Die FDP sorgt für Ärger in der Ampelkoalition und für Irritationen in Brüssel: Die Liberalen stellen zwei EU-Gesetze infrage, die eigentlich schon als ausgehandelt galten. Was steckt dahinter? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Das europäische Lieferkettengesetz und die EU-Klimaziele für Lkw sind in Brüssel eigentlich fertig ausgehandelt, jetzt blockiert die FDP: Ohne die deutsche Zustimmung ist nicht klar, ob es im Rat der EU-Länder am Freitag eine Mehrheit für die beiden Vorhaben gibt. Dem üblichen Vorgehen in Brüssel entspricht das nicht. Die finale Abstimmung gilt eigentlich als Formalie.
Wie kann ein ausverhandeltes Gesetz blockiert werden?
Neue Gesetze werden in Brüssel zunächst im Europaparlament und im Rat der Mitgliedsländer verhandelt. Hier kann sich die Bundesregierung für oder gegen ein Vorhaben aussprechen und Änderungen einbringen. Sowohl beim Lieferkettengesetz als auch bei den Lkw-Grenzwerten hatte Deutschland an dieser Stelle für die Vorschläge gestimmt.
Steht im Parlament und unter den EU-Staaten jeweils eine Position, verhandeln Unterhändler der beiden Institutionen über einen Kompromiss. Der Einigung müssen die Abgeordneten und die Mitgliedstaaten anschließend final zustimmen. Eigentlich gilt dies als Formalie, theoretisch ist eine Blockade aber möglich.
Warum fällt die deutsche Stimme so stark ins Gewicht?
Im Rat der EU-Länder ist eine sogenannte qualifizierte Mehrheit erforderlich: 15 Mitgliedstaaten müssen zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen. Die Stimme Deutschlands als bevölkerungsreichstes EU-Land fällt daher besonders ins Gewicht.
Laut Geschäftsordnung der Bundesregierung muss sich Deutschland in Brüssel enthalten, wenn sich die Ampelparteien nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. Deshalb kann die FDP die deutsche Zustimmung auch nachträglich blockieren. Das ist nicht in allen EU-Ländern mit Koalitionsregierungen so: In Österreich etwa entscheidet das federführende Ministerium. Beim Lieferkettengesetz wäre dies in Deutschland das SPD-geführte Arbeitsministerium, bei den Grenzwerten das Grünen-geführte Umweltministerium.
Worum geht es beim Lieferkettengesetz?
Das Lieferkettengesetz soll europaweit Unternehmen für Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung bei der Produktion ihrer Güter in die Pflicht nehmen. Die europäische Richtlinie geht in einigen Punkten über ein deutsches Gesetz hinaus, das seit Anfang 2023 gilt. Die Ampelparteien hatten im Koalitionsvertrag verankert, sich für eine europäische Regelung einzusetzen.
Auf den letzten Metern befand Bundesjustizminister
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Worum geht es bei den Klimazielen für Lkw?
Auch bei geplanten strengeren Klimazielen für Lkw gibt es nach ursprünglicher Zustimmung keine gemeinsame Position mehr in der Bundesregierung, wie am Dienstag - einen Tag vor der geplanten Abstimmung in Brüssel - bekannt wurde. Ein Sprecher von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) verwies auf Bedenken aus dem FDP-geführten Verkehrsministerium. Um welche Bedenken es geht, ist jedoch unklar. Das Verkehrsministerium äußerte sich dazu nicht.
Die Liberalen hatten ursprünglich einen Absatz zu synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, in dem Gesetz gefordert, wofür es in Brüssel aber keine Mehrheit gab. Schon beim Verbrenner-Aus für Pkw hatte Deutschland den Text deshalb nachträglich blockiert. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) handelte mit der EU-Kommission dann eine Zusatzvereinbarung aus, welche die Nutzung von E-Fuels künftig ermöglichen soll. Ob der FDP bei den Klimazielen für Lkw und Busse eine ähnliche Lösung vorschwebt, ist unklar.
Was passiert bei einer Blockade?
Für beide Gesetze hängt eine Mehrheit im Rat der EU-Länder an Deutschland, weil Italien und mehrere kleine Mitgliedstaaten gegen die Vorhaben stimmen könnten. In der Abstimmung zum Lieferkettengesetz wird sich die Bundesregierung am Freitag enthalten. Zu der von Mittwoch auf Freitag verlegten Abstimmung über die Klimaziele für Lkw laufen in Berlin noch Verhandlungen.
In Deutschland häufen sich derweil die Rufe nach einem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Gibt es keine Mehrheit unter den EU-Ländern, muss mit dem Europaparlament neu verhandelt werden. Ob es zu einem Kompromiss kommt, ist jedoch fraglich: Für das Lieferkettengesetz machte Justizminister Buschmann deutlich, dass die FDP den derzeitigen Entwurf vollständig beerdigen will. Nach der Europawahl könne es unter einer neuen EU-Kommission einen Neustart geben. (afp/fab)
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