Am Mittwoch trifft sich die Bund-Länder-Runde wieder zur Diskussion über die nächsten Schritte in der Pandemie. Genau dieses "von Treffen zu Treffen hangeln" kritisiert die Runde am Sonntagabend bei "Anne Will". Das Fazit: Es muss endlich ein Plan her! Nur welcher?

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Einmal Plan mit allem, bitte: Bald treffen sich wieder Bund und Länder, um die weiteren Schritte in der Pandemie zu beraten und es dürfte nicht das letzte Treffen sein. Einen handfesten Plan, wie man aus dem Auf-und-wieder-zu der Vergangenheit wieder heraus kommt, gibt es bislang jedenfalls nicht. Dementsprechend fragte Anne Will am Sonntagabend "Die große Ratlosigkeit – Gibt es einen Weg aus dem Dauer-Lockdown?"

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Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will:

  • Helge Braun (CDU), Chef des Bundeskanzleramts
  • Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist
  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), ehemalige Bundesjustizministerin
  • Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates
  • Smudo, Musiker und Mitentwickler von Luca, einer App zur Nachverfolgung von Infektionsketten

Die Themen des Abends:

Gartencenter, Blumenläden, Fahrschulen Brautmodegeschäfte. Anne Will beginnt die Runde mit einer Aufzählung, welche Branchen ab dem 1. März in einigen Bundesländern wieder öffnen dürfen und schließt mit der naheliegenden Frage an, ob der Lockdown jetzt eigentlich beendet sei. Als Helge Braun daraufhin die Stimmung in der Bevölkerung anspricht, die sich verständlicherweise nach Öffnungen sehnt, und dass man auch in der Regierung Öffnungen wolle, fragt Will "Nach Stimmung wird jetzt Politik gemacht?"

Es hätte an diesem Sonntagabend gleich von Beginn an eine Menge Musik drin sein können, denn in diesen ersten drei Minuten, in denen lediglich zwei Fragen gestellt und zwei Antworten gegeben wurden, steckte eine Menge an Diskussionswürdigem: die Art und Weise, wie gerade Politik gemacht und kommuniziert wird, welche Rolle Gewünschtes und Gebotenes spielen und vor allem, wie viel Vertrauen man in den Planungsrad der Maßnahmen haben kann.

Doch weil Helge Braun sofort die erste Abfahrt ins Floskelhafte nahm, wen und was man nicht wieder alles ernst nehmen müsse, und Anne Will ihn deshalb auch nicht rechts ran winken wollte, rauschte all dieses Diskussionswürde einfach vorbei. Immerhin konnte Braun das, was am Mittwoch in der nächsten Bund-Länder-Konferenz besprochen werden soll, schon einmal so präsentieren, als stecke ein Plan dahinter: "Jeder Öffnung muss man etwas gegenüberstellen, was die Infektionszahlen stabilisiert."

Das ist angesichts der aktuellen oder zumindest drohenden dritten Welle und nach einem Jahr Pandemie ein derart naheliegendes Herangehen, dass niemand in der Runde der Sinnhaftigkeit des Ansatzes "Kein Öffnen ohne Konzept" widersprechen wollte. Oder wie es Leutheusser-Schnarrenberger formulierte: "Dieses Auf-kurze-Sicht-fahren, das ist vorbei." Dementsprechend sollte es im Folgenden darum gehen, was genau dieses "etwas" sein sollte.

Hier sorgte besonders Christiane Woopen für spitze Ohren, denn sie präsentierte ein Konzept des Europäischen Ethikrates noch vor dessen offizieller Veröffentlichung. Dessen Kern: Man will "vom Reaktiven zum Proaktiven kommen." Das soll laut Woopen über "Schutzkonzepte, die über das hinausgehen, was wir jetzt haben" geschehen. En detail wären das eine Schnellteststrategie, eine pragmatische, schnelle, datenschutzkonforme, digitale Plattform, die eine tagesgleiche Nachverfolgung der Infektionsketten ermöglicht und vor Ort-Stationen, die diese Daten beim Betreten und Verlassen erfassen.

Wie so etwas oder so etwas Ähnliches aussehen kann, weiß Rapper Smudo, der eine App zur Nachverfolgung mitentwickelt hat und bei Anne Will in Kurzform vorstellen konnte. Diese soll Infektionsherde schneller sichtbar und Kontakte nach Einwilligung automatisch nachvollziehbar für die Gesundheitsämter machen. Dafür sammle Smudo und sein Team die 375 Gesundheitsämter der Republik "in Handarbeit" ein.

