Corona-Talk bei Maybrit lllner: Während sich Peter Altmaier (CDU) und Christian Lindner (FDP) gegenseitig das Wort abschnitten, übte sich die Gastgeberin in China-Bashing. Daniel Cohn-Bendit (Grüne) hatte einen kreativen Vorschlag für den Bayer-Konzern parat – Impfstoff statt Glyphosat produzieren.
Die Corona-Pandemie hat Deutschland auch 2021 weiter fest im Griff. Das Virus kennt keine Grenzen - seine Mutationen erst recht nicht. Trotz sinkender Zahlen macht die schleppende Impfstoff-Beschaffung Probleme, auch in den anderen EU-Staaten. Warum läuft es in Großbritannien oder den USA besser als in Europa? Wie kann das Impfchaos beseitigt werden? Bleibt der europäische Gedanke durch drohende Grenzschließungen einzelner EU-Staaten auf der Strecke? Über diese und weitere Fragen diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen. Titel der Sendung: "Virus ohne Grenzen – hat Europa die Kontrolle verloren?"
Das sind die Gäste bei Maybrit Illner
Schließlich sprach sich Lindner, der nicht gerade als Kämpfer für die Benachteiligten bekannt ist, überraschend für die ausreichende Versorgung Afrikas mit Impfstoff aus. Für ihn ein Schlüssel, um die Pandemie weltweit zu bekämpfen.
Daniel Cohn-Bendit: Als Dritter im Bunde saß der Publizist und langjährige EU-Abgeordnete (Bündnis 90/Die Grünen) in
Schließlich forderte er Altmaier ganz direkt auf, die großen Pharmafirmen an die Kandare zu nehmen – mit einer Art Notstandsgesetzgebung für die Produktion. "Dann soll Bayer kein Glyphosat mehr produzieren, sondern Impfstoff." An diesem Abend war es der Senior (75 Jahre), der die kreativsten Vorschläge parat hatte. Und wer hätte das gedacht? Altmaier lenkte tatsächlich ein. Ja, er wäre bereit, über Zwangsmaßnahmen zu sprechen, wenn der gute Wille bei den deutschen Pharmafirmen nicht ausreicht, die Impfstoffproduktion nach oben zu treiben. Staatliches Eingreifen und dann noch mit Zwang – da schreien CDU-Politiker eigentlich gerne mal "Sozialismus!"
Diana Zimmermann: Die zugeschaltete Leiterin des ZDF-Studios London erzählte aus erster Hand von der Corona-Lage auf der Insel. Neben viel Leid ist da auch Schadenfreude. Politiker der britische Regierung würden es mit einem "süffisanten Lächeln" auskosten, dass die EU bei der Impfstoffbestellung hinterherhinkt. Für Premierminister Boris Johnson ist das nach einem desaströsen Corona-Jahr 2020 ein seltenes Erfolgserlebnis: Schaut her, der Brexit funktioniert. Nur: In den Augen Zimmermanns könnte das Vereinigte Königreich auch durch ein hervorragendes Impfprogramm die Fehler der ersten Coronajahres nicht wieder gut machen.
Cathryn Clüver Ashbrook: Krisenstimmung auch in den USA. Die deutsch-amerikanische Politologin berichtete aus den USA, dass das Land trotz großer Mengen bestellten und ausgelieferten Impfstoffs weit hinter den Impfplänen der Regierung Trump hinterher hinke. Heißt im Umkehrschluss: Nur weil Deutschland und die EU mit dem Impfen etwas bummeln, stehen Großbritannien und die USA in der Gesamtschau der Pandemiebekämpfung noch lange nicht besser dar.
