• Die Impf-Aussagen von Joshua Kimmich fielen zeitlich so ungünstig für Anne Will, dass die größte Empörungswelle am Sonntagabend bereits abgeebbt war. Dennoch war Kimmichs Haltung zum Impfen Aufhänger für die jüngste Talkrunde. Zu spät? Nein, denn der Schlagabtausch zwischen Karl Lauterbach und Sahra Wagenknecht dürfte die Debatte neu befeuern – und das ist gut so.
Christian Vock
Eine Kritik
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"Steigende Neuinfektionen, Sorge wegen Impfskepsis – Hilft oder schadet mehr Druck auf Ungeimpfte?", wollte Anne Will am Sonntagabend wissen. Die Frage wurde in dieser Form dann gar nicht so recht beantwortet, denn erst einmal mussten Karl Lauterbach und Co. Schwerstarbeit verrichten, um überhaupt die wichtigsten Dinge über die Corona-Impfung klarzustellen.

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Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will

  • Karl Lauterbach (SPD), Gesundheitspolitiker
  • Marco Buschmann (FDP), Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion
  • Sahra Wagenknecht (Die Linke), Bundestagsabgeordnete
  • Christina Berndt, Wissenschaftsredakteurin bei der "Süddeutschen Zeitung"

Darüber diskutierte Anne Will mit ihren Gästen

"Darf man ungestraft ungeimpft sein?", trägt Anne Will in ihrer Einleitung maximal dick auf – schließlich gibt es keine Corona-Impfpflicht und sie steht auch aller Voraussicht nach derzeit nicht an.

Trotzdem ist es ein Einstieg und so legt zuerst Sahra Wagenknecht ihre Ansichten übers Impfen dar: "Wer sich impfen lässt, der schützt in erster Linie sich selbst", zum Beispiel. Man solle das Impfen nicht moralisch als "einen Akt der Solidarität mit anderen aufblasen", erklärt Wagenknecht.

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Ihr Argument: Geimpfte könnten sich selbst und auch andere anstecken, weshalb sie zu dem Schluss kommt: "Das Einzige, wovor die Impfung schützt, nach derzeitigem Kenntnisstand sind schwere Verläufe, Krankenhauseinweisungen und mögliche Todesfolgen."

Immerhin, könnte man hier einwenden, sind das ja schon wirklich nicht unerhebliche Vorteile einer Impfung. Für Wagenknecht aber offenbar keine überzeugenden. Zwar habe sie auch Angst vor Corona, aber eben auch noch Zweifel an den Impfstoffen. Diese seien neu, mit einem neuen Verfahren und "langfristige Nebenwirkungen" seien auch nicht auszuschließen.

Skeptisch stimme sie auch, dass die Hersteller der Impfstoffe die Haftung für mögliche Langzeitfolgen haben ausschließen lassen. Außerdem lasse ja die Wirkung der mRNA-Impfstoffe schneller als gedacht nach.

Es sind ähnliche Sätze, wie man sie bereits von Joshua Kimmich gehört hat, und so ist es nun an Karl Lauterbach mit ähnlichen Sätzen, wie sie auch Joshua Kimmich gehört hat, zu antworten. Ob er sicher ausschließen könne, dass sich nicht in zehn Jahren "so was wie Nebenwirkungen" zeigen, will Will wissen und bekommt eine klare Antwort: "Ja, natürlich." Er würde sonst "den Wissenschaftlern dieser Welt" widersprechen müssen, so Lauterbach.

Und so nimmt sich der Gesundheitspolitiker dann ein Argument Wagenknechts nach dem anderen vor: Neuartigkeit der Impfstoffe und Verfahren? "Es kommt nie dazu, dass genetisches Material im Zellkern angefasst wird." Haftungsfrage? "Das ist immer so, wenn ein Staat Impfstoffe empfiehlt." Vermeintliche Überlegenheit klassischer Impfstoffe? Gerade die mRNA-Impfstoffe seien millionenfach verwendet worden, so dass man selbst die seltensten Nebenwirkungen gesehen hätte. Proteinimpfstoffe gegen Corona hingegen, wenn sie kämen, würden dann bei noch keiner großen Bevölkerungsgruppe eingesetzt worden sein: "Das ist ein Risiko." Lauterbachs Fazit: "Man darf die Menschen nicht verunsichern, die wir jetzt zur Impfung bitten. Die Impfstoffe sind sicher."

Dennoch ging es munter weiter. Zum Beispiel über den Unterschied der Viruslast bei Geimpften und Ungeimpften, über das Ausmaß von Long-COVID und die Frage, ob Impfen nun nur Privatsache oder nicht doch ein Akt der Solidarität ist.

Hier war es nun Christina Berndt, die Fehlinformationen aufräumte und klare Botschaften aussprach: Hilft Impfen der Gesellschaft, auch wenn man sich trotzdem anstecken kann? "Es hilft schon der Gesellschaft in der Summe", denn "die Geimpften sind deutlich weniger ansteckend für andere." Probleme durch volle Intensivstationen? "Die wären sehr viel kleiner, wenn mehr Menschen geimpft wären." Geimpfte auch auf Intensivstationen? "Dass ein geimpfter Mensch auf die Intensivstation kommt, wenn er nicht alt und vorerkrankt ist, die Gefahr ist sehr, sehr gering."

