- Großbritanniens Premier Boris Johnson wollte nach dem EU-Austritt schnell einen Freihandelsvertrag mit den USA schließen.
- Ein Abkommen ist denkbar – die wirtschaftlichen Interessen beider Länder überschneiden sich zum Teil.
- Der neue US-Präsident Joe Biden hat derzeit aber offenbar andere Prioritäten.
Seit einem Jahr ist Großbritannien nicht mehr Mitglied der Europäischen Union – und für diese Post-Brexit-Zeit hatte sich die Regierung hohe Ziele gesetzt.
Ein "Champion des freien Handels" wolle man werde – so drückt es das Londoner Handelsministerium aus. Auch Premierminister
Brexit: Wahlsieg von Biden als Rückschlag
Hinter seinem prominentesten Vorhaben in diesem Bereich stehen allerdings Fragezeichen. Im Frühjahr 2020 hatte das Vereinigte Königreich Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen aufgenommen. Mit dem damaligen Präsidenten
Inzwischen ist der Republikaner abgewählt, in Washington regiert jetzt der Demokrat Joe Biden. Viele Experten werteten dessen Wahlsieg als Rückschlag für Johnsons Handelspläne. Der neue Mann im Weißen Haus gilt als Befürworter der europäischen Zusammenarbeit, den Brexit hat er sehr kritisch gesehen. "Präsident
Die Rechtsanwältin ist Partnerin der Kanzlei Baker McKenzie und Expertin für internationalen Handel. "Biden wird sich vor allem auf die Bewältigung der Corona-Pandemie fokussieren. Außerdem hat er angekündigt, dass er zuallererst die heimische Wirtschaft ankurbeln will", sagt Thoms.
Viele gemeinsame Interessen
"Ich denke, dass die Chancen auf ein Abkommen unter Joe Biden etwa gleich groß bleiben", sagt wiederum Martin Braml, Experte für internationalen Handel am ifo-Institut, im Gespräch mit unserer Redaktion. Für die Amerikaner sei das Vereinigte Königreich als Absatzmarkt für Lebensmittel interessant.
Mit der Europäischen Union hatten sich Handelsgespräche aus USA-Sicht immer schwierig gestaltet – vor allem, weil die EU ihre Agrarmärkte schützen will. "Die Briten haben aber ein weniger emotionales Verhältnis zu ihrer Landwirtschaft", sagt Braml. Sie könnten zudem auf stärkere Exporte ihrer Automarken in die USA hoffen.
"Und bei den Finanzdienstleistungen haben beide Seiten Interesse an einer Liberalisierung." Braml sieht daher zumindest aus wirtschaftlicher Sicht keine Hindernisse für ein Freihandelsabkommen. "Da wird weiterverhandelt, und wahrscheinlich wird es in den nächsten Jahren auch zu einem Abschluss kommen."
Vertrag wohl erst in mehreren Jahren
Johnson hatte auf ein UK-US-Abkommen noch in diesem Jahr gehofft. "Das halte ich für ausgeschlossen", sagt Rechtsexpertin Thoms. Ein Handelsvertrag zwischen zwei so großen Volkswirtschaften nehme mehrere Jahre in Anspruch. Die enge politische Freundschaft mache die Verhandlungen nicht automatisch einfacher – die USA seien harte Verhandlungspartner.
"Ich merke immer wieder, dass der Fortschritt sehr stark davon abhängt, wie viel Zeit die jeweiligen Regierungen investieren", sagt Thoms. Dass vor allem die amerikanische Seite derzeit eher weniger Zeit investiert, glauben viele Beobachter. Handelsabkommen würden auf der Prioritätenliste der Biden-Administration ganz unten stehen, sagte der britische Handelsexperte Peter Holmes dem Online-Magazin "Politico". "Ein separater Handelsdeal mit dem Vereinigten Königreich wird relativ unwichtig sein."
Schon mehrere Verträge ausgehandelt
Als eine der größten Volkswirtschaften der Welt hat Großbritannien großes ökonomisches Gewicht. Ohne die EU-Mitgliedschaft besitzt das Land zwar weniger Verhandlungsmacht, kann dafür aber unabhängiger agieren. 2020 hat London schon mehrere bilaterale Freihandelsabkommen ausgehandelt: etwa mit Japan, Singapur, Vietnam und der Türkei.
Die EU hat mit diesen Staaten allerdings ebenfalls Handelsverträge vereinbart. Die Deals haben den Briten also in erster Linie geholfen, die Wirtschaftsbeziehungen mit diesen Ländern auf den Stand der Vor-Brexit-Zeit zu bringen. Martin Braml vom ifo-Institut findet es trotzdem erstaunlich, dass das Königreich schon mehr als 70 Abkommen ausgehandelt hat.
Der Deal in letzter Minute mit der Europäischen Union hat zudem verhindert, dass die Insel vom europäischen Markt abgeschnitten ist. "Den Marktzugang zur EU haben die Briten erhalten, außerdem haben sie viele EU-Handelsverträge in eigenes Recht überrollt", sagt Braml. "Zumindest aus handelspolitischer Sicht ist bisher nicht zu erkennen, dass der Brexit für Großbritannien schädlich gewesen wäre."
EU bleibt Großbritanniens Handelspartner
Anahita Thomas sieht das anders. "Man muss sich doch fragen: Steht die Handlungsfreiheit, die man sich durch den Brexit erkauft hat, im Verhältnis zu den Nachteilen? Ich denke, dass das nicht der Fall ist." Die Briten seien durch den Deal mit der EU weiter an bestimmte Regeln des europäischen Binnenmarktes gebunden.
Auch das Nicht-EU-Mitglied Schweiz ärgere sich häufig über Normen und Gesetze aus Brüssel, passe seine eigenen Regeln dann aber doch daran an. "Im Rahmen von internationalen Verträgen kann man nicht einfach machen, was man will, sondern muss sich an die Vereinbarungen halten", betont Thoms.
Auch ohne die Vollmitgliedschaft bleibt die Europäische Union zudem der wichtigste Handelspartner der Briten. Rund 20 Prozent der britischen Exporte gehen zwar in die USA. Selbst die Regierung in London schätzt den Wohlstandsgewinn durch ein britisch-amerikanisches Freihandelsabkommen aber auf lediglich 0,07 bis 0,16 Prozent.
Verwendete Quellen:
- Department for International Trade: UK-US Free Trade Agreement
- Politico.eu: 5 things to expect from Joe Biden on UK trade
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