Das war das Rededuell des Abends bei Maybrit Illner
Christian Lindner und Peter Altmaier waren in vielen Dingen einer Meinung. Als der FDP-Mann der Bundesregierung aber ein zu langsames Vorgehen bei der Umstellung auf die Impfstoffproduktion vorwarf, wurde es hektisch und lauter. Altmaier: "Darf ich bitte mal ausreden!". Lindner: "Sie haben ja mir zuerst das Wort entzogen" Als Altmaier einen Satz mit "Das Werk in Marburg..." begann, fiel ihm der Liberale sofort ins Wort. Sehr viel später lobte Lindner Altmaier doch noch für die schnelle Umrüstung des Marburger Biontech-Werks, für das am Donnerstag eine arzneimittelrechtliche Genehmigung erteilt wurde.
Das war der Moment des Abends
Der Moment des Abends gehörte Daniel Cohn-Bendit. Die Grünen-Ikone, inzwischen schon 75 Jahre alt, kann sich immer noch herrlich empören. Dieses Mal, als Maybrit Illner in die Runde fragte, warum es die EU nicht so schnell wie Großbritannien hinbekommen habe, Notverordnungen für Medikamente und Impfstoffe zu erlassen "Ich möchte nicht in einem Staat leben, der so auf Risiko geht", entfuhr es Cohn-Bendit lautstark. Lindner stimmt ihm zu und Altmaier erinnerte an das Beruhigungsmittel Contergan, das in der BRD für 5.000 bis 10.000 Neugeborene mit Fehlbildungen verantwortlich gemacht wird.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Mit dem Temperament ihrer Gäste hatte Illner in dem dieses Mal wenig kontroversen Donnerstagabendtalk keine größeren Schwierigkeiten. Was hängen blieb, waren ihre spitzen Bemerkungen Richtung China. Einmal kritisierte Illner Pekings Einflussnahme während der Coronakrise in der Dritten Welt. Über die schlimmen Zustände in Norditalien im vergangenen Frühjahr bemerkte Illner, dass es "ausgerechnet die Chinesen", gewesen seien, "die zuerst halfen".
Das ist das Ergebnis
Bei zwei Sachverhalten herrschte Einigkeit an diesem Abend: Altmaier, Lindner und Cohn-Bendit hofften auf eine schnelle Ausweitung der Impfstoffproduktion sowie der Impfungen in der EU und speziell in Deutschland. Altmaier ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen, wir würden nur noch "ein bis zwei Monate mit Einschränkungen leben müssen". Das steht dem Szenario des Virologen Christian Drosten gegenüber, der angesichts der sich schnell ausbreitenden neuen Virusvarianten zuletzt vor 100.000 Neuansteckungen im Sommer gewarnt hatte, wenn die Corona-Maßnahmen zu schnell beendet werden.
Lindner sprach sich angesichts des langsamen Impftempos für einen Plan B aus, mit dem man in einer nicht durchgeimpften Gesellschaft Freiheit und Gesundheitsschutz besser balancieren könne. Wie genau der Plan aussehen soll, verriet er nicht. Außerdem will der FDP-Chef an die Impfpriorisierung ran: Menschen mit Behinderung und Menschen mit Pflegegrad vier sowie Lehrerinnen und Lehrer sollten schneller ihren Pieks bekommen. Davon fühlte sich irgendwie auch Daniel Cohn-Bendit angesprochen: "Ich bin 75. Ich will das der Altmaier mir bald mal eine Impfung gibt. Das ist doch klar", sagte er mit einem Augenzwinkern. Da hatte er den Wirtschaftsminister vielleicht mit Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) verwechselt. Der ist Arzt.
Schließlich erinnerte die zugeschaltete deutsch-italienische Journalistin Tonia Mastrobuoni an einen selten beachteten Effekt der Pandemie: Populisten haben europaweit weniger Zuspruch, weil die EU-Länder in der Krise mehr zusammenhalten. Auch in Deutschland hängt die AfD in den Sonntagsumfragen um die zehn Prozent. Vielleicht war das die Erkenntnis des Illner-Talks: in dem ganzen Corona-Schlamassel auch mal auf die netten Nebeneffekte schauen.
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