Kommt die bundesweite Notbremse noch rechtzeitig? Nein, sagt Karl Lauterbach bei "Maybrit Illner". Wenn es nach FDP-Chef Christian Lindner geht, kommt sie gar nicht – im Streit mit Vizekanzler Olaf Scholz droht er mit einer Verfassungsklage gegen Ausgangssperren.
Jeder Tag zählt, diese Botschaft überbrachte Gesundheitsminister Jens Spahn am Donnerstag den Bundesländern. Sie sollen nicht warten, bis der Bundestag die Notbremse bundesweit installiert, sondern sofort. Fast 30.000 Neuinfektionen und 300 Todesfälle binnen 24 Stunden untermauern
"Vom Dauer-Streit zum Dauer-Lockdown – kommt Merkels Notbremse zu spät?", fragt
Das sind die Gäste bei Maybrit Illner
Bitte "keine Illusionen", sagt Mr. Corona
Auch FDP-Chef
Ganz anders Vizekanzler
Laut "Welt"-Journalistin Claudia Kade wachsen die Zweifel an der "Gründlichkeit und Vernunft" der Maßnahmen: "Da wird gesagt, jeder Tag zähle – dabei haben wir den Notbremsen-Beschluss seit 3. März."
Eine Kritik, die sich an die Länder richtet - Niedersachsens stellvertretender Ministerpräsident
Alte Faustregel aus dem Politikunterricht, die Berlin auf die harte Tour lernen musste: Bundesrecht bricht Landesrecht. So erklärt Anna Leisner-Egensperger auch Merkels Notbremse, die die Professorin für Öffentliches Recht aber für "nicht verhältnismäßig" hält, weil mildere Mittel nicht ergriffen werden: "So pauschal ist sie nicht verfassungsmäßig."
Das ist der Moment des Abends
Olaf Scholz wird nicht umsonst "Scholzomat" genannt – kein Wort entkommt seinem Mund, das nicht sorgfältig gewogen wurde. Den Begriff "Ausgangssperre" etwa hält er für falsch, er bittet Illner um die Bezeichnung "Ausgangsbeschränkung".
Man darf also davon ausgehen, dass Olaf Scholz meint, was er sagt, als er die Regelung gegen Kritik verteidigt: "Ich akzeptiere andere Meinungen. Aber trotzdem wäre es ein Verbrechen, die Möglichkeit nicht zu nutzen."
"Verbrechen ist ein großes Wort", bemerkt Illner perplex, Christian Lindner legt die Stirn in Falten: "Ich würde Sie bitten, auf Vokabular wie 'Verbrechen' zu verzichten." Nur um anzukündigen, das Gesetz vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen, sollte es ohne Anpassungen beschlossen werden.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Zwischen "Verbrechen" und Verfassungsbruch – die Notbremse birgt massig Streitpotenzial, was Lindner und Scholz auch postwendend demonstrieren.
Der FDP-Chef ortet "rechtliche Zweifel" auf allen Ebenen, auch in Scholz' eigener Fraktion und in der Koalition: "Es reicht ein einziger Bürger, der in seinen Grundrechten eingeschränkt wird und klagt, als Jurist wissen Sie das."
Scholz verweist auf geltende Ausgangsbeschränkungen in den Ländern und unterstellt Lindner unnötiges Zaudern: "Sie reden drumherum, Sie werden dem Ernst der Sache nicht gerecht."
Ein Vorwurf, den Lindner offensichtlich persönlich nimmt: "Das werden wir ja sehen, wenn Karlsruhe geurteilt hat." An Scholz' Stelle, so Lindner mit finsterer Miene, wäre er nicht so selbstbewusst: "Ich wünsche Ihnen fast, dass Sie Recht behalten, damit die Menschen nicht irritiert sind, welche Regelung die Regierung beschließt."
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Man könnte Maybrit Illner unterschätzen, wenn sie Olaf Scholz fragt, ob von 21:00 Uhr bis 05:00 Uhr die "Knallerkontakte" stattfinden, oder ihn mit seiner "knuffigen Aussage" konfrontiert, dass es bald 10 Millionen Impfungen pro Woche geben könnte. Aber: Unter den Samthandschuhen ist der Quarzsand.
"Herr Scholz, das ist zu wenig", motzt sie, als der Vizekanzler seinen Optimismus erklärt, "noch sind wir bei 17 Prozent Geimpften", dämpft sie seine Vorfreude auf eine Zeit des Impfstoff-Überschusses.
Das ist das Ergebnis
Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern, Rechtsstreit um die Notbremse, und mittendrin laufen die Intensivstationen über: Manchmal wünscht man sich einfach weit weg, in die USA zum Beispiel, wo die Pandemiebekämpfung mittlerweile wenigstens auf eine einfache Formel zu bringen ist - "Shots in Arms and Money in Pockets", also Spritzen in die Arme und Geld in die Taschen.
Für Deutschland ruft Optimist Scholz zwar schon den "Endspurt" aus, aber: "Da braucht man noch einmal richtig viel Luft und Kraft." Vor allem brauchen die Krankenhäuser Entlastung, meint Karl Lauterbach.
In Köln etwa werde schon eine "weiche Triage" betrieben, also Operationen verschoben. Eine Ausgangsbeschränkung könne helfen, je früher am Tag und je länger, desto besser: "Es geht wirklich um jede Stunde und jeden Einzelnen." Ein Allheilmittel sei es aber nicht – und selbst mit weiteren Maßnahmen werde es "schwer, die dritte Welle zu bewältigen."
Testen, Testen, Testen – und auch an die nicht-deutschsprechenden Bürger denken, das ist Christian Lindners Rezept: "Wir sind da immer sehr vorsichtig, aber Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht so gut aufgeklärt." Lindner wie auch Bernd Althusmann beharren auf der Regionalität – vor Ort könne man die Inzidenzen immer noch am besten bewerten und gewichten.
Die Debatte könne man sich eigentlich "gar nicht mehr leisten", drängt Lauterbach, der lange Wochen im Lockdown prophezeit, bis die Inzidenz wieder unter die 100 sinkt. "Es ist wie ein Tanker, der langsam die Richtung wechselt."
Wer die Diskussion verfolgt hat, muss eher an ein Containerschiff denken: An die "Ever Given" - der angebliche "Endspurt" könnte sich nämlich als nervenzehrendes Geduldsspiel in Zeitlupe erweisen.
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