Auf europäischer Ebene geht in Sachen Finanztransaktionssteuer seit Jahren nichts weiter. Nun legt Olaf Scholz einen Entwurf für eine Mini-Abgabe auf Aktien vor. Bei den beteiligten Staaten trifft er damit nicht unbedingt auf Begeisterung. Für ihn ist es jedoch der Versuch eines Befreiungsschlags.
Nach jahrelangen Verhandlungen rückt eine Entscheidung zur Besteuerung von Aktiengeschäften in Europa näher. Deutschlands Finanzminister
"Aus meiner Sicht heißt das, dass wir jetzt am Ende der Kurve sind und den Schlussspurt einlegen können", sagte er. Bei den beteiligten Staaten gab es hingegen einige "Irritationen", wie es in Brüssel hieß.
FTT ist schon seit acht Jahren Thema
Über eine Finanztransaktionssteuer (FTT) wird auf europäischer Ebene seit 2011 verhandelt. Die EU-Kommission hatte im Zuge der Finanzkrise einen Vorschlag vorgelegt. Die Steuer sollte neben Aktien eine ganze Reihe von Finanzgeschäften und -produkten abdecken.
Unter den EU-Staaten gab es keine Mehrheit dafür. Einige Länder versuchten in der Folge, die Abgabe in einer sogenannten vertieften Zusammenarbeit einzuführen. Doch auch hier gestalteten sich die Diskussionen schwierig, weil die Länder Nachteile im Wettbewerb mit anderen Finanzstandorten fürchteten.
Selbstverständlich werde es in den anderen Ländern noch Diskussionen geben, räumte Scholz ein. Man wolle Finanzgeschäfte genauso besteuern wie viele andere Geschäfte - etwa "wenn wir in einen Buchladen gehen oder wenn wir eine Currywurst kaufen".
So soll die Steuer funktionieren
Wer Aktien kauft, soll nach Scholz' Entwurf 0,2 Prozent des Geschäftswertes an den Fiskus zahlen. Für Kleinanleger halten sich die Kosten also in Grenzen: Bei einem Aktienwert von 1.000 Euro würden 2 Euro extra an Steuern anfallen. Die Abgabe wird zudem nur für den Kauf, nicht für den Verkauf fällig.
Außerdem sollen nicht alle Finanzgeschäfte besteuert werden: Es geht nur um Aktien großer Unternehmen mit einem Börsenwert von mehr als einer Milliarde Euro. Die Unternehmen müssen zudem ihren Hauptsitz im Inland haben.
Beide Kriterien erfüllen in Deutschland laut Finanzministerium 145 Firmen. Länder, die nur sehr wenige solcher Großunternehmen aufweisen, sollen an den Einnahmen aus anderen Staaten beteiligt werden. Derivate sind von der Steuer ausgeschlossen - was überrascht, da sie zu den stark spekulativen Finanzprodukten gehören. Bei Unternehmen, die frisch an die Börse gehen und erstmals Aktien ausgeben, soll die Steuer ebenfalls nicht anfallen.
Unklar ist, ob in Deutschland auch private Rentenvorsorgeprodukte betroffen sein werden. Das soll jedes Land für sich entscheiden können. Außerdem soll jedem Land freistehen, die Regeln für sich noch zu verschärfen. "Einzelne Länder werden sicher mehr machen", sagte Scholz.
Diese Staaten könnten mitmachen
In der sogenannten FTT-Gruppe waren zuletzt zehn Staaten vertreten, außer Deutschland noch:
- Österreich
- Belgien
- Frankreich
- Griechenland
- Italien
- Portugal
- Slowakei
- Slowenien
- Spanien
Scholz rechnet aber damit, dass weitere Staaten beitreten.
Irritationen bei den Partnerstaaten über Scholz' Vorstoß
Wie die beteiligten Staaten Scholz' Pläne sehen, war zunächst nicht klar. Aus Diplomatenkreisen in Brüssel hieß es allerdings, unter den Partnerstaaten gebe es Irritationen über die überraschende Präsentation des Gesetzesvorschlags.
Österreichs Finanzministerium teilte mit, man habe sich stets für eine breite Bemessungsgrundlage eingesetzt und wolle dies auch in der nächsten Sitzung tun. Scholz' Vorschlag sehe aber nur eine minimale Grundlage vor.
