Rettung des Sommers oder Vorspiel für die zweite Welle? FDP-Lautsprecher Wolfgang Kubicki legt sich bei "Hart aber fair" mit Karl Lauterbach an – und Moderator Frank Plasberg hat mit Pannen zu kämpfen.
Humor hat er, der Weltgeist: Am Montagvormittag hob der erste Ferienflieger von Deutschland aus ab, und wohin geht die Reise? Na klar, zur Mutter aller Ischgls, nach Mallorca.
Vorerst darf nur ein Testkontingent das "Pilotprogramm zur Öffnung sicherer Touristenkorridore in der Autonomen Gemeinschaft der Balearen" durchlaufen, aber die Signalwirkung ist riesig.
"Der Sommer ist gerettet", sagt
Das ist das Thema bei "Hart aber fair"
Pickepackevoll waren die Reihen des Tui-Flugs X3 2312 nach Mallorca, die Abstandsregeln vergessen - dafür gilt im Flieger Maskenpflicht. Corona reist in diesem Sommer halt immer mit, auch wenn Plasberg fragt: "Der Sommer der Entspannung - kann man das Virus erstmal vergessen?"
Das sind die Gäste
- SPD-Gesundheitsexperte
Karl Lauterbach wäre "nie mitgeflogen". Der Epidemiologe hält den Testbetrieb auf den Balearen für ein "Experiment": "Das würde ich keinem empfehlen, der Risikofaktoren hat".
- "Warum ist das erlaubt?", fragt Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt. Weil die Menschen "so vernünftig waren", bekommen sie nun Freiheitsrechte zurück, aber: "Wir sollten nicht übertreiben, zum Beispiel mit vollen Lufthansa-Maschinen."
- FDP-Mann und Volkswirt
Wolfgang Kubicki rechnet: Statistisch gesehen sei es unwahrscheinlich, dass bei 180 Menschen im Flugzeug ein Covid-Infizierter mitfliegt. Restrisiko quasi: "Das ganze Leben ist ein Lottospiel."
- Für viele Kunden steigt derzeit das Risiko, auf den Kosten für den verpassten Urlaub sitzen zu bleiben, beobachtet Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale Bremen. "Wir bekommen extrem viele Beschwerden."
- Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes, verweist auf die missliche Lage vieler kleiner und mittlerer Tourismusbetriebe, die keine Liquiditätshilfen vom Staat bekämen: "Die Politik lässt uns vor die Wand laufen."
- Ein anderes Thema macht Psychologe Stephan Grünewald auf: Die Polarisierung der Gesellschaft zwischen "Gesundheitsaposteln und Todesengeln", die an die erbitterte Debatte um die Flüchtlingspolitik erinnere: "Da reden Freunde nicht mehr miteinander, Kollegen zerstreiten sich."
Der Moment des Abends
Herzliches Beileid an jene Menschen in der PR-Abteilung der Lufthansa, die dieses Desaster ausbaden müssen: Die Redaktion von "Hart aber fair" hat sich den Spaß gemacht, das konkrete Konzept hinter der vollmundigen "Home-Coming-Garantie" von Airline-Chef Carsten Spohr abzufragen. Die Antwort steht seit fast einer Woche aus.
"Wie peinlich ist das denn?", fragt Plasberg Reiseverbands-Chef Fiebig, der das Vorgehen erst auf Nachfrage als "nicht ganz optimal" bezeichnet.
Ganz undiplomatisch erinnert Kubicki Spohr daran, dass er gar nichts garantieren kann, wenn ein Land plötzlich keine Start- oder Landeerlaubnis mehr erteilt.
Infizierte dürfe ein Flieger übrigens nicht mitnehmen, "weil keine Quarantänesituation gegeben ist", ergänzt Lauterbach – im Zweifel wären die Touristen dann auf die Gesundheitsversorgung vor Ort angewiesen.
