Im Mai 2010 hat die EU den Euro-Rettungsschirm aufgespannt. Auch in der Coronakrise geht es wieder um große Summen – und die alten Konflikte spielen erneut eine Rolle.

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Anfang Mai 2010 steht Europa auf der Kippe. Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise droht dem hochverschuldeten Griechenland die Zahlungsunfähigkeit. Diese könnte Folgen haben – für die Banken, die gemeinsame Währung, das gesamte europäische Wirtschaftssystem. In der Nacht vom 9. auf den 10. Mai einigen sich die EU-Staats- und Regierungschefs daher auf einen nie dagewesenen Schritt: Sie spannen den Euro-Rettungsschirm auf.

Reformen als Bedingung für fließendes Geld

Hinter der bildhaften Bezeichnung verbergen sich mehrere Maßnahmen, im Zentrum steht die "Europäische Finanzstabilisierungsfazilität", kurz EFSF: Die Kapitalgesellschaft kann insgesamt 440 Milliarden Euro an Notkrediten an die EU-Mitgliedsstaaten vergeben, sie werden abgesichert durch Garantien der Euro-Länder in Höhe von 780 Milliarden Euro. Neben Griechenland erhalten auch Irland und Portugal EFSF-Kredite.

Das Geld fließt aber nur, wenn die Empfängerländer im Gegenzug drastische, teils schmerzhafte Reformen durchführen. Sie müssen zum Beispiel Sozialleistungen kürzen, um ihre Haushalte zu sanieren. Der Rettungsschirm ist daher umstritten: Die Bevölkerung der Empfängerländer leidet unter den Folgen der Sparmaßnahmen, etwa unter gestiegener Arbeitslosigkeit. Auch in den Geberländern formieren sich Kritiker, die der Bundesregierung vorwerfen, Hunderte Milliarden Euro an den armen Süden zu verpfänden. In Deutschland etwa legt diese Kritik den Grundstein für die AfD.

Politisch gesehen vertieft sich der Graben zwischen den finanzstarken Ländern in der Mitte und im Norden der EU und den ärmeren Staaten im Süden. Doch zehn Jahre nach dem Aufspannen des Schirms könne man die Maßnahme als erfolgreich bezeichnen, findet Jürgen Matthes, Leiter des Kompetenzfelds Internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Bis auf Holprigkeiten im Fall von Griechenland sind die Länder zeitgemäß wieder aus dem Programm ausgetreten. Und auch in Griechenland ging es letztendlich wirtschaftlich wieder aufwärts", sagt Matthes im Gespräch mit unserer Redaktion.

Das Provisorium EFSF wird 2013 durch den dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ersetzt, eine Art europäischen Währungsfonds. Auch der ESM kann unter strengen Auflagen Darlehen an Krisenstaaten vergeben.

Unterschiede in der Coronakrise

Zu Ende war das innereuropäische Ringen um die Finanzen damit noch lange nicht. Gerade ist das Thema wieder hochaktuell. Denn auch bei der Bewältigung der Folgen der Coronakrise geht es um viel Geld. Vor allem Italien – schon zuvor wegen hoher Staatsschulden ein Sorgenkind der europäischen Finanzpolitik – ist massiv vom Virus und seinen wirtschaftlichen Folgen betroffen.

Dieses Mal geht es möglicherweise um noch mehr Geld. Mehr oder weniger beschlossen ist bisher ein 540 Milliarden Euro schweres Hilfspaket der EU. Es soll aus Unternehmenskrediten der Europäischen Investitionsbank sowie aus Krediten bestehen, die die EU-Kommission für die Bezahlung der Kurzarbeit an die Mitgliedstaaten weiterreicht. Den größten Teil – nämlich 240 Milliarden Euro – machen Kredite des ESM aus.

Gerade um Letzteren hatte es Streit gegeben. Vor allem populistische Parteien in Italien sehen den ESM kritisch, weil sie sich nicht den strengen Vorgaben der Geldgeber unterwerfen wollen. Die anderen Staaten kamen dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Conte Ende April daher entgegen. "Der große Unterschied zur Finanzkrise besteht darin, dass der ESM auf Reformbedingungen sehr weitgehend verzichtet", sagt Jürgen Matthes. Die Gelder sollen in das Gesundheitssystem fließen, sind ansonsten aber nicht an Bedingungen geknüpft. "Das ist in diesem Fall auch angebracht, weil dieser Schock wirklich alle trifft und nicht hausgemacht ist", so Matthes.

Viele Fragen noch offen

Doch das ist nicht alles. Die EU-Kommission spricht von noch deutlich größeren Geldsummen, um die europäische Wirtschaft nach dem Corona-Schock wieder aufzubauen. Nicht nur Italien, auch Frankreich und Spanien favorisieren daher Euro-Bonds – also Schulden, die die Euro-Staaten gemeinsam aufnehmen und für die sie gemeinsam haften. Beim ESM haften die einzelnen Staaten nur für einen rechtlich klar begrenzten Teil der Schulden. "Wenn man Euro-Bonds dagegen wie meistens gefordert als gesamtschuldnerische Haftung versteht, könnte ein einzelnes Land wie Deutschland rein theoretisch für alle gemeinsamen Schulden geradestehen müssen", sagt Jürgen Matthes.

Die Regierungen von Deutschland, den Niederlanden, Österreich und Finnland weigern sich daher, gemeinsame Schulden aufzunehmen. Um das Konzept zu umgehen, ist der eine Billion Euro schwere "Wiederaufbaufonds" im Gespräch. Er könnte in den EU-Haushalt integriert werden und Geld für kriselnde Staaten bereitstellen. Ob es diesen Fonds wirklich geben wird, ist aber ungewiss. Strittig ist, ob die Mittel in Form von Krediten, die wieder zurückbezahlt werden müssen, oder aber in Form von Transfers fließen sollen. Unklar ist zudem, woher das Geld für den Fonds stammen könnte. Aus einer neuen EU-weiten Steuer? Aus zusätzlichen Zahlungen der reicheren Länder an den EU-Haushalt? Darüber gibt es je nach politischem Standpunkt höchst unterschiedliche Ansichten. Der politische Graben in Europa ist in den vergangenen zehn Jahren nicht kleiner geworden.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Jürgen Matthes, Institut der deutschen Wirtschaft Köln
  • Bundesfinanzministerium.de: Europäische Finanzstabilisierungsfazilität
  • Bundesregierung.de: Euro-Schutzschirm – was sind ESM, EFSF und EFSM?
  • FAZ.net: Nach dem EU-Gipfel – das Endspiel um den Euro
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