Führt Russlands Geheimdienst einen Informationskrieg in Deutschland? Das will das Bundeskanzleramt vom BND wissen. Eine überflüssige Anweisung, meint Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Er vermutet hinter der Nachricht ein Signal an Moskau – und analysiert die Ziele hinter der russischen Desinformation.
Es ist eine Nachricht wie aus längst vergangenen Zeiten: Laut einem Bericht des Rechercheverbundes von "Süddeutscher Zeitung", WDR und NDR sollen Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz prüfen, ob der russische Geheimdienst in Deutschland gezielte Desinformation betreibt.
Die Anweisung stamme aus dem Bundeskanzleramt, auch das Auswärtige Amt und das Bundespräsidialamt seien involviert. Ist das ein Schritt hin zu einem neuen Kalten Krieg, von dem Russland Premier Dmitrij Medwedew bei der Münchner Sicherheitskonferenz sprach?
Rüstet sich die Bundesregierung für einen Kampf der Informationen und Desinformationen? Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, was hinter dieser brisanten Meldung steckt.
"Es ist ein spektakulärer Fingerzeig, dass man das jetzt öffentlich macht", sagt Schmidt-Eenboom. "Man teilt Moskau mit: Wir nehmen das intensiv wahr. Aber natürlich gehört es eigentlich zum Standardprogramm des BND, solche Dinge fortlaufend zu kontrollieren und zu analysieren."
Der Experte hat mehrere Bücher über den deutschen Nachrichtendienst geschrieben und wurde selbst einige Jahre vom Geheimdienst beschattet. Trotzdem macht er einen klaren Unterschied zwischen den Methoden des BND und seiner russischen Gegenspieler:
"Die Mediensteuerung im Westen funktionierte stets über gezielte Abflüsse von Information - nicht aber über Desinformation, über Gerüchte oder Täuschungen.
"Die Lenkung der Medien ist sehr intensiv"
Um die Öffentlichkeitsarbeit des Kreml zu beobachten braucht es nicht unbedingt einen Geheimdienst, vieles ist bekannt: Mit "Russia Today Deutsch" finanziert der russische Staat einen Sender, der laut Eigenauskunft "eine alternative Informationsquelle" sein will.
Im Internet sorgen bezahlte Mitarbeiter der "Agentur zur Analyse des Internets" mit Sitz in St. Petersburg dafür, dass die Sicht Moskaus auf die Welt auch ihren Niederschlag in den sozialen Netzwerken und den Foren und Kommentarspalten der großen Nachrichtenseiten findet.
Die Firma wird zum Netzwerk des Oligarchen Jewgenij Prigoschin gezählt, einem alten Freund Wladimir Putins.
Wenn der Kreml Kampagnen orchestriert, laufen sie von den kleinsten Zeitungen bis in die höchsten Regierungsämter synchron ab. "Die Lenkung der Medien ist schon sehr intensiv in Russland", sagt Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom.
Wie sich die geschürten Gerüchten und Halbwahrheiten in den Medien verbreiten, lässt sich gut am "Disinformation Review" ablesen. In diesem Bericht sammelt eine eigens von der EU eingerichtete Abteilung Falschmeldungen aus russischen Quellen. Meist geht es dabei um den Ukraine-Konflikt.
Beck sieht "hybride Kriegführung"
Mit der "East Strategy Communication Task Force", die seit Herbst vergangenen Jahres besteht, hat die EU offiziell den Kampf gegen den Kreml um die Deutungshoheit von Informationen aufgenommen. Deutschland habe hier noch Nachholbedarf, sagte die Grünen-Politikerin Marieluise Beck in einem Interview mit dem Deutschlandfunk hin.
Sie meinte, Deutschland sei mit der gezielten Desinformation aus Russland zu lange "naiv" umgegangen.
Russland greife mit geheimdienstlichen Mitteln, einer Form der "hybriden Kriegsführung", massiv auf das Ausland aus. Mit einer Mischung aus Gerüchten, Halbwahrheiten und Lügen wolle der Kreml das Vertrauen in die Medien und letztlich in die Demokratie an sich zerstören.
Der "Fall Lisa"
Beck sprach erneut den "Fall Lisa" an: Russische staatsnahe Medien hatten behauptet, deutsche Behörden hielten aus Rücksicht auf die Flüchtlingspolitik der Regierung Informationen über die Vergewaltigung des Mädchens zurück. Sogar Außenminister Sergej Lawrow nahm diese Vorwürfe auf.
Später stellte sich heraus, dass Lisa bei einem Freund übernachtet hatte und in der fraglichen Nacht weder verschleppt noch vergewaltigt worden war. Trotzdem demonstrierten hunderte Russlanddeutsche gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung, einige schlossen sich auch den Pegida-Märschen an.
Der Einfluss des Kremls auf die Russlanddeutschen ist traditionell sehr groß. Schmidt-Eenboom erinnert an einen Bericht aus dem Jahr 1994, laut dem der damalige KGB die wichtigen Figuren der Organisationen der Russlanddeutschen fast vollständig unter seiner Kontrolle hatte. "Das wird der BND nicht vergessen haben."
"Wer ein neues System will, muss an die Kanzlerin ran"
Hinter den Propaganda-Aktivitäten der russischen Geheimdienste sieht Schmidt-Eenboom geopolitische Interessen: "Das Ziel Moskaus ist es letztlich, keinem monolithischen EU-Block gegenüberzustehen."
Zwar sorgten die Mitgliedsstaaten gerade schon selbst dafür, dass die EU destabilisiert wird, aber Moskau könne auf diesem Wege nachhelfen. Diese These unterstützt auch ein ungenannter Beamter aus dem außenpolitischen Apparat, der in der "Süddeutschen Zeitung" zitiert wird: "Wer ein neues System in Europa will, der muss an Deutschland und seine Kanzlerin ran."
Inwieweit Russland es wirklich schaffen kann, mit einem Informationskrieg die Meinung in Deutschland zu beeinflussen, lässt sich schwer sagen.
"Was den Mainstream anbelangt, sehe ich da keine großen Erfolgsaussichten", sagt Schmidt-Eenboom. "Etwas anderes sind aber die Randgruppen wie eben die Russlanddeutschen - oder auch Pegida."
Tatsächlich sucht der Kreml die Nähe zu rechten Bewegungen in ganz Europa. Die Alternative für Deutschland (AfD) und Pegida sind logische Bündnispartner, AfD-Vize Alexander Gauland traf sich auch schon in St. Petersburg mit Vertretern der Putin-Partei "Einiges Russland".
Bezahlen lassen will sich Gauland aber explizit nicht vom Kreml - auch diese Form der Unterstützung hat Moskau in seinem Arsenal: Der Front National von Marine Le Pen in Frankreich soll laut "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" im vergangenen Jahr einen Millionenkredit aus Moskau erhalten haben.
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