Washington/Tel Aviv/Gaza - Im Nahen Osten droht sich die hochbrisante Lage zu verschärfen. Während die US-Regierung nach einem tödlichen Angriff proiranischer Milizen auf US-Soldaten in Jordanien Vergeltung ankündigte, plant der Verbündete Israel im Gazastreifen einem Medienbericht zufolge einen als äußerst heikel geltenden Armeeeinsatz im südlichsten Teil des abgeriegelten Küstengebiets.

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Dort haben Hunderttausende palästinensische Zivilisten Schutz vor den Kämpfen gesucht und sind auf Hilfe angewiesen. Das umstrittene UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) muss seine gesamte Arbeit nach eigenen Angaben womöglich schon in vier Wochen einstellen, wenn zugesagte Gelder nicht bezahlt werden. Derweil verstärkt die US-Regierung den Druck auf jüdische Extremisten im Westjordanland mit Sanktionen.

US-Verteidigungsminister: Gefährlicher Moment im Nahen Osten

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach nach dem Tod von zwei Soldatinnen und einem Soldaten bei einem Drohnenangriff proiranischer Milizen in Jordanien von einem "gefährlichen Moment". US-Präsident Joe Biden werde Angriffe auf amerikanische Truppen "nicht dulden, und ich werde das auch nicht tun". Man wolle zwar einen größeren Konflikt in der Region vermeiden. Die Verantwortlichen der Angriffe werde man aber zur Rechenschaft ziehen, sagte Austin. Er kündigte eine mehrstufige Reaktion an.

Die US-Regierung machte die Gruppe "Islamischer Widerstand im Irak" für den Anschlag verantwortlich, die sich zuvor auch dazu bekannt hatte. Es handelt sich um eine Art Dachgruppe für proiranische Milizen im Irak, die seit dem 7. Oktober gemeinsam unter diesem Namen auftreten. Es sei offen, wie viel der Iran zuvor über den Angriff gewusst habe, sagte Austin. Der Iran finanziere aber diese Gruppen und bilde sie auch teilweise aus. Ohne diese Art der Unterstützung würde es derartige Angriffe auf US-Stützpunkte nicht geben, sagte Austin. Er machte aber klar: "Wir befinden uns nicht im Krieg mit dem Iran."

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Stößt Israels Armee nach Rafah vor?

Im Gaza-Krieg beabsichtigt die israelische Armee laut der Zeitung "Times of Israel", ihre Kämpfe gegen die Hamas auf Rafah im südlichsten Teil des Gebiets auszuweiten. Das Militär werde auch die Hamas-Brigade in Rafah erreichen und zerschlagen, so wie derzeit mit den Hamas-Bataillonen im Gebiet der südlichen Stadt Chan Junis verfahren werde, zitierte die Zeitung den israelischen Verteidigungsminister Yoav Galant.

In Rafah und Umgebung sollen sich inzwischen mehr als 1,3 Millionen Menschen aufhalten. Das ist mehr als die Hälfte der insgesamt rund 2,2 Millionen Einwohner des Gazastreifens. Die palästinensischen Zivilisten suchen dort auf äußerst engem Raum Schutz vor den Kämpfen.

Fast vier Monate nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels ist Israels Armee tief in den Gazastreifen eingerückt, um die Hamas zu zerschlagen. Das südliche Ende des abgeriegelten Küstengebiets, das mit der geteilten Stadt Rafah und dem gleichnamigen Grenzübergang an Ägypten grenzt, ist aber bislang außer Reichweite der Bodentruppen. Die US-Zeitung "Wall Street Journal" hatte vor drei Wochen unter Berufung auf namentlich nicht genannte israelische und ägyptische Quellen berichtet, israelische Offizielle hätten Ägypten über eine geplante Militäroperation entlang der Gaza-Seite der Grenze informiert.

Austin und Galant sprachen über Israels Übergang von den bislang massiven Bombardierungen im Gazastreifen hin zu Einsätzen mit geringerer Intensität, wie das Pentagon in Washington mitteilte. Dies fordern die USA seit Längerem. Austin habe dabei bekräftigt, wie wichtig es sei, eine ununterbrochene Bereitstellung humanitärer Hilfe für das Küstengebiet zu gewährleisten.

