In Beirut ist die Nummer Zwei der Hamas bei einem Drohnenangriff getötet worden. Nun droht Israel womöglich ein Zweifrontenkrieg.
Es war eine so skurrile wie durchsichtige Stellungnahme, die tief blicken ließ. Mark Regev, der Berater von Israels Regierungschef
Regev war bemüht, Schadensregulierung zu betreiben, aber hierfür war es wohl zu spät. Ein Drohnenangriff hatte die Nummer Zwei der Hamas am Dienstagabend in Beirut getötet. Auch wenn es nach wie vor keine offizielle Bestätigung von israelischer Seite gibt, hatten viele Beobachter sofort eine starke Vermutung, wer dafür verantwortlich ist. Regevs Kommentar bestätigte diese Vermutungen eher als dass er sie zerstreute.
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Auch die Hisbollah hatte den Schuldigen sofort für sich ausgemacht. Sie kündigte laut "Frankfurter Rundschau" noch am Mittwoch umgehend Vergeltung an: "Dieses Verbrechen wird niemals ohne Antwort oder Strafe vorübergehen."
Droht eine Eskalation im Nahen Osten?
Schon zu Beginn der israelischen Offensive im Gaza-Streifen war vor einem Eingreifen der Hisbollah gewarnt worden. Immer wieder wurden Ziele im Norden Israels von Raketen der islamistischen Miliz getroffen. Die israelische Armee hatte sicherheitshalber ihre Kräfte an der Grenze zum Libanon verstärkt und schoss ebenfalls auf Ziele im Nachbarland.
Die Scharmützel hielten sich bisher in Grenzen und Beobachter gingen davon aus, dass weder Israel noch die Hisbollah ein Interesse an einer Eskalation des Konflikts haben. Nach dem Drohnenangriff in Beirut könnte sich das allerdings ändern. Droht nun eine Eskalation im Nahen Osten und Israel damit ein Zweifrontenkrieg?
Besorgnis bei Israels Verbündeten
Auch der französische Staatschef Emmanuel Macron geht offenbar davon aus, dass Israel hinter dem Drohnenschlag steckt. Er forderte die israelische Regierung am Dienstag dazu auf, "jedes eskalierende Verhalten, insbesondere im Libanon, zu vermeiden". US-Außenminister Anthony Blinken sagte einen Besuch in Israel wegen Sicherheitsbedenken ab.
Für zusätzliche Spannungen hatte am Montag eine Äußerung des rechtsextremen israelischen Sicherheitsministers Itamar Ben-Gvir gesorgt. Dieser hatte laut "ntv" erklärt, der Abzug der Palästinenser und die Wiedererrichtung israelischer Siedlungen im Gaza-Streifen seien "eine korrekte, gerechte, moralische und humane Lösung". Erst am Sonntag hatte der ebenfalls weit rechts außen stehende Finanzminister Bezalel Smotrich vorgeschlagen, Israel solle die Palästinenser in dem Gebiet "ermutigen", in andere arabische Länder umzusiedeln.
Die USA haben beide Äußerungen verurteilt. US-Außenamtssprecher Matthew Miller kritisierte laut "Spiegel" die beiden Politiker und sprach von einer "aufrührerischen und unverantwortlichen" Wortwahl. Er bekräftigte die "klare, konsequente und unmissverständliche" Position der USA, wonach "Gaza palästinensisches Land ist und palästinensisches Land bleiben wird, in dem die Hamas nicht mehr die Kontrolle über seine Zukunft hat und in dem keine Terrorgruppen Israel bedrohen können".
Wenige Tage zuvor hatten die USA bereits eine Flugzeugträgergruppe abgezogen, die als Reaktion auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober im östlichen Mittelmeer stationiert worden war. Das habe laut Nahost-Experte Stephan Stetter von der Universität der Bundeswehr München zwei Gründe: Zum einen hätte die Abschreckung gegenüber der Hisbollah und Iran im östlichen Mittelmeer bisher funktioniert und der Flugzeugträger ist vorerst nicht mehr nötig. Ein weiterer befindet sich ja weiterhin in der Region.
Zum anderen sei es auch ein Zeichen, dass die USA nicht jede Form der Kriegsführung mit der israelischen Regierung mitgehe. Stetter zu unserer Redaktion: "US-Präsident Biden wie auch andere Mitglieder der US-Regierung hatten immer wieder versucht, Druck auf Israels Ministerpräsident Netanyahu auszuüben, vorsichtiger im Gaza-Streifen vorzugehen, um die Situation in der Region eben nicht eskalieren zu lassen."
