Seit Tagen überschlagen sich die Meldungen über umstrittene Wahlkampfauftritte türkischer Politiker im Ausland. Die jüngsten Triebfedern: ein Auftrittsverbot des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu in den Niederlanden und ein Nazivergleich Erdogans. Moderator Frank Plasberg rückte gestern die hier lebenden Deutschtürken in den Fokus. Und suchte Antworten auf die Frage: Warum feiern viele von ihnen Erdogan?

Mehr aktuelle News

Ist es Frust oder Verkennung der Realität? Oder das Resultat dessen, dass sich viele in Deutschland lebende Türken als Bürger zweiter Klasse fühlen? Die O-Töne zu Beginn – aufgenommen in Köln-Nippes – werfen viele Fragen auf. Sie wirken als Spiegel, der die breite Zustimmung der Deutschtürken für "ihren Präsidenten" Recep Erdogan reflektieren.

Und es liegt an Frank Plasbergs Gästen, in 75 Minuten genügend Antworten zu finden: CDU-Politiker und Bundesminister des Inneren Thomas de Maizière, B‘90/Grüne-Spitzenkandidat Cem Özdemir, Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann, Journalistin Düzen Tekkal und der stellvertretende Vorsitzende der Union Europäisch-Türkischer Demokraten, kurz UETD, Fatih Zingal.

Letzterer bemängelt, das Ergebnis der Dreharbeiten in Nippes sei nicht repräsentativ, denn wäre man an eine Universität gegangen, hätten die O-Töne anders geklungen. Was Plasberg nicht fragt: Hätte das Team dort genauso viele türkische Mitbürger interviewen können wie in Köln-Nippes?

Cem Özdemir findet klare Worte zur Türkei

Während de Maizière sich zurückhält, findet Cem Özdemir gleich klare Worte. "Die Probleme unserer Kinder werden hier gelöst und nicht in der Türkei!" Das müsse unmissverständlich klargemacht werden. Daniel Zimmermann, Bürgermeister der Stadt Monheim am Rhein und das Neutrum der Sendung, ist vorsichtig.

Schließlich bedeute Meinungsfreiheit, den hier lebenden Erdogan-Anhängern ihre Ansichten zu lassen. Das steht an sich nicht zur Debatte. Diese Meinungsfreiheit vorzuschieben, um sich der Diskussion zu entziehen, ist jedoch weit weg vom Sinn eines Polittalks.

Wenn Fatih Zingal das Förmchen rüber schmeißt

Als Plasberg die gewalttätigen Auseinandersetzungen türkischer Demonstranten mit der Polizei in den Niederlanden anspricht und Nazivergleiche ins Spiel kommen, nimmt die Diskussion an Fahrt auf. Hier die Vorzüge der Demokratie genießen und dort für eine Diktatur stimmen? Für Özdemir undenkbar.

Von Plasberg auf Erdogans Nazivergleich angesprochen, reagiert Zingal mit einem eigenen Gegenentwurf. Schließlich habe Jürgen Trittin auch einen Nazivergleich in Richtung Erdogan geäußert. Für den Moderator ist das nur "Förmchen rüber schmeißen". Beinahe verzweifelt spricht Özdemir an, dass die UETD sich nicht von den Aussagen der Türkei distanziere.

Zingals Beschwichtigungsversuche gießen für den Grünenpolitiker nur Öl ins Feuer. Denn während dieser zunächst die deutschtürkische Freundschaft anpreist, um Sekunden später zu monieren, Deutschland toleriere Kundgebungen der prokurdischen HDP, hat bis dahin auch de Maizière genug gehört. "Warum machen Sie sich zum Sprecher aller Deutschtürken?" will er von ihm wissen.

Der Bundesinnenminister wird deutlich – für ihn katapultiert sich Zingal durch die Wahl bestimmter Beispiele in eine Opferrolle.

Als Düzen Tekkal der Kragen platzt

In Hamburg waren die Brandschutzbestimmungen Schuld, in Köln fehlte ein Mietvertrag: Zuletzt wurden geplante Veranstaltungen der Erdogan-Minister abgesagt. Damit tue man sich keinen Gefallen findet Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann. Er hätte wenig Probleme mit so einer Veranstaltung.

Beim Thema Wahlkampf kommt wieder Zingal zu Wort. Seiner Meinung nach sei der Wahlkampf in der Türkei fair, die CAP äußere sich offen gegen das Präsidialsystem, die Berichterstattung sei frei. Dass unter anderem 13 Oppositionspolitiker, darunter der Chef der HDP, sowie 148 Journalisten – zum Beispiel Welt-Reporter Deniz Yücel – inhaftiert sind, ignoriert er.

Ganz im Gegensatz zu Düzen Tekkal. Sie reagiert emotional bis fassungslos. Sie vermisst in der Türkei das Rederecht. Menschen haben Angst, Stimmen verstummen. Schließlich platzt ihr der Kragen: "Tun Sie doch nicht so, als ob alles in Ordnung sei, das stimmt nicht!" Tekkal zeigt klare Kante.

Doch die Frage der Sendung bleibt unbeantwortet. Selbst Plasbergs Versuch, einen Deutschtürken zu verstehen, der sich pro Merkel äußert, aber in der Türkei für das Präsidialsystem stimmen möchte, ist vergebens. Türkischsein als Identität zu begreifen – und zu beleuchten – dafür bleibt keine Zeit. Hier lassen sich Tekkals Worte aufgreifen: "Wir müssen Werte unterrichten."

Vielleicht müssen wir erst verstehen, wie identitätsprägend Werte sind. Sie halten eine Gesellschaft zusammen. Und sind ebenso imstande, sie zu spalten.

Türkei unter Erdogan: Aktuelle News zu Präsidialsystem und Referendum

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.