Synthetische Anlageprodukte und Derivate sollten nicht besteuert werden, auch der Hochfrequenzhandel wäre befreit. Es laufe eine Studie, ob die ursprünglichen Ziele der Finanztransaktionssteuer - vor allem Spekulationen einzudämmen - mit den jüngsten Vorschlägen erreicht würden.
Kritik kommt auch aus Deutschland
Auch in Deutschland stößt Scholz' Vorschlag auf Gegenwehr. "Die Finanztransaktionssteuer in der von Bundesfinanzminister Scholz nun geplanten Form trifft nicht – wie ursprünglich vorgesehen – Finanzspekulanten, sondern vor allem Aktien-Sparer", sagte Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU).
Vonseiten der Union gebe es noch Fragen, sagte Fraktionschef
Der Vorsitzende des Unions-Mittelstands, Carsten Linnemann, sagte, er sei für eine europäische Finanztransaktionssteuer. "Aber sie muss natürlich alle treffen - gerade auch die spekulativen Bereiche": den Hochfrequenzhandel oder Derivategeschäfte. "Jetzt trifft sie Kleinsparer, die ansparen wollen fürs Alter, und das ist falsch."
Unionsfraktionsvize Andreas Jung sagte dazu, die Union halte es für richtig, dass es in Schloz' Entwurf Ausnahmemöglichkeiten gebe, "um private Altersvorsorge nicht zu belasten". Zugleich wandte er sich gegen einen Automatismus zwischen der Einführung der Finanztransaktionssteuer und der Finanzierung der Grundrente.
Bei der Grundrente wurde vereinbart, dass ein Teil der Finanzierung über die Finanztransaktionssteuer erfolgen soll. Jung argumentierte nun, das dürfe nicht heißen, dass es einen deutschen Alleingang gebe, wenn man sich mit den europäischen Partnern bei der Finanztransaktionssteuer nicht entsprechend verständigen könne. "Es darf keinen deutschen Alleingang geben, nur weil man auf Mittel für die Grundrente wartet." Die müsste dann anders finanziert werden.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte zum Entwurf von Scholz, er könne nicht ausschließen, dass die Fraktion den Entwurf noch ändere. Grundsätzlich sei es aber gut, dass Scholz ihn jetzt vorgelegt habe.
So geht es mit dem Vorschlag weiter
Scholz selbst rechnet mit einer raschen internationalen Einigung auf die Steuer. Es sei klar, dass die Diskussion in den anderen Staaten noch eine gewisse Zeit brauche, schrieb der Finanzminister an seine Kollegen.
Sie sollten einen Zeitpunkt für ein weiteres Treffen vorschlagen. Dann will Scholz die Steuer festzurren. Ein möglicher Termin wäre das nächste Treffen der europäischen Finanzminister im Januar in Brüssel.
Für Scholz ist die Steuer aus mehreren Gründen wichtig, die gar nichts mit dem Finanzmarkt zu tun haben. Zum einen hat die große Koalition die Einnahmen daraus schon verplant - für ein Projekt, das der SPD viel bedeutet: Das Geld soll großteils in die Finanzierung der Grundrente gesteckt werden.
1,2 bis 1,5 Millionen Rentner, die mindestens 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben und trotzdem niedrige Renten erhalten, sollen einen Aufschlag bekommen. Das Arbeitsministerium rechnet mit Kosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro im Startjahr 2021. Laut Finanzministerium soll genau diese Summe anfänglich durch die neue Steuer auf Aktienkäufe eingenommen werden.
Zum anderen könnte Scholz Erfolgsnachrichten gerade gut gebrauchen. Der Vizekanzler hat im Kampf um den SPD-Vorsitz gerade die wohl größte Niederlage seines politischen Lebens erlitten. Hat sein Vorstoß Erfolg, könnte Scholz seine Position in der Bundesregierung festigen. Auch im Verhandlungsteam der SPD, das mit der Union über neue, linke Vorhaben sprechen will, würde seine Stimme mehr Gewicht bekommen. (Theresa Münch und Alkimos Sartoros/dpa/ank)
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