Union und Ampel wollen das Bundesverfassungsgericht für mögliche Krisenzeiten sturmfest machen. Dafür sollen Vorgaben zur Struktur der Institution ins Grundgesetz. Die AfD hält das für unnötig.
Die "Hüterin der Verfassung" und das "Schutzschild der Grundrechte", so nennt Justizminister
Was ist der Plan?
Kern des gemeinsamen Entwurfs von Koalition und CDU/CSU, über den am Donnerstag erstmals beraten wurde, ist die Verankerung von Regeln, die das Karlsruher Gericht betreffen, im Grundgesetz. Damit soll verhindert werden, dass diese Regeln, die sich aus Sicht aller Fraktionen bewährt haben, eines Tages mit einfacher Mehrheit geändert werden können.
SPD, Grüne, FDP und Union wollen die zwölfjährige Amtszeit der Richter und den Ausschluss einer Wiederwahl sowie die Altersgrenze der Richter von 68 Jahren in der Verfassung festschreiben. Im Grundgesetz verankert werden soll auch die Festlegung auf 16 Richter und zwei Senate. Damit die Arbeitsfähigkeit des Gerichts gesichert bleibt, soll im Grundgesetz außerdem stehen, dass ein Richter seine Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers weiterführt.
Bisher sind Änderungen, die das Risiko einer Blockade oder politischen Instrumentalisierung des Karlsruher Gerichts bergen, theoretisch mit einer einfachen Mehrheit möglich. Für eine Änderung oder Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes ist dagegen immer eine Zweidrittelmehrheit im Bundestages und im Bundesrat erforderlich. Da dies auch für die nun angestrebte Reform gilt, war die Ampel-Koalition gezwungen, die Union dafür ins Boot zu holen.
Damit auch in Zukunft niemand an diesen Prinzipien rütteln oder Urteile ignorieren kann, soll auch den Status des Gerichts sowie die Bindungswirkung seiner Entscheidungen Verfassungsrang bekommen. Das Gleiche gilt für die Geschäftsordnungsautonomie, also den Grundsatz, dass das Bundesverfassungsgericht seine inneren Angelegenheiten selbst regeln darf. Dazu gehört, welche Fälle zuerst bearbeitet werden.
Eine Öffnungsklausel im Grundgesetz soll überdies dafür sorgen, dass bei der Wahl neuer Richter das jeweils andere Wahlorgan einspringen kann, wenn es im Bundestag oder im Bundesrat über einen längeren Zeitraum keine Zweidrittelmehrheit für einen Kandidaten geben sollte. An dem Grundsatz, dass die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts jeweils zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden, soll festgehalten werden.
In Polen und Ungarn habe sich gezeigt, wie Feinde der Demokratie eine Parlamentsmehrheit für die Einflussnahme auf das Verfassungsgericht missbrauchen könnten, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Man handele hier vorausschauend, sagte der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen. Er betonte: "Wir Demokraten sind nicht doof." Die Vorschläge für eine bessere Absicherung des Gerichts seien "ein guter Anfang", sagte Clara Bünger von der Gruppe Die Linke.
Andrea Lindholz (CDU) stellt in ihrer Rede klar, dass eine Absicherung des Verfassungsgericht heute ebenso notwendig sei wie die anderer Verfassungsorgane. Sie verweist dabei auf die vergangenen Landtagswahlen: In Thüringen und Brandenburg hat die AfD eine sogenannte Sperrminorität erreicht. Sie besetzt dort ein Drittel der Plätze im Parlament – und kann Vorhaben blockieren. Im Februar hatte sich Lindholz noch skeptisch gegenüber einer Grundgesetzänderung geäußert.
Am Ende wurde der Vorschlag in ungewohnter Einigkeit vom Parlament angenommen. Zum Unwillen der AfD: Ihr Abgeordneter Fabian Jacobi zweifelte die Notwendigkeiten an, die bewährten Regeln im Grundgesetz zu verankern. Er sagte, es seien derzeit „keine Bestrebungen, diese zu ändern“, erkennbar.
Was fordert die Justiz?
Der Deutsche Richterbund fordert außerdem die Länder auf, ihre Gesetze zum Schutz von Demokratie und Rechtsstaat nachzuschärfen. "Auch die Bundesländer sollten ihre Landesverfassungen und Justizgesetze jetzt dringend auf mögliche Schwachstellen überprüfen", sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten".
Nur mit einer unabhängigen Justiz könne es gelingen, die Spielregeln der Demokratie und des Rechtsstaates wirksam durchzusetzen und zu verteidigen. "Das haben der AfD-Eklat im Thüringer Landtag und das Eingreifen des Landesverfassungsgerichts nochmals sehr deutlich gezeigt", sagte Rebehn.
Das Bundesverfassungsgericht wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes. Es bestimmt Zuständigkeiten und Grenzen für das Handeln des Staates. Besondere Bedeutung hat es für die Durchsetzung der Grundrechte. Wo Autokraten Macht erhielten, "nehmen sie sich als Erstes die unabhängige Justiz vor", warnte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic.
Wie könnten Parlamente geschützt werden?
Im März hatten Recherchen des Bayerischen Rundfunks enthüllt, dass die AfD zu diesem Zeitpunkt mehr als 100 Rechtsextreme beschäftigte. Darunter Aktivisten aus dem Umfeld der "Identitären Bewegung", Vordenker der "Neuen Rechten" und weitere Neonazis. Verfassungsfeinde mit Hausausweis für die Herzkammer der Demokratie: den Bundestag.
Auch die AfD selbst gilt als rechtsextremer Verdachtsfall und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Wie also das hohe Haus schützen? Ein Gutachten aus dem Juni kam zu dem Schluss, dass es möglich sei, die Zugangsregeln zu verschärfen. Und zwar auch für Mitarbeitende. Der Bonner Rechtswissenschaftler Klaus Gärditz plädiert unter anderem dafür, die Ausübung des Hausrechts und der Polizeigewalt durch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auf eine formell-gesetzliche Grundlage zu stellen.
Zu jedem, der einen Antrag auf Ausstellung eines solchen Hausausweises stellt, könnte dann beim Verfassungsschutz angefragt werden, ob Erkenntnisse vorliegen, die auf eine Unzuverlässigkeit hindeuten. Auch der Zugriff auf die IT-Systeme des Bundestags könnte verweigert werden, "wenn sich Mitarbeitende als verfassungsfeindlich und damit als unzuverlässig erweisen".
In die Hausordnung des Parlaments sollte zudem eine Klarstellung aufgenommen werden, dass allen Mitgliedern und Fraktionen die Nutzung der Räumlichkeiten nur im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gestattet sei. (ras)
Verwendete Quellen
- Debatte im Bundestag
- Material der dpa
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.