Sternstunde der Demokratie oder einmaliger historischer Tabubruch? Die Diskussion zur Migrations-Abstimmung im Bundestag beschäftigte die Gäste bei "Markus Lanz" auch am Donnerstag. Für den Vater des 17-jährigen Todesopfers von Brokstedt 2023 klingt die Debatte derweil "wie blanker Hohn".

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Doris Neubauer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der Messerangriff in Aschaffenburg, der am 22. Januar 2025 einem Kleinkind und einem Mann das Leben gekostet hatte, wird vielerorts als "Zäsur" bezeichnet. Vor allem hatte er die Migrationsdebatte ins Zentrum des Wahlkampfs für die Bundestagswahl am 23. Februar gerückt.

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Spätestens seitdem Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Mittwoch einen Fünf-Punkte-Plan im Bundestag zur Abstimmung gebracht hatte und dank der Stimmen der AfD durchgesetzt hatte, kochen die Emotionen hoch.

Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Der Messerangriff in Aschaffenburg durch einen ausreisepflichtigen Afghanen reihte sich in eine Serie von Gewalttaten ein, die in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen sorgten. Erst im Dezember hatte in Magdeburg ein Mann mit saudi-arabischer Herkunft mit seinem Auto auf einem Weihnachtsmarkt sechs Menschen getötet und knapp 300 Menschen verletzt.

Und fast genau vor zwei Jahren wurde ein frisch verliebtes Teenager-Paar in einem Zug in Brokstedt durch einen Palästinenser, der wegen Strafdelikten erst aus dem Gefängnis entlassen wurde, ermordet.

"Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen", hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verkündet und noch am Abend der Tat die Chefs des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei ins Kanzleramt gerufen. "Spätestens mit Aschaffenburg ist jetzt wirklich Schluss", meinte auch Friedrich Merz (CDU), legte dem Bundestag seinen Fünf-Punkte-Plan und brach damit sogar eine erneute "Brandmauer-Debatte" vom Zaun.

Diesen Antrag und das Wahlkampf-Kernthema – Migration – beleuchtete Markus Lanz am Donnerstag von verschiedenen Seiten.

Das sind die Gäste bei "Markus Lanz"

  • Klara Geywitz, SPD-Politikerin und Bundesbauministerin: "Friedrich Merz hat die Republik angezündet."
  • Kerstin Münstermann, Leiterin des Parlamentsbüros der "Rheinischen Post": "Friedrich Merz hat Geister gerufen, die er nicht mehr loswird, und die Gräben (...) sind sehr groß geworden."
  • Gerald Knaus, Migrationsforscher: "Diese Grenzkontrollen sind kein Beitrag, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen."
  • Michael Kyrath, Hinterbliebener von Brokstedt: "Es geht hier um Menschenleben, um Kinderleben, um unser aller Kinder: Da sollte eine vernünftige Diskussion stattfinden, die sich auf die Kernthemen beruft – wie kriegen wir dieses Land wieder auf Vordermann, wie kriegen wir die Bürger wieder in Sicherheit, dass man gefahrlos in einen Zug steigen kann, ohne erstochen zu werden – und nicht, ob irgendwo Grabenkämpfe sind."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Es waren turbulente Tage im Deutschen Bundestag, ja in der deutschen Politik: Kerstin Münstermann, Leiterin des Parlamentsbüros der "Rheinischen Post", bezeichnete die knappe Zustimmung zum Fünf-Punkte-Plan gemeinsam mit AfD Stimmen als "einen Moment der Wahrheit, aber keine Sternstunde der Demokratie". Klara Geywitz, SPD-Politikerin, ging noch einen Schritt weiter: "Friedrich Merz hat die Republik angezündet", meinte sie.

Solche Debatten klängen für ihn "wie blanker Hohn", ging Michael Kyrath das Thema sichtlich nahe. Der Zahntechniker hatte vor zwei Jahren seine Tochter verloren: Die 17-jährige Ann-Marie und ihr Freund Danny (19) waren von einem Palästineser in einem Zug in Brokstedt ermordet worden.

Keine Einzelfälle: "In den letzten zwei Jahren waren wir mit 300 Elternpaaren in Kontakt, die ihre Kinder verloren haben", so Kyrath. Was sie eine sei: "Es ist immer dasselbe Täterprofil. Es ist dasselbe Tatwerkzeug. Es ist nahezu derselbe Tathergang. Es sind nahezu dieselben Tatmotive und es sind am Ende einer Tat dieselben Floskeln." Der Politik warf er vor leere Versprechungen zu machen, wirklich geschehen sei "gar nichts."

Michael Kyrath bei "Markus Lanz"
Die Tochter von Michael Kyrath kam bei einem Messerangriff ums Leben. Seine Forderung an die Politik lautete: "Fangt an, unsere Kinder zu schützen!" © ZDF / Markus Hertich

Es müsse eine vernünftige Diskussion stattfinden, "die sich auf die Kernthemen beruft: Wie kriegen wir dieses Land wieder auf Vordermann, wie kriegen wir die Bürger wieder in Sicherheit, dass man gefahrlos in den Zug steigen kann, ohne erstochen zu werden", hielt er von diesen Grabenkämpfen fernab der Realität und den Bedürfnissen der Bürger wenig.