Auch die schleppende Entschädigung für ausgefallene Flüge reiben Lauterbach und Kubicki dem armen Fiebig unter die Nase, bis der Tourismus-Lobbyist kapituliert: "Ich will mal von der Lufthansa wegkommen." Plasberg, ganz trocken: "Das glaube ich."
Das ist das Rede-Duell des Abends
So einig sind sich Kubicki und Lauterbach selten an diesem Abend. Immer wieder beharken sich der SPD-Gesundheitsexperte und der FDP-Vize, kein Wortwechsel geht ohne Sticheleien über die Bühne.
Selbst als Kubicki versöhnlich einwirft, dass es doch schön sei, dass die Diskussion um die richtige Strategie gegen COVID-19 so offen geführt werde wie in dieser Sendung, hat Lauterbach noch einen auf Lager: "Ja, wir argumentieren, aber ich habe die besseren Argumente."
Nur nicht den letzten Wirkungstreffer: In der obligatorischen Schlussrunde wünscht sich Kubicki einen Strandurlaub mit seinem Kontrahenten. "Aber mit zwei Meter Abstand und Maske, das wäre eine himmlische Ruhe."
So hat sich Frank Plasberg geschlagen
Die gute Nachricht zuerst: Nur noch eine Woche, dann ist Sommerpause. Zwischendurch wirkte Plasberg so, als wolle er schnellstmöglich in den nächsten Ferienflieger steigen – was wenig mit der Diskussion zu tun hatte, die er souverän führte, sehr viel aber mit der Technik, die ein ums andere Mal streikte und einmal sogar den Ton einer anderen Sendung ins Studio übertrug.
Immerhin entstanden daraus Perlen für Freunde der Situationskomik, die an dieser Stelle hemmungslos aus dem Kontext gerissen und dokumentiert werden:
"Interessant. Geisterstimmen. Na, hier ist was los."
"Haben Sie gerade 'Erotik' gesagt?"
"Geht noch 'ne Frage? Seid ihr noch da in Hamburg? Herr Zamperoni! Ich wollte ihn noch fragen, wo er Urlaub macht ..."
Das ist das Ergebnis
Egal ob Schulöffnung, ob Massen-Demonstrationen oder nun eben vollbesetzte Flieger gen Mallorca – über allen Schritten Richtung Normalität steht in diesen Wochen diese eine Frage: Ist das wirklich eine gute Idee?
Kubicki verweist auf seine Heimat Schleswig-Holstein, wo die Infektionen trotz Lockerungen nicht angestiegen sind: "Wenn sich die Menschen an die grundlegenden Regeln halten, ist die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle gering." Der FDP-Mann versteigt sich sogar in die eigenwillige These, die Bundesregierung habe "sich entschieden, dass es eine zweite Welle nicht geben wird."
"Das entscheidet der Virus selbst", kontert Lauterbach, und macht einen gewichtigen Punkt: "Es wäre die erste Pandemie dieser Größe, die ohne zweite Welle auskommt."
Dem SPD-Mann graust es schon vor den Rückflügen: "Wenn die Leute zurückkommen, haben wir auf ganz Deutschland verteilt Hotspots."
Die Reaktion werde dann zwar dank App und erprobter Maskenpflicht nicht mehr so drastisch ausfallen, Lauterbach vermutet aber, dass sie "zulasten derer geht, die bislang gar nicht zum Zuge gekommen sind", nämlich zulasten von Selbstständigen und Kindern. "Ich möchte nicht, dass eine Gruppe einen schönen Sommer hat, und dann müssen wir wieder die ganze Gesellschaft zurückfahren."
Viel wird davon abhängen, ob die Touristen sich am Motto von Schlagersänger und Ballermann-Chefideologe Peter Wackel orientieren: Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr!
Oder ob Psychologe Grünewald recht behält: "Die Menschen sind jetzt anders. Sie fahren nicht in Urlaub, um Trallafitti zu machen, um steil zu gehen. (…) Die machen das mit einer gewissen Vorsicht. Da gibt es keine Ballermann-Fantasien."
Dann wäre nicht nur der Sommer gerettet, sondern vielleicht auch der Herbst.
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