Ramadi nicht nach Bagdad gelassen, weil man befürchtet, dass sich Selbstmordattentäter unter sie mischen. Damit schafft der IS auch noch eine tiefe Spaltung der Bevölkerung, weil sich die zumeist sunnitischen Flüchtlinge vom mehrheitlich schiitischen Bagdad im Stich gelassen fühlen.

Muss die USA am Ende Bodentruppen senden, um den IS zu besiegen?

Bodentruppen als letzte Option können wahrscheinlich nicht völlig ausgeschlossen werden - denken Sie etwa an den Fall, dass dem IS ein Durchbruch nach Bagdad gelingen würde. Allerdings birgt das auch schwer abschätzbare Risiken, weil viele der jetzt gegen den IS kämpfenden schiitischen Milizen noch bis vor wenigen Jahren gegen die US-Truppen gekämpft haben. Der große Unterschied wäre allerdings, dass die USA diesmal nicht wegen eines 'Regime-Wechsels' intervenieren würden, sondern wegen eines Hilferufs der irakischen Regierung.

In Syrien hält der IS mittlerweile über 50 Prozent des Landes. Wie schätzen Sie die Lage dort ein?

In Syrien hat sich in den vergangenen Monaten das Machtgleichgewicht verschoben: Die zuvor zerstrittenen Regionalmächte Saudi-Arabien, Türkei und Katar unterstützen mittlerweile gemeinsam eine Miliz, die "Armee der Eroberung", die große Landgewinne gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad erzielt hat. Der IS nutzt nun seinerseits die Schwächung des Regimes, um Land zu gewinnen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass der Großteil des eroberten IS-Territoriums dünn besiedelte Wüste ist.

Wie lange wird der Krieg gegen den IS noch dauern?

Die Frage ist, wie sich die Regionalmächte positionieren und ob sie endlich einsehen, dass der IS eine große Gefahr für ihre eigene Machtbasis ist. Diese Einsicht scheint zuletzt abhandengekommen zu sein. So will sich beispielsweise die junge Elite unter dem neuen König Salman in Saudi-Arabien im Krieg gegen die schiitischen Huthis im Jemen profilieren - statt gegen den sunnitischen IS vorzugehen, der einige Sympathisanten in Saudi-Arabien hat. Insgesamt muss man feststellen, dass sich die konfessionelle Wahrnehmung des Konflikts verschärft. Meines Erachtens verkalkulieren sich die sunnitischen Regime mit ihrer Zurückhaltung im Kampf gegen den IS, weil diese Länder letztendlich alle auf der 'Wunschliste' des IS stehen.

Welche Lösungsoptionen - vor allem für Syrien - gibt es?

Für Syrien gilt: Das Regime und die verschiedenen Oppositionskräfte müssen einsehen, dass sie den Konflikt militärisch nicht für sich entscheiden können. Anschließend muss es zu einem Friedensschluss kommen, in dem es keine Sieger und keine Besiegten gibt - ähnlich wie nach dem libanesischen Bürgerkrieg. Die verschiedenen Gruppen müssten sich die Macht im Staat teilen. Auch die Regionalmächte müssen einsehen, dass sie nicht alleine die Geschicke Syriens bestimmen können. Ein Friedensschluss liegt in ihrem eigenen Interesse: Denn sollten die radikalen Dschihadisten Assad in Syrien stürzen, werden sie aus Syrien eine Basis des Dschihad machen. Viele werden siegestrunken in ihre Heimatländer zurückkehren - und werden dort versuchen, die eigenen Regime zu stürzen. Es geht hier um mehrere tausend IS-Kämpfer, die aus Saudi-Arabien, Tunesien und vielen anderen arabischen Ländern kommen. Ähnlich war es auch nach dem Ende des Afghanistan-Krieges 1989, als etwa algerische und ägyptische Dschihadisten in ihre Heimatländer zurückkehrten und dort jahrelange Bürgerkriege angezettelt haben. Das dürfte sich diesmal noch schlimmer wiederholen, weil die Zahl der Kämpfer sehr viel höher ist.

Dr. Stephan Rosiny ist Research Fellow am German Institute of Global and Area Studies (GIGA). Er forscht und lehrt zu den Bereichen Politischer Islam und Islamismus sowie Religion und Gewalt und Sunna-Shia-Kontroversen.
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