Bedingt optimistisch – so könnte man die Diskussion über die Corona-Lockerungen bei "Maybrit Illner" zusammenfassen. Wären da nicht die Ungewissheit bezüglich eines Impfstoffs und die mahnenden Worte, Kunst und Kultur in Deutschland nicht sterben zu lassen. Doch das wahre Problem tritt zutage, als ein Virologe zur Öffnung der Schulen und dem damit verbundenen Risiko Stellung beziehen soll.

Christian Vock
Eine Kritik

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Corona, war da was? Noch vor wenigen Tagen wurde der R-Faktor noch beobachtet wie sonst nur das Auf und Ab der Aktienkurse. Inzwischen scheint aber mit den immer größeren Lockerungen auch eine lockerere Haltung bei Abstandsregeln und Co. einherzugehen. Dementsprechend fragt Maybrit Illner am Donnerstagabend: "Corona-Leichtsinn – weniger Regeln, mehr Ärger?"

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner

Darüber diskutierte die Runde bei "maybrit illner"

Lockerungen

Mit Blick auf Partys und Demonstrationen fragt Maybrit Illner etwas salopp: "Gelten die Regeln bald nur noch für die Dummen?", und es ist Nocun, die in ihrer Antwort etwas differenziert.

Man müsse auch bei Demonstrationen unterscheiden. So seien bei den Anti-Rassismus-Demos aus ihrer Erfahrung die Abstandsregeln weitgehend eingehalten worden.

Braun erklärt, dass man zwar Schritte Richtung Normalität gehe, aber "diese elementaren Regeln müssen wir so lange durchhalten, bis es eines Tages einen Impfstoff gibt."

Allen, die sich nicht an diese Regeln halten wollen, gibt Braun einen Hinweis in puncto Solidarität: "Wer sich daneben benimmt, belastet die Gesellschaft insgesamt."

Kunst

Man kann es als Zeichen von Zynismus deuten, dass Kunst und Kultur in einer Sendung über Corona den gleichen Stellenwert erhalten wie bei den bisherigen Corona-Hilfen – einen viel zu kurzen.

Kabarettist Pufpaff wird aus Düsseldorf zugeschaltet und darf in einem Kurzauftritt mit eindringlichen Worten daran erinnern, dass gerade Solo-Künstlern das Wasser bis zum Hals steht: "Wir lassen gerade die Kunst ausbluten."

Der Stellenwert der Kultur werde viel zu gering eingeschätzt. Bald werde man an nicht geschriebenen Büchern und nicht gedrehten Filmen merken, wie sehr Kunst und Kultur fehlen werden.

Gleichzeitig erinnert Pufpaff auch an die wirtschaftliche Bedeutung: "Wir haben keine Lobby, obwohl wir direkt nach der Autoindustrie die größte Wertschöpfung haben. (…) Das sind dann auch Steuergelder."

Braun verweist auf ein Hilfsprogramm, an dem man arbeite, und das sich am Umsatzausfall orientiere, doch Pufpaff schwant, dass das Geld nicht zu denjenigen kommt, die es brauchen: "Wir reden hier von der Basis, die geht vor die Hunde. Da kommt die Milliarde nicht an." Da klingt die Antwort von Braun, dass das Paket auch zu dieser Basis komme, ein bisschen schmal: "Ich bin da ziemlich sicher."

Schulen

Wie könnte eine Rückkehr zum Regelbetrieb in Schulen aussehen? Die Frage treibt nicht nur Kultusministerien, Lehrer, Schüler und Eltern um, sondern auch Maybrit Illner.

Schulleiterin Pech sieht hier viel Arbeit: "Es macht uns schon ein bisschen Kopfzerbrechen." Insbesondere das Auftreten einer Infektion stelle sie vor eine Herausforderung: "Ich wüsste gar nicht, wie ich in einer vollen Schule die Kontaktverfolgung machen soll. Es gibt den Plan der Senatsverwaltung, dann bei Infektionen ganze Züge schließen zu wollen."

