Vor allem seit seinem entschlossenen Auftreten in der Corona-Krise ist Bayerns Ministerpräsident als möglicher Kanzlerkandidat im Gespräch. Ob Markus Söder das kann, ist Experten zufolge gar nicht die große Frage. Sondern eher, ob er will.

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Die Zahl lässt aufhorchen: Anfang April sind laut BayernTrend 94 Prozent der Wähler im Freistaat mit der Arbeit ihres Ministerpräsidenten zufrieden. Im bundesweiten Politbarometer ist Markus Söder auch aktuell beliebtester Politiker nach Kanzlerin Angela Merkel.

Söder sagt zwar, sein Platz sei in Bayern. Doch nicht nur in den Unionsparteien fragen sich angesichts seines Höhenflugs in der Corona-Krise viele: Wie viel Kanzler steckt im CSU-Chef?

Lob für klare Kommunikation

"Ich glaube, er kann auch Kanzler", sagt Thomas Saalfeld. Der Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Bamberg hält den CSU-Mann für "einen sehr guten Regierungschef - und für einen extrem lernfähigen Politiker".

Söder sei außerdem ein sehr klarer Kommunikator. "Er hat gutes Gespür entwickelt - für Führung ohnehin, aber mittlerweile auch für eine empathische Wortwahl."

Ganz ähnlich sieht das Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing und Professorin an der Universität der Bundeswehr München: "In Bayern zeigt sich, dass Markus Söder grundsätzlich Regierungsformat hat." Das sei ihm vor einigen Jahren von vielen nicht zugetraut worden.

Der 53-Jährige sei ein ausgesprochen intelligenter Politiker, der Probleme und Zusammenhänge sehr schnell erfasse und Sachverhalte anschaulich erklären könne.

"Er ist in der Lage, Entscheidungen zu treffen, sich klar auszudrücken und präzise Anordnungen zu geben - und ihm ist daran gelegen, dass Maßnahmen auch umgesetzt werden", beobachtet Münch.

"Zudem hat er in Bayern verschiedene Ressorts geleitet, verfügt also über viel Erfahrung in den politischen Fachbereichen - auch auf dem wichtigen Gebiet Finanzen." Unter anderem war Söder bayerischer Finanz- sowie Gesundheitsminister.

Laut Seehofer "charakterliche Schwächen"

Ursula Münch weiß aber auch um das Image, das Söder in Bayern anhaftet: Schon vor Jahren warf ihm der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer "charakterliche Schwächen" vor - sowie einen Hang zu "Schmutzeleien". Söder, heißt es teilweise bis heute, denke gern an seinen eigenen Vorteil.

"Er hat da sicherlich Defizite", beobachtet Münch. Doch er bemühe sich, an seiner Wirkung zu arbeiten: "Er versucht inzwischen häufiger, auch integrierend zu wirken."

Allerdings gibt es Kritik, dass er sich schwertue, Dinge zu delegieren. "Das kommt vor allem in den eigentlich zuständigen Ministerien nicht immer gut an. Dort hat man das Gefühl, dass zu vieles in der Staatskanzlei entschieden wird."

In der Asyldebatte nach 2015 präsentierte Söder sich als Hardliner. In Erinnerung bleibt seine markige Wortwahl: "Der Asyltourismus muss beendet werden", twittert er etwa im Juni 2018.

Die Landtagswahl im Herbst wird ein Debakel für die Christsozialen. Sie verlieren die absolute Mehrheit - und die Grünen werden mit fast 19 Prozent zweitstärkste Kraft in Bayern. Im darauffolgenden Jahr überrascht Markus Söder mit Engagement für den Klimaschutz. Er sei ein Wendehals, sagen Kritiker.

Saalfeld sieht das anders: Der CSU-Chef lerne vielmehr aus seinen politischen Fehlern und aus Kritik an seiner früher polarisierenden Präsentation. Söder sei sehr konservativ und christlich verankert.

