Der Sturz von Assad in Syrien ist für Wladimir Putin ein Zeichen der Schwäche. Der Kreml verliert einen wichtigen Verbündeten im Nahen Osten. Städte, die Russland über Jahre systematisch an der Seite von Assad bombardiert hat, sind in nur wenigen Tagen an die Rebellen gefallen. Was das für den Kreml bedeutet und warum die Türkei nun eine entscheidende Rolle hat.

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Jetzt auch Damaskus: Nachdem islamistische Kämpfer bereits in der vergangenen Woche die Einnahme von Aleppo, Hama und Homs verkündet hatten, meldeten sie am Sonntag die Einnahme der syrischen Hauptstadt und den Sturz des Machthabers Baschar al-Assad. Er soll das Land bereits verlassen haben.

Die Rebellen werden von der sogenannten Hayat Tahrir al-Sham (HTS) angeführt, die aus einem Al-Qaida-Ableger hervorgegangen ist. Bislang hatte die HTS Teile im Nordwesten Syriens kontrolliert. In den jetzt eingenommenen Gebieten befreiten sie vor allem politische Häftlinge aus den Gefängnissen.

Kein Widerstand durch Regierungstruppen

Über staatliche Medien verkündeten die Rebellen den "Moment der Heimkehr" und den "Moment von Freiheit nach Jahrzehnten der Unterdrückung und des Leids". Regierungschef Mohamed al-Dschalali hat seine Bereitschaft für eine Machtübergabe erklärt.

Seit dem 27. November hatten Rebellen immer wieder die Regierungstruppen überwältigt. Den syrischen Machthaber Baschar Al-Assad hat die Offensive bloßgestellt. Seine Truppen zogen sich teilweise widerstandslos zurück.

Herber Rückschlag für Putin

Doch nicht nur für Assad, der vor mehr als zwei Jahrzehnten in Syrien die Macht nach dem Tod seines Vaters Hafis al-Assad übernommen hatte, sind die Entwicklungen ein herber Rückschlag. Auch für Wladimir Putin ist der Sturz seines Verbündeten ein Zeichen der Schwäche.

Besonders die zweitgrößte Stadt Syriens, Aleppo, galt lange als Symbol für Russlands Stärke. Hier half der Kreml im Jahr 2016 Assad, die Stadt einzunehmen. Vier Jahre an militärischen Kämpfen um die Metropole waren da vorausgegangen.

Zu beschäftigt mit der Ukraine

Die Unterstützung, die Russland damals noch beibringen konnte, konnte es zuletzt nicht mehr leisten – zu beschäftigt ist der Kreml selbst mit seinem Krieg in der Ukraine. Ohne seine eigenen Truppen zu schwächen, hätte Russland kaum eine Lücke in Syrien füllen können.

Die Luftangriffe, mit denen der Kreml Assad zuletzt unterstützte, reichten bei Weitem nicht aus, um die Rebellen aufzuhalten. Berichten zufolge hatte Russland nach dem Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 einige Kampfflugzeuge in die Heimat zurückverlegt und das S-300-Flugabwehrraktensystem in einen russischen Hafen verschifft. Gefehlt haben Assad zuletzt vor allem die russischen Söldner-Truppen, die zu großen Teilen in der Ukraine kämpfen anstatt in Syrien.

Experte: "denkbar ungünstiger Zeitpunkt"

"Für Russland kommt der Angriff zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Trotz Geländegewinne in der Ukraine, droht Moskau im Nahen Osten ein Debakel", sagt Historiker Rasim Marz.

Das schwache Assad-Regime sei in einem Moment getroffen worden, als es im Inbegriff war, die Hisbollah im Krieg gegen Israel zu unterstützen. "Es verlagerte seine Armee in den Süden und eröffnete den Islamisten damit die Gelegenheit zum Großangriff", erklärt der Türkei-Experte.

Einfluss in West- und Zentralafrika

Für Russland stehe damit vieles auf dem Spiel. "Die Militärbasen in Latakia und Tartus dienen Moskau nicht nur als wichtige militärische Drehscheiben im Nahen Osten, sondern sind für Russlands Militäroperationen und Logistik in Afrika unentbehrlich", so Marz.

