• Die Berichte über einen geplanten Umsturz, einen Tyrannenmord oder Regimewechsel in Russland mehren sich.
  • Und auch, wenn der Kreml versucht, jeden Protest im Keim zu ersticken, gehen noch immer russische Demonstranten auf die Straßen.
  • Was passieren würde, wenn Putin auf dem ein oder anderen Weg als Präsident abdanken müsste, erklärt Politikwissenschaftler und Russland-Experte Gerhard Mangott.
  • Er gibt auch eine Prognose ab, wie es weitergehen dürfte, wenn Putin den Krieg politisch überlebt.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin bzw. des zu Wort kommenden Experten einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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In Deutschland hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon kurz nach Kriegsbeginn klare Worte gefunden: "Dieser Krieg ist Putins Krieg", sagte er Ende Februar und verurteilte den russischen Angriff auf die Ukraine scharf. Noch deutlicher in seiner Wortwahl wurde inzwischen der US-amerikanische Präsident Joe Biden: Er nannte Putin einen "Kriegsverbrecher".

Der republikanische US-Senator Lindsey Graham appellierte auf Twitter sogar, Putin zu töten. "Die einzige Möglichkeit, dies zu beenden, ist, dass jemand in Russland diesen Kerl ausschaltet. Sie würden ihrem Land – und der Welt – einen großen Gefallen tun", schrieb Graham. In seinem Mordaufruf zog er auch einen Vergleich zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der 1944 versuchte, Adolf Hitler umzubringen.

Wird Putins Sturz geplant?

Ein Tyrannenmord an Putin? Zumindest ein gewaltsamer Sturz des Kreml-Chefs ist bereits seit Kriegsbeginn Gesprächsthema. Der ukrainische Geheimdienst will Informationen haben, nach denen russische Eliten die Absetzung des Präsidenten planen.

Auf der offiziellen Facebook-Seite des ukrainischen Verteidigungsministeriums wird behauptet: "Vergiftung, plötzliche Krankheit, Unfall – die russische Elite erwägt die Möglichkeit, Putin abzusetzen." Im Umfeld der russischen Wirtschafts- und Politikelite habe sich eine Gruppe einflussreicher Personen gebildet, die sich gegen Putin stelle. Als Nachfolger ist der Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Wassiljewitsch Bortnikow, im Gespräch.

Wieder eine andere Theorie verbreitete das US-Nachrichtenportal "The Daily Beast". Ein ehemaliger französischer Geheimagent glaube, sämtliche Geheimdienste würden zurzeit die Ermordung Putins planen.

Was im Todesfall passiert

Während die Gerüchteküche kocht, geht Putin im Inland mit drastischer Härte gegen jeglichen Protest vor. Tausende Menschen, die trotz Polizeigewalt demonstrierten, wurden bereits festgenommen. Ein neuer Artikel im russischen Strafgesetzbuch verbietet es inzwischen sogar, gegen den Krieg zu sein - das sei "Diskreditierung der Armee". Putin selbst sagte über Kritiker: "Das russische Volk wird diese Verräter einfach ausspucken wie eine Fliege, die versehentlich in seinen Mund geflogen ist."

Was aber, wenn er selbst derjenige ist, den es trifft? Russland ohne Putin - geht das überhaupt? "Die Verfassung regelt die Amtsnachfolge jedenfalls für das Szenario eines Rücktritts, einer Absetzung oder des Todes des Präsidenten", sagt Russland-Experte Gerhard Mangott.

Regimewechsel unwahrscheinlich

Wenn Putin krankheitsbedingt ausfalle, würde für die Zeit seiner Regierungsunfähigkeit der russische Ministerpräsident Michail Mischustin die Geschäfte übernehmen. "Auch bei einem dauernden Ausfall, etwa durch einen Tyrannenmord oder Entfernung aus dem Amt durch einen Putsch, würde interimsweise Mischustin in das Amt des Präsidenten nachrücken", sagt der Experte. Dann müssen aber innerhalb von drei Monaten Neuwahlen abgehalten werden.

Einen Regimewechsel hält der Experte dann aber für unwahrscheinlich. "Ein neuer Präsident würde vermutlich wieder aus dem Militär- und Sicherheitsestablishment kommen", sagt Mangott. In diesem Kreis gäbe es keine Person, von der man einen westfreundlichen Regierungskurs erwarten könnte. "Im Gegenteil: Es könnte sogar noch aggressiver und noch nationalistischer werden, wenn bestimmte Leute in das Präsidentenamt nachrücken", warnt Mangott.

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Palastrevolte nur auf einem Weg

Diejenigen in der Regierung, die gegen den Krieg gewesen seien wie Ministerpräsident Mischustin oder die Chefin der Zentralbank Elvira Nabiullina, hätten keine politische Hausmacht hinter sich. "Eine Palastrevolte müsste deshalb aus dem Militär- und Sicherheitsestablishment kommen – aber derzeit gibt es im engsten Kreis um Putin herum keine Anzeichen für beginnenden Dissens", meint Mangott.