Wenn möglich, leite das seine Politik, etwa bei Einwanderungs- oder Familienthemen. "Er hat aber auch verstanden, dass in den Großstädten nicht mehr die SPD, sondern die Grünen der politische Gegner sind." Die CSU ist ohnehin eine ideologisch extrem breit aufgestellte Partei, gibt der Wissenschaftler zu bedenken.

Söder hat ein Gefühl dafür, wenn sich die Stimmungslage in der Wählerschaft ändert, findet Ursula Münch. Und er sei kein Ideologe. Was Söder aber trotz der umweltfreundlicheren Orientierung nicht machen werde: die Autoindustrie hinten anstellen. "Für ihn muss es beides sein: umwelt- und klima- sowie wirtschaftsfreundlich." Ein Spagat, der in größeren Teilen der Wählerschaft aber gut ankomme.

Strauß und Stoiber scheiterten

Zweimal haben CSU-Kandidaten versucht, Kanzler zu werden: Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber sind 1980 beziehungsweise 2002 gescheitert. Die Frage, ob Deutschland inzwischen bereit wäre für einen CSU-Kanzler, ist für die Wahl-Bayerin Münch schwer zu beantworten. "Diese Frage wird in der Partei aber sehr ernst genommen. Man weiß um das eigene Besserwisser-Image im Rest der Republik."

Die Bedingungen wären besser als bei Strauß und Stoiber, glaubt Saalfeld. "Söders Vorteil ist, dass er auch im sprachlichen Ausdruck am wenigsten Oberbayerisch ist von den Dreien."

Auf Bundesebene ist er interessant für die CDU, "weil er in der Auseinandersetzung mit der AfD das konservative Profil der Partei schärfen und diesen Flügel wieder stärker einbinden könnte". Für seine Akzeptanz in der CDU werde entscheidend sein, ob er das konservative Wählerpotenzial wieder stärker ausschöpfen kann.

Beide Experten sehen Söder unter denjenigen, die für die Kanzlerkandidatur infrage kommen. "Ob er will, das ist aber eine andere Frage", sagt Saalfeld.

Der "noch relativ junge" CSU-Politiker müsse gut abwägen: "Das Amt reizt ihn sicher, er ist machtbewusst und an Verantwortung interessiert. Aber er weiß auch, wo seine Basis liegt: in Bayern, in der CSU. Es wäre ein Risiko, in Berlin von dieser natürlichen Machtbasis isoliert zu sein."

Motto in der CSU: "Bayern zuerst"

Ursula Münch betont, dass eine Kanzlerkandidatur innerhalb der CSU sehr verhalten gesehen wird. "Bayern zuerst": Unter diesem Motto wägt die Partei ab. Es werde schwer, auf die Schnelle einen ähnlich erfolgreichen Nachfolger für Söder als Ministerpräsidenten zu finden.

Münch geht davon aus, dass er zwar gefragt wird, ob er Kanzlerkandidat werden möchte. "Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er - vor allem mit Blick auf die Partei - schweren Herzens Nein sagen wird."

"Berlin ist vermintes Gelände, auf dem schon viele, die auf Landesebene sehr erfolgreich waren, sehr böse ausgerutscht sind." Ursula Münch ist sich sicher, dass auch Söder das sehr bewusst ist. "Er kann viel. Aber kann er sich auch auf dem Parkett bewegen, das so viele Falltüren hat, die er nicht kennt?"

Verwendete Quellen:

  • Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing und Professorin an der Universität der Bundeswehr München
  • Thomas Saalfeld, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Bamberg
  • BR.de: 94 Prozent der Bayern in der Corona-Krise zufrieden mit Söder
  • Süddeutsche.de: Warum Söder und Seehofer sich nicht ausstehen können
  • Twitteraccount von Markus Söder
  • Süddeutsche.de: Debakel für die CSU
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