Schließlich ginge es hier um "Menschenleben, um Kinderleben", betonte er. Es würde immer wieder gesagt, dass unsere Kinder die Zukunft des Landes wären. "Und dann werden unsere Kinder auf dem Altar irgendwelcher Eitelkeiten geopfert. Das passt alles nicht zusammen". Sein Appell an die Politik: "Fangt an, unsere Kinder zu schützen!"

Das ist das Rede-Duell des Abends

"Warum schieben wir nicht ab?", wollte Lanz von der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Klara Geywitz in Bezug auf Abschiebeflüge nach Afghanistan wissen. Abschiebungen seien aufgrund der Rechtslage in der Vergangenheit schwer zu organisieren gewesen, antwortete die Politikerin.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) habe aber geändert, dass Behörden auch abseits ihrer Wohnung nach abzuschiebenden Asylbewerbern suchen dürften. "Das war die Situation, die Horst Seehofer als Innenminister hinterlassen hatte", meinte sie.

Mehr musste sie nicht sagen: "Ne, ne, Frau Geywitz, sind Sie mir nicht böse, das macht die Leute wahnsinnig, diese Parteipolitik", unterbrach Lanz und es fiel ihm sichtlich schwer, die Fassung zu bewahren. "Sie weisen jetzt zum zweiten Mal auf Horst Seehofer hin." Da wurde auch Geywitz emotional: "Ich sitze jetzt hier. Sie haben drei Jahre lang nichts gemacht, das ist Ihre rhetorische Unterstellung", klagte sie.

"Entschuldigen Sie, Sie waren vorher Teil der großen Koalition", brachte das Lanz erst recht auf die Palme. Geywitz ignorierte diesen Einwurf und fuhr mit ihrer Aufzählung von Maßnahmen der Ampel-Regierung fort. Markus Lanz stützte seinen Kopf ab und rang sichtbar um Fassung.

Und nicht nur er: "Ich gönne Ihnen, dass Sie im Wahlkampf sind und ständig drauf hinweisen, was die CDU falsch und Sie richtig gemacht haben und sich heroische Dinge auf die Fahnen schreiben wollen", wurde es auch Michael Kyrath zu viel. "Das bringt aber meine Tochter nicht wieder zurück - und andere auch nicht. (...) Wann fangen Sie an zu handeln?"

Klara Geywitz bei "Markus Lanz"
Klara Geywitz suchte die Schuld für die Verfehlungen in der Migrationspolitik unter anderem bei der Union. © ZDF / Markus Hertich

Geywitz musste schlucken. "Das ist das Problem von Politik in diesem Bereich, das Aufzählen von furchtbar bürokratischen Zuständigkeiten und Abläufen", meinte sie schließlich, "das alles will ich aber nicht dem Vater sagen, der seine Tochter verloren hat." Kyrath widersprach energisch: "Sie tun es aber tagtäglich!"

Geywitz sagte weiter: "Das ist nicht eine adäquate Reaktion auf den Verlust eines Kindes, aber sie können ein Beitrag dazu sein, dass es nicht so oft wieder passiert." Es könne nie "absolute Sicherheit geben".

"Da sind wir uns einig", ließ Kyrath sie nicht so einfach aus der Verantwortung, "aber Sie sitzen doch an den Schalthebeln. Nicht erst seit den letzten drei Jahren, auch davor in der großen Koalition. Sie hätten doch vorher Entscheidungen treffen können, die das vereinfachen."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Das Thema ging Markus Lanz sichtlich nahe: Immer wieder verlor er die Fassung und machte aus seinem Unverständnis für die politische Hilfslosigkeit und die Parteipolitik, insbesondere von Klara Geywitz keinen Hehl. Emotional wurde der ZDF-Moderator auch angesichts der Schilderungen des Hinterbliebenen Michael Kyrath.

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

"So viel Apokalypse für heute, und kein optimistischer Ausblick" – am Ende der Sendung war Markus Lanz sprachlos. Die Diskussion legte offen, dass es den demokratischen Parteien an praktikablen Lösungen für Migrationsfragen fehlt. Zudem machten verzweifelte Schilderung von Michael Kyrath das Unverständnis vieler Bürger für die Entscheidungen auf politischer Ebene deutlich.

Die Worte des Hinterbliebenen hallten nach Sendungsende nach: "Es ist unglaublich, was die Politik mit uns als Bürger macht, da müssen sich viele Leute schämen – und dass Sie bis heute nicht bereit sind, Abhilfe zu schaffen, sondern weiter nach Ausflüchten suchen, und alles auf die komplizierte Lage schieben! Diejenigen, die seit mehr als dreieinhalb Jahren an der Regierung beteiligt sind, haben alle Möglichkeiten dazu. Bis heute ist nichts passiert. Da lasse ich die Ausreden, das ist alles so kompliziert, nicht mehr gelten."  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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