Emotional diskutieren die Gäste von Frank Plasberg über die Zustände in der Fleischindustrie. Politiker schieben sich gegenseitig die Schuld zu – und ein Pfarrer äußert scharfe Kritik.

Eine Kritik
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Der Kreis Gütersloh schlägt Amerika: Ursprünglich sollte es am Montagabend bei "Hart aber fair" um die jüngsten Eskapaden von US-Präsident Donald Trump gehen, doch kurzfristig hebt die Redaktion ein anderes Thema in die Sendung.

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Nachdem sich beim größten deutschen Fleischproduzenten Tönnies mehr als 1.500 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert haben, ist nicht nur der westfälische Kreis Gütersloh in Aufruhr.

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Das ganze Land muss plötzlich wieder mit steigenden Infektionszahlen umgehen, bange Fragen sind daher angebracht: Drohen neue Beschränkungen des öffentlichen Lebens? Ist vielleicht sogar der langersehnte Sommerurlaub wieder in Gefahr? Die Debatte verläuft entsprechend hitzig – liefert aber nicht auf jede Frage eine Antwort.

Wer sind die Gäste bei "Hart aber fair"?

Karl-Josef Laumann: Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister wehrt sich gegen den Vorwurf, die Landesregierung unternehme zu wenig, um das Infektionsgeschehen rund um die Fleischfabrik unter Kontrolle zu bringen. Schulen und Kitas seien dicht, 7000 Menschen in Quarantäne, 100 Teams würden jeden Infizierten aufsuchen. "Wir sind ja schon mitten im Lockdown", sagt der CDU-Politiker.

Christian von Boetticher: Der Vizepräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie ist selbst Chef eines großen Müsli-Herstellers. Er hat hier aber die undankbare Aufgabe, auch die Fleischproduzenten zu verteidigen. Die gesamte Branche habe in der Phase der bundesweiten Corona-Lockdowns viel geleistet: "Die Nahrungsmittelindustrie hat Höchstleistung gefahren."

Katrin Göring-Eckardt: "Das ganze System ist in der Grütze", findet die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Das Coronavirus vergrößere wie ein Brennglas Probleme, die schon seit langem bekannt seien. Göring-Eckardt will deshalb das ganze System umkrempeln: "Wir brauchen einen Mindestpreis für Fleisch."

Karl Lauterbach: "Es gibt keine Linie", lautet die Kritik des Epidemiologen an der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Das Coronavirus sei möglicherweise schon seit "vier, sechs, acht Wochen" bei Tönnies unterwegs, vermutet der SPD-Gesundheitsexperte. Seine größte Sorge sei, dass Reisende das Virus auch in andere Regionen bringen könnten. "Dann kann sich da ein neuer Pandemieherd bilden."

Michael Bröcker: Der Journalist kritisiert die "Wankelmütigkeit in der Kommunikation" des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Armin Laschet stehe innerhalb der CDU für das Lager der Lockerungsbefürworter und müsse gleichzeitig den Fall Tönnies managen. "Er wird jetzt daran gemessen werden, ob er Deutschland zurückbringt in eine schwierige Lage oder nicht."

Peter Kossen: Der Pfarrer aus Lengerich setzt sich seit langem für die Belange von osteuropäischen Arbeitern in der Fleischindustrie ein. Er berichtet unter anderem von den Bedingungen, unter denen sie in Deutschland hausen müssen. "Es werden Wohnungen vollgesteckt mit Leuten, so dass man auch mit sehr erbärmlichen Unterkünften sehr viel Geld verdienen kann."

Was ist der Moment des Abends?

Peter Kossen hat die Zustände in der Fleischindustrie schon lange vor dem Corona-Ausbruch angeprangert. Bis zu 250 Stunden müssten die Arbeiter im Monat schuften, so Kossen. "Das war vorher schon gesundheitsgefährdend."

Dass ausgerechnet Unternehmenschef Tönnies höchstpersönlich jetzt verspricht, die Branche umzukrempeln, findet Kossen unglaubwürdig: "Man kann die Mafia nicht mit der Mafia bekämpfen." Er sagt das alles so überlegt, dass wohl niemand an seiner Ernsthaftigkeit zweifeln würde. Doch Kossen erntet auch heftigen Widerspruch im Studio.

Christian von Boetticher als Sprecher der Nahrungsmittelindustrie ärgert sich vor allem, dass "der Herr Pfarrer" die Arbeitsbedingungen der ausländischen Fleischarbeiter mit Sklaverei vergleiche. "Die kommen im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit freiwillig hierher", so Von Boetticher.

Sklaven dagegen seien früher gefoltert und aus ihrer Heimat verschleppt worden. "Diese Vergleiche gehen einfach nicht", schimpft der Unternehmer. "Das geht mir so gegen den Strich."

"Der Herr Pfarrer" aber lässt sich nicht beirren: Die Arbeiter seien von Not getrieben, vielen fänden sich in Deutschland in einer Sackgasse wieder. Betroffene hätten ihm gesagt: "Wir fühlen uns wie Sklaven hier."

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Was ist das Rededuell des Abends bei "Hart aber fair"?

Auch Karl-Josef Laumann platzt der Kragen. Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt hat zuvor kritisiert, dass alle Beteiligten nur Schuldige suchen würden – und macht dann selbst einfach mit. Sie wirft der schwarz-gelben NRW-Landesregierung vor, zu spät reagiert zu haben.

Den Grund für die hohen Infektionszahlen sieht sie in den Arbeitsbedingungen in der Branche und dem Umstand, dass Unternehmen Mitarbeiter mit sogenannten Werkverträgen beschäftigen und sich so aus der Verantwortung stehlen. Da habe die Landesregierung früher handeln müssen.

Und da wird CDU-Politiker Laumann wütend. Er behauptet, kein Politiker habe die Werkverträge in der Fleischindustrie so angeprangert wie er selbst. Den Schwarzen Peter schiebt Laumann an die Grünen-Politikerin zurück: "War das nicht unter Rot-Grün, wo diese Werkverträge möglich wurden?"

Ein altbekanntes Bild: Zwei Politiker schieben sich gegenseitig die Schuld zu, ohne gemeinsam über Lösungen nachzudenken. Damit kann keiner von beiden punkten.

Was ist das Ergebnis?

Es wird nicht langweilig an diesem Abend – schließlich ist das Thema höchst emotional. Doch der unnötige Streit zwischen Laumann und Göring-Eckardt steht symbolisch für die ganze Sendung: Es geht viel um Verantwortung, um Fehlersuche und Rechtfertigungen. Der Blick in die Zukunft kommt dagegen zu kurz.

Könnte der Tönnies-Skandal zum Beispiel wirklich ein Wendepunkt für unseren Umgang mit Tieren und Menschen sein, wie es der Journalist Michael Bröcker vermutet? Kann ein Mindestpreis für Fleisch für bessere Bedingungen sorgen – und wäre er in einer Marktwirtschaft überhaupt umsetzbar?

Wann kommt das Verbot der Werkverträge in der Fleischindustrie, das inzwischen eigentlich alle fordern? Und müssen sich auch die Menschen in anderen Regionen Deutschlands Sorgen vor einer zweiten Infektionswelle machen?

Diese Fragen bleiben offen. Zeit, sie in einer der nächsten Sendungen zu vertiefen, bleibt leider auch nicht: Mit der Diskussion um den Fleischskandal verabschiedet sich auch Frank Plasberg in die Sommerpause.

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