Der erste merkwürdige Moment des Abends

Nach etwa einer halben Stunde fiel Sahra Wagenknecht mit einem Satz auf, den man sehr oft von Menschen hört, wenn es um die scheinbare Widerlegung wissenschaftlicher Argumente geht: "Es gibt nicht eine Meinung, auch nicht unter Wissenschaftlern, auch nicht unter Ärzten", erklärte Wagenknecht da. Das klingt in der Sache erst einmal richtig, verschweigt aber zwei wichtige Umstände.

Zum einen, dass es in "der" Wissenschaft deutlich weniger um Meinungen geht, sondern mehr um, na ja, eben wissenschaftliche Methoden. Zum anderen bedeutet der Umstand, dass zum Beispiel eine Frage von einem Wissenschaftler mit ja, aber von 1.000 anderen Wissenschaftlern mit nein beantwortet wird, nicht, dass es hier zwei zwar unterschiedliche, aber dennoch gleichwertige "Meinungen" gibt. Was es aber gibt, ist ein wissenschaftlicher Konsens, also die "Mehrheitsmeinung".

Der zweite merkwürdige Moment des Abends

"Ich weiß nicht, warum ich das, meinen Gesundheitsstatus, meine Vorerkrankungen jetzt im öffentlichen Fernsehen erläutern muss und was mich dazu bringt, dass ich vielleicht auch bei Dingen, wo ich gesundheitlich Probleme habe, in Abwägung mit der Impfung mich dagegen entschieden habe. Ich finde, das ist doch mein Recht und ich muss das nicht öffentlich begründen", erklärt Sahra Wagenknecht, als Will sie fragt, warum sie sich nicht impfen lassen möchte.

Nun sind bisher keine Fälle bekannt, in denen die Redaktion von Anne Will einen Gast zum Kommen oder gar zu einer Antwort gezwungen hat. Dass Sahra Wagenknecht als ungeimpfte Person bei einer Diskussionsrunde über die Corona-Schutzimpfung gefragt wird, warum sie sich nicht impfen lässt, erscheint auch nicht gerade abwegig und hätte der Linken-Politikerin irgendwie vorher klar sein können. Dass sie trotzdem zum Impf-Talk von Anne Will gekommen ist, um dann eine solche Frage zu kritisieren, erscheint doch reichlich absurd.

Der Schlagabtausch des Abends

Im Grunde war der ganze Abend ein einziger Schlagabtausch. Erst legte Sahra Wagenknecht ihre Ansichten dar, dann versuchten Karl Lauterbach und Christina Berndt das Gesagte irgendwie wieder einzufangen, Irrtümer zu widerlegen und Dinge gerade zu rücken – ehe es von vorne losging.

Das geschah fast ausschließlich in der Sache, nur einmal, als es um Long-COVID ging, geriet Lauterbach nach Wagenknechts Aussagen an seine Grenzen: "Ich widerspreche Ihnen da so emotional, weil sie hier wirklich, ich sag mal, offen gesagt in der Hinsicht zumindest Unsinn erzählen."

Auch Christina Berndt riss irgendwann der Geduldsfaden. Als Wagenknecht Zahlen über symptomatische Infektionen in den Raum warf, sah sich die Wissenschaftsjournalistin zur Klarstellung gezwungen: "Ich finde, dass Sie so den Fokus verschieben. Auch wenn Sie reden über Impfungen, die Nebenwirkungen und die Gefahr durch Corona, dann haben Sie so eine völlig verschobene Risikowahrnehmung. Bei den Impfungen sehen Sie Gefahren, weil Ihnen das alles nicht geheuer ist, aber diese Infektion, das zeigen doch sämtliche Studien, ist für jede Altersgruppe der Erwachsenen in jedem Fall gefährlicher als die Impfung – und zwar bei weitem."

So schlug sich Anne Will

Gut. Weil sie einfach Ihren Job machte. Sie moderierte im wahrsten Sinne des Wortes, schlug sich auf keine Seite, sondern konfrontierte ihre Gäste mit den Fragen der Gegenseite, wies auf Widersprüche hin, hakte nach, wenn ausgewichen wurde, beendete, wenn es redundant wurde.

Das Fazit des Abends

Es war ein kleiner Satz, den Sahra Wagenknecht fast schon nebenbei fallen ließ: "Ich weiß es nicht, ich bin ja ein Laie", erklärte Wagenknecht, als es um die Zulassung von Totimpfstoffen geht. Man hätte es an dieser Stelle sein lassen und sagen können: Nun gut, dann beenden wir das Ganze doch und hören lieber zu, was diejenigen zu einer Pandemie zu sagen haben, die keine Laien sind. Auch die "Anne Will"-Redaktion hätte im Vorfeld sagen können: Frau Wagenknecht ist nicht nur Laiin, sondern gehört auch noch zu dem kleinen Teil der Menschen, der sich nicht impfen lässt – warum sollten wir sie denn einladen und diesen Teil sichtbarer machen als er ist?

All das hätte man mit nur geringem Einsatz von Logik begründen können, nur hätte es der Sache nicht geholfen. Denn auch wenn der allergrößte Teil auf die Menschen gehört hat, die eben keine Laien sind und sich hat impfen lassen – Ansichten wie die von Sahra Wagenknecht gibt es ja und längst nicht jeder, der Bedenken hat, ist ein Spinner. Das zeigt nicht nur der Fall Kimmich. Daher ist ebenso müßig wie gut, über die immer gleichen Mythen, Irrtümer und Halbwahrheiten aufzuklären, wo es nur geht. Denn, so ja auch das Argument fürs Impfen: Jeder Geimpfte zählt.

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