In Bezug auf den Umstand, dass es viele ältere Lehrerinnen und Lehrer gebe, die dementsprechend zur Risikogruppe gehören, erklärt Virologe Streeck: "Das gesamte Wissen, dass wir über Kinder und über Infektionen durch Kinder haben, ist, dass sie gleich infektiös sein können wie Erwachsene oder weniger. Immer mehr Daten tendieren dahin, dass sie eher sagen, dass sie weniger infektiös sind und dass sie weniger an der Ausbreitung des Virus beteiligt sind. Am Ende ist die Entscheidung eine politische, ob es ein besonderes Risiko in der Schule gibt. (…) Jeder, der einen engeren Kontakt mit Menschen hat, hat generell natürlich auch ein höheres Risiko für eine Infektion. Aber diese Abwägung, wie stark das ist, ist eine politische Entscheidung."

App

Über die App, die zur Nachverfolgbarkeit von Infektionen demnächst eingeführt werden soll, erklärt Kanzleramtschef Braun bezüglich etwaiger Datenschutzbedenken, dass die Nutzung zum einen freiwillig sein werde.

Zum anderen sei die App nur für einen selbst, um zu erkennen, ob man sich einem Risiko ausgesetzt hat, weil man zum Beispiel im Bus neben einem Infizierten saß. Nur man selbst habe völlig anonym die Information und dementsprechend sei die App "kein Heilsbringer, ab sie gibt mir die Sicherheit, um mein eigenes Risiko besser einschätzen zu können."

Corona

In Bezug auf einen Impfstoff erklärt Virologe Streeck: "Wir wissen momentan nicht, ob oder wie schnell es einen Impfstoff geben kann." Oft habe man, so Streeck, gute Ansätze, die aber in Feldversuchen zunichte gemacht würden. "Wir wissen nicht, ob es funktioniert oder nicht. Wir haben gegen die größten infektiologischen Killer der Welt, Malaria, Tuberkulose, HIV und so weiter keinen Impfstoff, obwohl schon seit Jahren daran geforscht wird. Ich glaube, das SARS2 wird bleiben. Es wird nicht verschwinden."

Trotzdem werde es eine Teilimmunität, also eine "natürliche Impfung", geben, auch wenn eine Corona-Infektion für manche Menschen eine tödliche Erkrankung darstelle.

Braun ist in puncto Impfstoff zuversichtlicher: "Ich bin relativ optimistisch, dass wir zu einem Impfstoff kommen. Aber wir werden natürlich noch eine ganze Zeit mit der Krankheit leben müssen."

Das war der Moment des Abends

In Bezug auf die priorisierte und beginnende Öffnung der Schulen, fragt Illner den Virologen Streeck: "Heißt das automatisch, dass es weniger gefährlich ist, Schulen zu öffnen?"

Es dauert einen Moment, bis Streeck antwortet, und man merkt, mit welcher Vorsicht er seine Worte wählt: "Man traut sich ja in dieser emotionalen Debatte grad nicht mehr, seine Einschätzung oder Empfehlung zu geben, wie man das selber sieht. Natürlich habe ich auch eine Meinung dazu, aber es wird dann ja entweder verkürzt dargestellt, was man gesagt hat oder es wird der eine gegen den anderen aufgebauscht. Wir sitzen alle in einem Boot. Wir wollen ja alle das Gleiche – von der Regierung bis zu den anderen Virologen. Wir sind ja keine Gegenspieler."

Man muss kein hochsensibler Mensch sein, um hier zwischen den Zeilen von Streeck eine Kritik am Umgang der "Bild"-Zeitung mit Streecks Kollegen Christian Drosten herauszulesen.

Wenn also ein Wissenschaftler in einer Polit-Talkshow Hemmungen hat, seine Einschätzung abzugeben, kann man daran durchaus den Schaden ablesen, der durch die Art der Berichterstattung der "Bild"-Zeitung entstanden ist.

So schlug sich Maybrit Illner

Illner machte das, wofür sie da ist. Fragen und nachfragen. Viel mehr gab es diesmal auch nicht zu tun.

Das Fazit

Es war eine solide, unaufgeregte Ausgabe von "maybrit illner", die ohne großen Streit über die Bühne ging – allerdings auch ohne großen Erkenntnisgewinn. Immerhin gab es ein paar kleine Erinnerungen. Zum Beispiel, dass man immer noch an andere denken darf und sich an Abstandsregeln hält. Oder daran, dass die vergleichsweise gute deutsche Corona-Realität nicht unbedingt der anderer Länder entspricht. Und daran, dass man die Kunst und Kultur in Deutschland retten sollte, so lange es sie noch gibt.

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Gangelt, Heinsberg, Nordrhein-Westfalen, NRW, Coronavirus, Infektionen, Karneval

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