Der Moment des Abends bei "Anne Will":

"Wir arbeiten intensiv daran, dass alle Gesundheitsämter zur Kontaktnachverfolgung die gleiche Software nutzen, dieses Sormas-System", erklärt Helge Braun nach Smudos App-Vorstellung und ist sich wohl sicher, dass er damit frohe Botschaft verbreitet, schließlich mache man jetzt auch ein Projekt, um Smudos App anbinden zu können. "Damit ich den Apps was anbieten kann, muss ich auf Bundesseite ein einheitliches Kontaktnachverfolgungssystem haben und darum kämpfe ich jetzt seit einem Jahr."

Es dauert nur ein paar Minuten, ehe Smudo Braun mit nur wenigen Worten abkanzelt. "Ich möchte Ihnen etwas verraten", beginnt Smudo fast schon weihevoll und fährt fort: "Wir brauchen gar nicht unbedingt Sormas. Das ist auch alles wirklich kein Hexenwerk. Es gibt bereits die Infrastruktur, die in 95 Prozent aller Gesundheitsämter ist, das ist die digitale Einreiseanmeldung, die DEA, die jetzt bereits funktioniert über die Bundesdruckerei. Es muss nicht Sormas sein, man kann es in Handarbeit überall einbauen."

Und es kommt noch bitterer für Helge Braun. "Woran scheitert's dann?", will Will von Smudo wissen und der erklärt: "An sowas. Wir müssen erst überall Sormas, wir müssen erst das Gateway, wir müssen erst die, wir müssen erst an die."

Der Schlagabtausch des Abends:

Die Corona-Warn-App hatte von Anfang an nicht den besten Ruf, viel zur Pandemiebekämpfung beizutragen. Im Vergleich zu Smudos App meint Yogeshwar hier noch mehr Defizite an der Corona-Warn-App auszumachen. Auch wenn Smudo sogleich eine Lanze für die Corona-Warn-App brechen will, weil es sich um "zwei verschiedene Anwendungen" handelt, sieht sich Braun trotzdem in Rechtfertigungsnot.

"Warum muss den alles der Staat anbieten?", versucht es Braun und erklärt Yogeshwar, dass die Corona-Warn-App eben einen anderen Ansatz verfolge. Trotzdem beharrt Yogeshwar darauf, dass es eine "Bürger-App" geben müsse, die alles könne.

So schlug sich Anne Will:

Gut. Will kam ihren Moderationspflichten weitgehend nach, indem sie dort nachhakte, wo es wichtig war. Gleichzeitig ließ sie sich aber nicht auf die in Talkshows üblichen Schuldzuweisungen unter den Gästen ein, sondern richtete den Blick immer wieder nach vorne.

Das Fazit:

"Gibt es einen Weg aus dem Dauer-Lockdown?" Sehr wahrscheinlich. Wird das Smudos App sein? Vielleicht. Oder der Plan des Europäischen Ethikrates? Mag sein. Das eine Wundermittel, den einen Weg zur Normalität vergangener Tage wird es, so ein Fazit des Abends, wohl nicht geben, sondern viele verschiedene Lösungen, die man zusammenschmeißen wird.

Werden Bund und Länder der große Koordinator dieses Zusammenschmeißens sein? Muss ja, mag man nach diesem Abend fast sagen, denn ein Vertrauensbooster war der Auftritt Helge Brauns nicht gerade. Etwa als Christiane Woopen vorrechnet: "Wenn das Bundesgesundheitsministerium sagt, sie haben 800 Millionen Schnelltests für dieses Jahr und sagen, das sei kein Mangel, dann ist das ein Schlag ins Gesicht der Bevölkerung für diese Teststrategie."

Und so bleibt nach dieser Talkrunde ein gemischtes Gefühl: Hoffnung, dass es Lösungen wie die von Smudo geben wird oder bereits gibt und die Befürchtung, dass es bei der Umsetzung dieser Lösungen nicht so läuft, wie man es sich vorstellt. Die Wahrscheinlichkeit ist jedenfalls nicht gering, dass dies nicht die letzte Talkrunde zur Corona-Pandemie gewesen ist, woran Ranga Yogeshwar erinnert: "Corona wird eine neverending story sein. Dieses Virus ist da, dieses Virus wird bleiben." Da wäre ein Plan schon nicht schlecht.

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