Auch hätten sich beide Verteidigungsminister über die Unterstützung für eine diplomatische Lösung an der israelisch-libanesischen Grenze sowie Stabilität im Westjordanland ausgetauscht, hieß es. Zwischen der vom Iran unterstützten libanesischen Hisbollah-Miliz und der israelischen Armee kommt es im Grenzgebiet beider Länder immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Unicef: 17.000 Minderjährige ohne direkte Familie

Im Gazastreifen leben nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef Schätzungen zufolge rund 17.000 Kinder und Jugendliche ohne ihre Eltern oder Geschwister. Ihre Eltern wurden entweder getötet, verletzt oder sie befinden sich an einem anderen Ort, wie der für die Region zuständige Unicef-Sprecher Jonathan Crickx sagte.

Er sprach über Video-Link aus Jerusalem zu Medienvertretern in Genf. Bei manchen Kindern wisse man nicht, zu wem sie gehörten. Sie seien noch zu klein oder stünden so unter Schock, dass sie ihren Namen nicht sagen könnten. Unicef setze alles daran, ihre Identität zu klären und sie zu Verwandten zu bringen.

"Die mentale Gesundheit der palästinensischen Kinder ist schwer beeinträchtigt", sagte er. "Sie haben Symptome wie extreme starke anhaltende Angstzustände, Appetitverlust, können nicht schlafen, brausen emotional manchmal auf oder geraten jedes Mal in Panik, wenn sie eine Bombe hören." Unicef habe zusammen mit Partnern für 40.000 Kinder und 10.000 Betreuungspersonen psychosoziale Unterstützung organisiert.

UNRWA: Hilfsgelder könnten Ende Februar ausgehen

In Bezug auf die Anschuldigungen gegen einzelne Mitarbeiter des UN-Hilfswerks UNRWA, an den Terrorakten der Hamas vom 7. Oktober in Israel beteiligt gewesen zu sein, sagte Galant zu einer UN-Delegation: "Gelder aus Ländern der ganzen Welt wurden über UNRWA geleitet und zur Stärkung der Terrorinfrastruktur und zur Bezahlung von Terroristen verwendet."

Die Organisation habe ihre Legitimität verloren. Mehrere westliche Länder wie Deutschland und die USA haben wegen der Anschuldigungen vorübergehend die Zahlungen an UNRWA eingestellt. "Es ist schwer sich vorzustellen, dass die Menschen im Gazastreifen diese Krise ohne UNRWA überleben", warnte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini. Sollte die Finanzierung nicht wieder aufgenommen werden, werde man höchstwahrscheinlich gezwungen sein, die Arbeit nicht nur in Gaza, sondern auch in der gesamten Region Ende Februar einzustellen.

USA sanktionieren jüdische Siedler im Westjordanland

Die US-Regierung hat unterdessen Sanktionen gegen vier jüdische Siedler verhängt, denen vorgeworfen wird, sich im Westjordanland an Gewalttaten gegen palästinensische Zivilisten beteiligt zu haben. Das US-Finanzministerium veröffentlichte die Namen der vier Israelis, denen auch Einschüchterungsversuche und Zerstörung von Eigentum vorgeworfen werden. US-Präsident Biden habe wiederholt seine Besorgnis über die Zunahme der Gewalt durch Extremisten ausgedrückt, hatte zuvor ein Regierungsvertreter in Washington gesagt. Diese Handlungen seien eine ernsthafte Bedrohung für den Frieden und die Sicherheitsstabilität im Westjordanland, in Israel und im Nahen Osten.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich zurückhaltend zu den Sanktionen. "Israel ergreift gegen jeden, der irgendwo das Gesetz bricht, entsprechende Maßnahmen", zitierten ihn israelische Medien. Daher seien "außergewöhnliche Maßnahmen nicht erforderlich". Bei der "absoluten Mehrheit" der Siedler im Westjordanland handele es sich um gesetzestreue Bürger, von denen viele in den Streitkräften dienten, um Israel zu verteidigen, sagte Netanjahu laut seinem Büro.

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