Zuletzt hatten sich allerdings Berichte über Zerwürfnisse zwischen Putin und dem russischen Geheimdienst gemehrt. In den vergangenen Wochen ließ der russische Machthaber bereits mehrere Generäle absetzen, unter Hausarrest stellen oder verhaften – angeblich aus Frust über eine falsche Lageeinschätzung zum Kriegsverlauf.

Nawalny als Präsidentschaftskandidat

Einem Sturz Putins durch Protest aus der Bevölkerung heraus hält Mangott allerdings auch nicht für sehr wahrscheinlich. "Putin hat die Opposition in den vergangenen Jahren immer weiter zerschlagen", erinnert er. Alexej Nawalny sei zwar ein erfolgreicher Kommunikator der Opposition - doch der Oppositionelle sitzt bis 2032 in Haft.

"Gäbe es keine Revolte von unten, würde er zu den Präsidentschaftswahlen gar nicht zugelassen werden", meint Mangott. Und selbst dann sei es fraglich, ob er eine Wahl gewinnen könnte. "Anders, als es im Westen wahrgenommen wird, ist Nawalny in Russland eine sehr polarisierende Figur", sagt der Experte. In einer Umfrage im vergangenen Jahr sei mehr als die Hälfte der Russen mit seinen Aktivitäten nicht einverstanden gewesen, ausdrücklich einverstanden zeigten sich nur 20 Prozent.

Viele Russen stehen hinter Putin

"Es könnte also sein, dass wir auch nach einer neuen Präsidentschaftswahl ein nationalistisches und expansionistisches Russland erleben würden", macht Mangott klar. Einen Massenprotest sieht er nicht kommen. "Die Mehrheit der Russen unterstützt den Krieg, der in Russland selbst nicht Krieg heißen darf", erinnert der Experte. Während manche politisch mit Putin sympathisierten, würden andere den Krieg einfach schulterzuckend hinnehmen oder sagen: "Putin wird schon wissen, was er tut".

Nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung sei gegen den Krieg. "Und diese Gruppe war schon vor dem Krieg gegen Putin und seine autoritäre Herrschaft", erinnert Mangott. Ähnlich pessimistisch zeigte sich im Interview mit dem "Spiegel" der russische Schachgroßmeister Daniil Dubow. "Ich glaube, es bewirkt nichts", sagt er über die Proteste.

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Einzige Option: Revolution?

Er erwarte nicht, dass das Signal gehört werde. "Glaubt man wirklich, dass die Regierung die Truppen zurückruft, weil ein paar Tausend Leute auf die Straße gehen?", fragt Dubow. Für Demokraten gäbe es derzeit kein optimistisches Szenario. "Die einzige Möglichkeit, etwas in Russland zu ändern, ist eine Revolution", meint der Schachprofi.

Experte Mangott setzt nicht auf diese Karte – selbst, wenn die Zahl russischer gefallener Soldaten steigt und sich die Alltagswirklichkeit der Russen durch Sanktionen nachteilig verändert. "Das Risiko, auf die Straße zu gehen, ist in Russland enorm und wurde durch das Zensurgesetz noch weiter verschärft", sagt er. Sogenannte "Falschmeldungen" könnten mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. "Es bedürfte äußerst großen Mutes, in größerer Personenstärke auf die Straße zu gehen", sagt er.

Theoretisch bis 2036 im Amt

Bleibt Putin also an der Macht? Viel wird vom weiteren Verlauf des Krieges abhängen. "Wenn Putin sich im Amt halten kann, könnte er sich wieder bei den Wahlen 2024 und 2030 um das Präsidentenamt bewerben. Theoretisch könnte er also bis 2036 im Amt bleiben", erinnert Mangott.

Ob Putin dann noch lebe, wieder kandidieren werde oder sich mit Exit-Garantien für sein materielles und physisches Wohlbefinden zurückziehe, könne man jetzt noch nicht sagen. "Ich glaube aber: Überlebt er diesen Krieg politisch, dann wird er auch 2024 wieder zum Präsidenten gewählt", sagt Mangott.

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Über den Experten:
Prof. Dr. Gerhard Mangott ist Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck mit dem Schwerpunkt Osteuropa und Russland.

Verwendete Quellen:

  • "Tagesschau.de": Biden nennt Putin "Kriegsverbrecher". 16.03.2022.
  • "Twitter": Profil von Lindey Graham
  • "HNA.de": Experte ist sich sicher: Geheimdienste planen Mord an Wladimir Putin. 26.03.2022.
  • "Spiegel.de": "Die einzige Möglichkeit, etwas in Russland zu ändern, ist eine Revolution." 27.03.2022.
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