Moskau bange daher um seinen Einfluss in West- und Zentralafrika, wo viele Militärregime und Putschisten durch russische Militärhilfen gestützt wurden. Über den Luftwaffenstützpunkt Hmeimim im Westen des Landes ist Putin darüber hinaus in der gesamten Region einsatzfähig.

Image als Supermacht beschädigt

Doch Syrien ist für Putin auch entscheidend, wenn es um sein Image als Großmacht geht. Der Plan, mit minimaler militärischer Präsenz seine Rolle im Nahen Osten beizubehalten, ist gescheitert. Russland ist es nicht gelungen, sich als Stabilitätsfaktor in der Region zu präsentieren. Ausreichend militärische Stärke, um größere Operationen in Syrien durchzuführen, hat der Kreml derzeit nicht.

Für Russlands Nahostpolitik sei der Sturz Assads ein herber Rückschlag, der Putins weitere Ambitionen auf internationaler Ebene schwäche, so Marz. "Wie bedrohlich die Lage für Putin ist, zeigt das Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, in dem Putin darauf drängte, dass die Türkei ihren Einfluss zur Beendigung der Offensive geltend machen solle", erinnert Marz. Die Türkei hatte der Offensive der Islamisten und den pro-türkischen Rebellen grünes Licht gegeben.

Ankaras Kalkül

Ankaras Kalkül dabei: Syrerinnen und Syrern die Rückkehr in ihr Heimatland ermöglichen, um so die eigene Migrationskrise im Land zu dämpfen. Seit Kriegsbeginn in Syrien wurden rund 14 Millionen Menschen vertrieben. Frei gewähren lassen hat Ankara die Rebellen aus weiterem Eigeninteresse: Die Türkei setzt darauf, dass die Rebellen auch die syrischen Ableger der kurdischen PKK vertreiben, damit sich kein kurdischer Staat formiert.

Russland, die Türkei, aber auch der Iran und die USA haben sich im Laufe der Jahre immer wieder in den Krieg in Syrien eingemischt. Der Sturz Assads könnte für neue Spannungen zwischen Moskau und Ankara sorgen. Denn die Türkei hat Assads Gegenspieler unterstützt und sich damit offen gegen Putin positioniert.

Wichtigen Verbündeten verloren

"Es wird vermutlich ein Agreement zwischen Ankara und Moskau geben, um letztendlich die russischen Militärstützpunkte für eine gewisse Zeit aufrechterhalten zu können. Ankara will nicht die Verbindungen nach Russland abbrechen lassen", ist sich Marz sicher. Die HTS habe bereits angekündigt, eine Machtübergabe im friedlichen und geordneten Sinne zu gestalten.

"Hierbei wird die Türkei auch ein wichtiger Begleiter sein in diesem Prozess, um letztendlich keinen 'failed state' an ihren Grenzen zu haben", sagt Marz. Russland habe jedoch mit Assad einen wichtigen Verbündeten im Nahen Osten verloren und damit sei seine Abhängigkeit von der Türkei seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges weiter gestiegen. Eine wichtige Frage bleibt also, welche Rolle Russland in der Region nach Assad bekommt.

Auch für Kiew hat die Dynamik in Syrien Relevanz. "Die Ukraine wird zwar weiterhin stark von Russland und dem Verbündeten Nordkorea unter Druck gesetzt, jedoch wurde jetzt in Syrien eine zweite Front gegen Russland eröffnet", sagt Marz. Dies ermögliche Kiew unter Umständen eine bessere Verhandlungsposition, wenn die Trump-Administration Friedensgespräche einleite. "Die Türkei und somit die Nato können mit Konzessionen in Syrien, der Ukraine mehr Verhandlungsspielraum einräumen", sagt Marz.

Über den Experten:

  • Rasim Marz ist ein deutsch-türkischer Historiker und Publizist für die Geschichte des Osmanischen Reiches und der modernen Türkei. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die europäische und osmanische Diplomatie des 19. Jahrhunderts sowie die Subversion des Nahen Ostens im 20. Jahrhundert.
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