CDU-Chef Friedrich Merz ist zurückgerudert: Auf kommunaler Ebene werde seine Partei nicht mit der AfD kooperieren. Doch die Diskussion kann er damit nicht mehr einfangen. Und ein Blick in Städte und Landkreise zeigt: Stellenweise ist die Zusammenarbeit schon Realität.
Im vergangenen Dezember hat der Landkreis Bautzen für bundesweite Schlagzeilen gesorgt. Im Kreistag beantragte die AfD-Fraktion: Abgelehnte Asylbewerber sollen keine Sprachkurse oder andere Integrationsleistungen mehr bekommen. Der Antrag fand eine Mehrheit, weil neben der AfD auch der Großteil der CDU-Fraktion dafür stimmte.
Von einem Dammbruch war danach in überregionalen Medien die Rede. Ausgerechnet im Kreis Bautzen hatte es nur wenige Wochen zuvor einen Brandanschlag auf eine zukünftige Flüchtlingsunterkunft gegeben. Und kurz danach macht die CDU gemeinsame Sache mit der AfD?
CDU-Fraktionschef Matthias Grahl findet das auch sieben Monate später nicht verwerflich. "Der gesunde Menschenverstand sagt aus unserer Sicht: Menschen, die uns ohnehin verlassen müssen, müssen keine zusätzlichen freiwilligen Integrationsleistungen vom Kreis bekommen", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Wenn man einen Antrag richtig findet, ihm aber aus Prinzip nicht zustimmen würde, weil er von der AfD kommt, dann treibt das der AfD die Leute erst recht zu."
CDU-Chef Friedrich Merz löst Kontroverse aus
Über den Umgang mit der AfD ist mitten im Sommerloch eine neue Diskussion entbrannt. Ausgelöst hat sie der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende:
Nach heftiger Kritik auch aus der eigenen Partei ruderte Merz zurück: "Die Beschlusslage der CDU gilt", schrieb er am Montag auf Twitter. "Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben."
Allerdings sind gemeinsame Abstimmungen von der AfD und anderen Parteien in Landkreisen, Städten und Gemeinden längst Realität – auch wenn sie noch sehr selten vorkommen. In Einzelfällen haben auch Kommunalpolitiker von Linken, SPD, Grünen und FDP die gleichen Beschlüsse getroffen wie die AfD. Es ging dabei um Personalentscheidungen, aber auch Schulen oder Kita-Schwimmkurse.
Mal geht es um Sachpolitik, mal um Ressentiments
Im Landkreis Bautzen zum Beispiel stellen AfD und CDU mit jeweils 28 von 98 Sitzen die beiden größten Fraktionen. Ohne die AfD Entscheidungen zu treffen, ist zwar rechnerisch noch möglich. Doch die CDU setzt hier nicht darauf, die Partei auszugrenzen.
"In der Kommunalpolitik ist es gelebte Praxis, dass alle mit allen reden", sagt Fraktionschef Grahl. Auch den aktuellen Doppelhaushalt des Landkreises habe man mit AfD-Stimmen beschlossen. "Wie wir hier vor Ort entscheiden, werden wir auch in Zukunft nicht von irgendwelchen Vorgaben aus Berlin abhängig machen", so der CDU-Kommunalpolitiker. "Das wäre nicht mein Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung."
Hans Vorländer wundert es nicht, wenn in Städten und Gemeinden auch mal ein Antrag mit Stimmen der AfD durchgewunken wird. Der Politikwissenschaftler von der Technischen Universität Dresden sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Es wäre grotesk, eine Kita nicht zu bauen oder ein Straßenprojekt zu beenden, bloß weil die AfD zustimmt."
Etwas anderes sei es, wenn vor Ort Stimmung gemacht werde. Das sei in Bautzen passiert, wo CDU und AfD gegen Integrationsleistungen für Asylbewerber stimmten. "Hier ging es um Ressentiments gegen Geflüchtete und nicht um Lokalpolitik", sagt Vorländer. Oder mit anderen Worten: Die CDU hat selbst einen deutlichen Riss in der Brandmauer verursacht.
Über die Empörung nach Friedrich Merz' Aussagen zu einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD wundert sich Vorländer nicht. "Das war ein kommunikativer GAU", sagt der Politikexperte unserer Redaktion. Die Botschaft des CDU-Chefs war unklar, ließ Raum für Interpretation. Es wirkte so, sagt Vorländer, als ginge es Merz um einen grundsätzlich aufgeweichten Umgang mit der AfD. Und eben nicht darum, dass es notwendig sei, mit einem AfD-Landrat in Sachfragen zusammenzuarbeiten.
Distanz, aber Gesprächsbereitschaft
Ist auf die CDU im Kampf gegen rechts Verlass? Diese Frage beschäftigt auch Jana Krauß. Sie sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Görlitzer Stadtrat. In der Region rund um die Stadt in der Oberlausitz, direkt an der polnischen Grenze, hat die AfD bei der letzten Bundestagswahl mit 32,5 Prozent ihr bestes Zweitstimmenergebnis geholt. Auch im Stadtrat von Görlitz bildet sie die stärkste Fraktion. "Noch hält die Brandmauer", sagt Krauß im Gespräch mit unserer Redaktion. Es gebe keine Zusammenarbeit mit der AfD – auch nicht bei der CDU.
Es folgt ein "Aber".
"Ich beobachte, dass einige Fraktionsmitglieder der CDU sehr wohl Gesprächsbereitschaft zeigen", sagt Krauß. "Und das ist natürlich schwierig."
Auch Lutz Jankus findet: Die Brandmauer zwischen seiner Partei und den anderen "gibt es eigentlich nicht mehr". Jankus ist Vorsitzender der AfD-Fraktion im Görlitzer Stadtrat. "Wenn wir selbst Anträge stellen, werden die regelmäßig abgelehnt", sagt er. "Aber wenn wir Anträge der anderen Fraktionen sinnvoll finden, stimmen wir denen zu."
Sachsen gilt als konservativ. Und für die Region im Osten des Bundeslandes gilt das noch mal besonders. Krauß drückt es so aus: "Das Verständnis für rechtskonservative Positionen im Alltag ist sehr hoch". Bei der Oberbürgermeisterwahl vor vier Jahren hätte die AfD – lange vor der Wahl eines AfD-Landrats in Sonneberg – beinahe das erste kommunale Spitzenamt in Deutschland erobert. Erst im zweiten Wahlgang setzte sich der CDU-Kandidat gegen den AfD-Herausforderer durch. "Wir sind hier halt nicht Leipzig", sagt Grünen-Stadträtin Krauß.
Es gebe nicht die eine Lösung, um die AfD wieder kleinzubekommen. Oder sie gar verschwinden zu lassen. "Was es aber bräuchte, ist eine Stärkung der Zivilgesellschaft, mehr Konsens, und die Bereitschaft, die eigenen Werte zu vertreten und zu leben", sagt Krauß. Dass die CDU das in der Lausitz und in Sachsen auch so sehe, glaubt sie jedoch nicht.
Verwendete Quellen:
- Gespräche mit Matthias Grahl, Lutz Jankus, Jana Krauß und Hans Vorländer
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