Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt ein Umweltexperte, warum das Image von Angela Merkel als Klimakanzlerin längst überholt ist.

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Wie lange werden sie brauchen? CDU/CSU, FDP und die Grünen streiten um die Bedingungen einer gemeinsamen Regierung. Intensiv wird insbesondere um die Klimapolitik gerungen.

Kurzum: Die Grünen wollen den Kohleausstieg und das Aus des Verbrennungsmotors bis 2030. Die Union und die FDP lehnen beides ab. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schweigt zum Thema.

Angela Merkel galt als Klimakanzlerin

Dabei galt die alte und wohl künftige Regierungschefin einst als Klimakanzlerin. Hat sie ihre Prioritäten etwa überworfen? "Ihr Image als Klimakanzlerin ist angestaubt, der Begriff überholt", sagt Jürgen Maier vom "Forum Umwelt und Entwicklung" im Gespräch mit unserer Redaktion.

Das NGO-Netzwerk setzt sich für nachhaltige Entwicklung ein. "Es ist lange her, dass sie sich da engagiert hat", meint Umwelt-Experte Maier. In der Tat liegen Anspruch und Wirklichkeit in der Klimapolitik der Kanzlerin weit auseinander, ihre Bilanz ist schlecht.

Angela Merkel warb bei Donald Trump

Dass die 63-Jährige bei US-Präsident Donald Trump hartnäckig um einen Verbleib der USA im Pariser Klimaabkommen warb, täuscht über eigene Nachlässigkeiten hinweg. Denn: Deutschland wird dessen Ziele selbst nicht einhalten.

"2017 werden die Emissionen steigen, obwohl sie eigentlich sinken sollten. Deutschland wird das Ziel, die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, krachend verfehlen. 2007 hatte Merkel das Ziel definiert. Sie hatte genügend Zeit", erzählt Maier.

Es werde wohl gerade einmal für 30 Prozent reichen. Die beiden letzten Merkel-Regierungen hätten vielmehr lamentiert, die Energiewende sei zu teuer, das Erneuerbare-Energien-Gesetz müsse abgeschwächt werden, erklärt der Umweltforscher.

"Merkel sagte hochverbindlich zu"

"Für Industrieinteressen gab es indes Sonderlösungen. Die EEG-Umlage wurde anfangs von allen Stromverbrauchern getragen, nach und nach wurden einzelne Branchen davon befreit. Und: Auch beim Ausbau der Erneuerbaren Energien hinkt Deutschland seinen Zielen hinterher."

Mit der EEG-Umlage sind vereinfacht die Kosten für den Ausbau gemeint. Deutschland habe der EU hochverbindlich zugesagt, "dass wir bis 2020 einen Anteil von 18 Prozent Erneuerbarer Energien haben werden", erklärt Maier, "es werden wohl 15 bis 16 Prozent".

Deutschland importiert Kohle aus Kolumbien

Einem Bericht von "Zeit Online" zufolge belegt Deutschland dagegen Rang fünf unter den Subventionierern fossiler Brennstoffe – mit Investitionen von drei bis vier Milliarden Euro im Jahr.

Das Kuriose daran: Deutschland importiert Steinkohle aus dem Ausland, zum Beispiel aus dem riesigen Streinkohle-Tagebau El Cerrejón in Kolumbien. Und Deutschland exportiert gleichzeitig Kohle an Nachbarländer wie Frankreich oder Polen.

Umweltbedenken gibt es indes überall. Zum Beispiel, dass durch das Abpumpen des Grundwassers Bäche und Sümpfe austrocknen. Oder das Thema Feinstaub. Das Argument Arbeitsplätze überlagert jedoch alles.

Sigmar Gabriel traute sich nicht

"Ich kann nicht verantworten, mal eben zu erklären, wir müssen aus der Braunkohle in der Lausitz raus, ohne der Lausitz zu sagen, wo sie denn nun Beschäftigung für die jetzigen Mitarbeiter, vor allem aber für deren Kinder und Enkel, findet", meinte exemplarisch Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).

"Die Industrie ist in der Lage, konkrete Fortschritte im Gesetzgebungsprozess zu blockieren. Die Initiative Soziale Marktwirtschaft hat zum Beispiel vor der Bundestagswahl 2013 eine große Kampagne gegen das EEG gefahren. Es gibt die Arbeitgeberverbände", erklärt NGO-Vertreter Maier. "Sie alle wollen nichts verändern."

Gewerkschaft IG BCE stelle sich quer

Von der Politik sei 30 Jahre lang eine Branche subventioniert worden, die keine Zukunft mehr habe. "Hunderte Milliarden haben wir dafür ausgegeben. Und schauen Sie sich heute das Ruhrgebiet an, es ist ein wirtschaftliches Schlusslicht", meint Maier.

"Das Münsterland nebenan, wo überhaupt keine Kohle-Subventionen hingeflossen sind, boomt dagegen." Ginge es um die Braunkohle in Nordrhein-Westfalen, stelle sich etwa die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) quer, sagt er. Von der Politik erwartet jetzt nicht nur er Lösungen.

Lässt Klimapolitik die Jamaika-Koalition scheitern?

"Ohne den Kohleausstieg bis 2030 brauchen wir über Klimaschutz nicht zu reden", mahnt Maier. "Wir brauchen in der Energiepolitik, der Verkehrspolitik, aber auch der Landwirtschaftspolitik, die viele Treibhausgase produziert, durchgreifende Kurskorrekturen: einen schnelleren Ausstieg aus der Kohle und einen rascheren Ausbau der Erneuerbaren Energien", sagt der Umweltexperte.

"Die großen Reise-Renn-Limousinen, die sogenannten SUVs, müssen aus den Innenstädten verbannt werden. Kurskorrektur hieße auch, Massentierhaltung zu erschweren." Die möglichen Jamaika-Partner streiten weiter. Merkels Klimabilanz droht noch dreckiger zu werden, sollten die Grünen ihre Forderungen nicht durchbringen.

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