In Nordsyrien stehen die Kurdenmilizen durch die türkische Militäroffensive unter Druck. Nun haben sie einen Deal mit Herrscher Assad abgeschlossen und erhalten Hilfe von syrischen Truppen im Kampf gegen türkisches Militär. Der Westen verurteilt das Vorgehen Ankaras, doch können sich die EU-Außenminister auch auf Sanktionen einigen?

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Wenige Tage nach Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien droht eine weitere Zuspitzung der Lage in dem Grenzgebiet. Die Regierung in Damaskus schickt nun eigene Truppen in die Region.

Kurden schmieden Deal mit Assad

Die Kurdenverwaltung in Nordsyrien hatte zuvor eine Einigung mit der Regierung in Damaskus über eine Stationierung syrischer Truppen nahe der Grenze zur Türkei bekannt gegeben, um die türkische Offensive in Nordsyrien zurückzuschlagen.

"Um diese Aggression zu verhindern und sich ihr entgegenzustellen, wurde mit der syrischen Regierung eine Vereinbarung erzielt", teilte die Kurdenverwaltung am Sonntag in einer Erklärung auf Facebook mit.

Die Armee solle die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), ein Bündnis der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und arabischer Milizen, unterstützen, hieß es von Seiten der Kurden. Weitere Angaben zu der Vereinbarung, etwa ob die Kurden Kompromisse bei ihrer Selbstverwaltung im Norden machen würden, wurden nicht gemacht.

Zuvor hatte die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana gemeldet, dass die syrische Armee Truppen nach Norden entsende, um sich der türkischen "Aggression" entgegenzustellen.

Die Türkei hatte die lang geplante "Operation Friedensquelle" am Mittwoch mit Angriffen auf syrische Orte entlang der gemeinsamen Grenze begonnen. Ankara betrachtet die dortigen Kurdenmilizen als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation.

Die mit Russland verbündete Regierung von Präsident Baschar al-Assad beherrscht acht Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs große Gebiete im Zentrum sowie im Westen und im Süden des Landes. Im April hatte die Regierung zudem eine Offensive gegen die letzte große Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten begonnen.

Schnelle EU-Entscheidung für Sanktionen unwahrscheinlich

In Luxemburg diskutieren die Außenminister der EU-Staaten am Montag über mögliche Reaktionen auf den türkischen Militäreinsatz. Schweden hat sich im Vorfeld der Gespräche offen für ein EU-weites Waffenembargo gegen die Türkei ausgesprochen und will bei einer Verschlechterung der Lage auch Wirtschaftssanktionen oder Sanktionen gegen Einzelpersonen vorschlagen.

Auch die französische Regierung hat das Thema Sanktionen aufgeworfen. Nach einer Sondersitzung des französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats am späten Sonntagabend teilte der Elysee-Palast mit, dass Frankreich seine Bemühungen verstärken werde, ein "unverzügliches Ende" der türkischen Offensive zu erwirken.

Dass es schnell eine EU-Entscheidung in Richtung Sanktionen geben wird, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Diplomaten in Brüssel verweisen darauf, dass die Türkei noch immer Nato-Partei sei und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise als Partner gebraucht werde.

Zudem gibt es die große Hürde, dass EU-Sanktionen einstimmig beschlossen werden müssten. Als wahrscheinlich gilt deswegen, dass die EU-Staaten vorerst jeweils selber entscheiden müssen, ob sie einen Waffenexportstopp oder andere Strafmaßnahmen verhängen.

Länder wie die Niederlande haben bereits unilateral einen Lieferstopp für Rüstungsgüter angekündigt. Deutschland hat seine Rüstungsexporte an den Nato-Partner als Reaktion auf den Einmarsch teilweise gestoppt.

Merkel fordert von Erdogan "umgehende Beendigung" der Militäroffensive

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich mit Blick auf das Treffen in Luxemburg zuversichtlich. Er sei sich "ziemlich sicher, dass es dazu eine geschlossene Sprache" in der EU am Montag geben werde, sagte Maas in der ARD.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach in der "Süddeutschen Zeitung" von einem "ersten, wichtigen Schritt". Erstrebenswert sei aber eine "gemeinsame europäische Verständigung" über weitergehende Maßnahmen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am Sonntag in einen Telefonat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum sofortigen Stopp der Militäroffensive aufgefordert. Diese war auch Thema bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Sonntagabend in Paris.

Beide warnten vor einem Wiedererstarken der Terrormiliz Islamischer Staat durch das Vorgehen der Türkei in Nordsyrien. Am Sonntag hatten die kurdische Autonomiebehörde und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitgeteilt, dass rund 780 Angehörige von IS-Extremisten aus einem Lager ausgebrochen seien.

Unterdessen wollte die US-Regierung mit dem Abzug von rund 1.000 Soldaten aus Nordsyrien beginnen. Verteidigungsminister Mark Esper erklärte am Sonntag im US-Fernsehen, es bestehe die Gefahr, dass die USA zwischen zwei vorrückende Armeen gerieten.

Einen Zeitplan nannte er nicht. Auch blieb unklar, wohin die US-Soldaten sich zurückziehen sollten.

Baerbock fordert Sondersitzung des Nato-Rates

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock forderte eine Sondersitzung des Nato-Rates wegen der Militäroffensive der Türkei. "Ein Kriegsverbrechen ist nicht weniger ein Kriegsverbrechen, ein Bruch des Völkerrechts nicht weniger ein Bruch des Völkerrechts, nur weil der Aggressor ein Nato-Mitglied ist", sagte Baerbock der dpa.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter verlangte im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), es dürfe keinen neuen Hermes-Bürgschaften für die Türkei geben. Baerbock und Hofreiter forderten ferner, bereits genehmigte Rüstungsexporte zu stoppen.

Das lehnte Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul im RND mit dem Hinweis ab, das würde "den Vertrauensschutz hiesiger Lieferfirmen verletzen und uns gegebenenfalls Schadensersatzansprüchen aussetzen".

Am Wochenende hatten in mehreren Städten Deutschlands Tausende gegen das türkische Vorgehen protestiert. Allein in Köln waren es nach Schätzungen über 10.000 Menschen.

Der türkische Botschafter in Deutschland, Ali Kemal Aydin, verteidigte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" das Vorgehen seines Landes. (jwo/dpa)  © dpa

Militäroffensive der Türkei
Rauschwaden steigen an der Grenze zu Syrien nach Angriffen des türkischen Militärs auf. © Emrah Gurel/AP/dpa
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