Emotional diskutieren die Gäste von Frank Plasberg über die Zustände in der Fleischindustrie. Politiker schieben sich gegenseitig die Schuld zu – und ein Pfarrer äußert scharfe Kritik.
Der Kreis Gütersloh schlägt Amerika: Ursprünglich sollte es am Montagabend bei "Hart aber fair" um die jüngsten Eskapaden von US-Präsident
Nachdem sich beim größten deutschen Fleischproduzenten Tönnies mehr als 1.500 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert haben, ist nicht nur der westfälische Kreis Gütersloh in Aufruhr.
Das ganze Land muss plötzlich wieder mit steigenden Infektionszahlen umgehen, bange Fragen sind daher angebracht: Drohen neue Beschränkungen des öffentlichen Lebens? Ist vielleicht sogar der langersehnte Sommerurlaub wieder in Gefahr? Die Debatte verläuft entsprechend hitzig – liefert aber nicht auf jede Frage eine Antwort.
Wer sind die Gäste bei "Hart aber fair"?
Christian von Boetticher: Der Vizepräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie ist selbst Chef eines großen Müsli-Herstellers. Er hat hier aber die undankbare Aufgabe, auch die Fleischproduzenten zu verteidigen. Die gesamte Branche habe in der Phase der bundesweiten Corona-Lockdowns viel geleistet: "Die Nahrungsmittelindustrie hat Höchstleistung gefahren."
Michael Bröcker: Der Journalist kritisiert die "Wankelmütigkeit in der Kommunikation" des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten.
Peter Kossen: Der Pfarrer aus Lengerich setzt sich seit langem für die Belange von osteuropäischen Arbeitern in der Fleischindustrie ein. Er berichtet unter anderem von den Bedingungen, unter denen sie in Deutschland hausen müssen. "Es werden Wohnungen vollgesteckt mit Leuten, so dass man auch mit sehr erbärmlichen Unterkünften sehr viel Geld verdienen kann."
Was ist der Moment des Abends?
Peter Kossen hat die Zustände in der Fleischindustrie schon lange vor dem Corona-Ausbruch angeprangert. Bis zu 250 Stunden müssten die Arbeiter im Monat schuften, so Kossen. "Das war vorher schon gesundheitsgefährdend."
Dass ausgerechnet Unternehmenschef Tönnies höchstpersönlich jetzt verspricht, die Branche umzukrempeln, findet Kossen unglaubwürdig: "Man kann die Mafia nicht mit der Mafia bekämpfen." Er sagt das alles so überlegt, dass wohl niemand an seiner Ernsthaftigkeit zweifeln würde. Doch Kossen erntet auch heftigen Widerspruch im Studio.
Christian von Boetticher als Sprecher der Nahrungsmittelindustrie ärgert sich vor allem, dass "der Herr Pfarrer" die Arbeitsbedingungen der ausländischen Fleischarbeiter mit Sklaverei vergleiche. "Die kommen im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit freiwillig hierher", so Von Boetticher.
Sklaven dagegen seien früher gefoltert und aus ihrer Heimat verschleppt worden. "Diese Vergleiche gehen einfach nicht", schimpft der Unternehmer. "Das geht mir so gegen den Strich."
"Der Herr Pfarrer" aber lässt sich nicht beirren: Die Arbeiter seien von Not getrieben, vielen fänden sich in Deutschland in einer Sackgasse wieder. Betroffene hätten ihm gesagt: "Wir fühlen uns wie Sklaven hier."
Lesen Sie auch: Armin Laschet kündigt Corona-Lockdown für gesamten Kreis Gütersloh an
Was ist das Rededuell des Abends bei "Hart aber fair"?
Auch Karl-Josef Laumann platzt der Kragen. Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt hat zuvor kritisiert, dass alle Beteiligten nur Schuldige suchen würden – und macht dann selbst einfach mit. Sie wirft der schwarz-gelben NRW-Landesregierung vor, zu spät reagiert zu haben.
Den Grund für die hohen Infektionszahlen sieht sie in den Arbeitsbedingungen in der Branche und dem Umstand, dass Unternehmen Mitarbeiter mit sogenannten Werkverträgen beschäftigen und sich so aus der Verantwortung stehlen. Da habe die Landesregierung früher handeln müssen.
Und da wird CDU-Politiker Laumann wütend. Er behauptet, kein Politiker habe die Werkverträge in der Fleischindustrie so angeprangert wie er selbst. Den Schwarzen Peter schiebt Laumann an die Grünen-Politikerin zurück: "War das nicht unter Rot-Grün, wo diese Werkverträge möglich wurden?"
Ein altbekanntes Bild: Zwei Politiker schieben sich gegenseitig die Schuld zu, ohne gemeinsam über Lösungen nachzudenken. Damit kann keiner von beiden punkten.
Was ist das Ergebnis?
Es wird nicht langweilig an diesem Abend – schließlich ist das Thema höchst emotional. Doch der unnötige Streit zwischen Laumann und Göring-Eckardt steht symbolisch für die ganze Sendung: Es geht viel um Verantwortung, um Fehlersuche und Rechtfertigungen. Der Blick in die Zukunft kommt dagegen zu kurz.
Könnte der Tönnies-Skandal zum Beispiel wirklich ein Wendepunkt für unseren Umgang mit Tieren und Menschen sein, wie es der Journalist Michael Bröcker vermutet? Kann ein Mindestpreis für Fleisch für bessere Bedingungen sorgen – und wäre er in einer Marktwirtschaft überhaupt umsetzbar?
Wann kommt das Verbot der Werkverträge in der Fleischindustrie, das inzwischen eigentlich alle fordern? Und müssen sich auch die Menschen in anderen Regionen Deutschlands Sorgen vor einer zweiten Infektionswelle machen?
Diese Fragen bleiben offen. Zeit, sie in einer der nächsten Sendungen zu vertiefen, bleibt leider auch nicht: Mit der Diskussion um den Fleischskandal verabschiedet sich auch
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.