Tunnelsystem der Hisbollah noch komplexer als das der Hamas
Ein Krieg gegen die Hisbollah könnte für die israelische Armee indes noch deutlich schwieriger werden als der aktuelle Feldzug gegen die Hamas im Gaza-Streifen. Die Hisbollah ist deutlich besser organisiert, besitzt ein umfangreicheres und qualitativ hochwertigeres Raketenarsenal und soll laut ZDF nach eigenen Angaben inklusive Reservisten bis zu 100.000 Mann umfassen.
Die "Times of Israel" berichtet in Berufung auf Geheimdienstexperte Tal Beeri, dass die Hisbollah im Libanon ein Tunnelnetzwerk besitzt, das noch "deutlich komplexer" sei als das der Hamas im Gaza-Streifen. Der Leiter des mit Sicherheitsfragen an Israels Nordgrenze befassten Alma Forschungs- und Bildungszentrums geht davon aus, dass die Tunnelsysteme mehrere hundert Kilometer weit reichen und teilweise groß genug seien, um Autos und sogar LKWs hindurchfahren zu lassen.
Zweck der Tunnelsysteme ist es, Kämpfer hinter die israelische Grenze zu bringen sowie Raketen aus der Sicherheit der Tunnel heraus abfeuern. Die Tunnelausgänge sind so getarnt, dass sie von der Luft aus nicht erkennbar seien, erklärt Beeri. Außerdem würden sie genutzt, um Sprengfallen unter feindliche Positionen anzubringen. Sollte die israelische Armee sich nach 2006 abermals für eine Invasion des Libanon entscheiden, könnte es zu einem langen und zähen Guerillakrieg kommen – sollte der Konflikt eskalieren.
Stephan Stetter, der an der Universität der Bundeswehr München Internationale Politik und Konfliktforschung lehrt, sieht durchaus die Möglichkeit, dass der Tod von Hamas-Führer al-Arouris Anlass für einen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah werden könnte: "Diese Eskalationsgefahr besteht grundsätzlich. Allerdings besteht diese generelle Gefahr der Eskalation bereits seit Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel."
Das sei in der Verknüpfung zwischen Hamas, Hisbollah und Iran begründet, erläutert Stetter. Die Hamas habe in den vergangenen Jahren enge Bande nach Teheran und mit der Hisbollah geknüpft. Dabei spielte der getötete al-Arouri eine wichtige Rolle.
Allerdings haben bisher beide Seiten ein Interesse daran, den Konflikt nicht vollständig eskalieren zu lassen, sagt der Experte: "Obwohl Israel nicht offiziell zugeben wird, für den Angriff verantwortlich zu sein, ist die versteckte Botschaft: 'Der Angriff hat der Hamas gegolten – nicht der Hisbollah.'" Das sei ein Versuch, die Reaktion der Hisbollah gering zu halten.
Auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah habe bisher eher abwartend reagiert. Die Hisbollah habe laut Stetter ebenfalls kein Interesse, den Konflikt weiter auszuweiten, da Israel den Libanon umfassend angreifen würde. "Die libanesische Bevölkerung würde die Hisbollah für die Auswirkungen des Krieges mitverantwortlich machen."
Eine Ausweitung des Krieges auf den Iran, den wichtigsten Verbündeten und Unterstützer der Hisbollah, hält Stetter für eher unwahrscheinlich: "Iran ist innenpolitisch labil. Das haben die Demonstrationen in den letzten Jahren gezeigt, aber auch der Anschlag an diesem Mittwoch." Iran habe aktuell außerdem keinen drängenden Grund, aktiv zu werden. Das Massaker vom 7. Oktober habe der Regierung in Teheran genutzt. Eine direkte Konfrontation mit Israel könnte hingegen zur Gefahr für das Regime werden.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Stephan Stetter lehrt an der Universität der Bundeswehr München Internationale Politik und Konfliktforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Theorien der internationalen Politik in der Globalen Moderne; Politik, Konflikte und Gesellschaft im Nahen und Mittleren Osten, mit Schwerpunkt Israel und Palästina.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Stephan Stetter
- Timesofisrael.com: Expert: Hezbollah has built a vast tunnel network far more sophisticated than Hamas’s
- zdf.de: Wie stark ist die libanesische Hisbollah?
- stern.de: Die Gefahr aus dem Norden: Was ist die Hisbollah?
- sz.de: Droht der Nahostkonflikt zu eskalieren?
- fr.de: Sorge wegen erhöhter Spannungen in Nahost – Hisbollah schwört Rache für Hamas-Anführer
- ntv.de: Israel bestreitet Umsiedlungsplan
- spiegel.de: Macron mahnt Israel zu Zurückhaltung im Libanon
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