• Moskau startet eine große Militärübung in Ostsibirien und im Fernen Osten Russlands.
  • Daran nehmen auch Einheiten aus Indien, Belarus und China teil.
  • Dass die Übungen genau zum jetzigen Zeitpunkt kommen, ist kein Zufall, sagt Asien-Expertin Angela Stanzel.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am 30. August beginnt eine der größten Militärübungen Russlands. Sie soll bis zum 5. September dauern und findet auf insgesamt 13 Truppenübungsplätzen in Ostsibirien und im Fernen Osten Russlands statt. An der Übung namens "Wostok 2022" (Osten 2022) sind auch Einheiten aus China, Indien, Belarus, der Mongolei und Tadschikistan beteiligt.

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2018 hatte die bislang aufwendigste Auflage mit fast 300.000 russischen Soldaten stattgefunden. Wie das russische Außenministerium mitteilte, bestehe kein Zusammenhang zur "Militäroperation" in der Ukraine. Wie viele russische Soldaten an der Übung teilnehmen werden, wurde noch nicht bekannt gegeben. Belarus will nach Angaben der Nachrichtenagentur "Belta" 250 Soldaten in einer sogenannten "mechanisierten Brigade" des Wehrkreises West entsenden.

Belarus und Russland: Übungen kurz vor Einmarsch

Die autoritär geführte Ex-Sowjetrepublik Belarus gilt als wichtiger Partner Russlands. Vom belarussischen Gebiet wurden im Kriegsverlauf Raketen auf die Ukraine abgefeuert. Zuletzt hatten Truppen von Moskau und Minsk kurz vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine zusammen geübt.

Was bezweckt der Kreml mit seinem militärischen Muskelspiel? Im Fokus steht vor allem die Teilnahme Pekings an "Wostok". Das chinesische Verteidigungsministerium erklärte: "Das Ziel ist, die praktische und freundschaftliche Kooperation mit Armeen teilnehmender Staaten zu vertiefen, das Niveau strategischer Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmenden zu vergrößern und die Fähigkeit zu stärken, auf verschiedene Sicherheitsbedrohungen zu reagieren".

Expertin sieht symbolischen Wert

"Dass die gemeinsame Militärübung genau zum jetzigen Zeitpunkt kommt, hat einen symbolischen Wert und ist ein Signal an die USA und die Nato", ist sich Asien-Expertin Angela Stanzel im Gespräch mit unserer Redaktion sicher. Das Signal laute: "Wir stehen zusammen, auch weiterhin, ungeachtet des Krieges".

China und Indien verurteilen den russischen Krieg nicht. Westliche Staaten haben den beiden Ländern deshalb vorgeworfen, dem Kreml bei seinem Krieg diplomatische Rückendeckung zu geben. Peking beruft sich dabei stets auf die "Souveränität aller Staaten", die gewahrt werden müsse. Der Krieg solle so schnell wie möglich beendet werden. Dem Westen, der Russland mit strengen Sanktionen belegt hat, reicht das nicht. Er fordert von China ein klares Bekenntnis gegen die blutige Invasion.

Moskau und Peking: "Freundschaft ohne Grenzen"

Kurz vor Kriegsbeginn hatten sich Moskau und Peking noch eine "Freundschaft ohne Grenzen" versprochen und bei der Eröffnung der Olympischen Spiele den Schulterschluss geübt. Im Mai hatten Moskau und Peking dann gemeinsame Militärmanöver mit Bombern nahe Japan und Südkorea abgehalten. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich US-Präsident Joe Biden bei einem Gipfel mit den Regierungschefs Indiens, Australiens und Japans über regionale Sicherheit in Tokio auf.

Schickt China Truppen in den Krieg?

"Die Militärübungen in der Vergangenheit sind ähnlich zu bewerten. Es geht weniger um eine tiefgehende militärische Zusammenarbeit als vielmehr um ein Signal nach außen", sagt Stanzel. Die Übungen hätten aber auch eine innenpolitische Dimension: "Moskau versucht zu demonstrieren, dass es mächtige Verbündete hat. Es inszeniert sich mit seinen Partnern auf der richtigen Seite der Geschichte. Das soll die Bevölkerung beruhigen, dass alles seinen rechten Gang geht", erklärt die Expertin.

Dass Moskau hofft, China werde Truppen zur aktiven Unterstützung der russischen Soldaten entsenden, glaubt Stanzel nicht. "Auch das Gerücht, China sende Güter zur militärischen Unterstützung, hat sich in der Vergangenheit nicht bewahrheitet", erinnert sie.

Sie hält es für unwahrscheinlich, dass Peking einen solchen Schritt geht. "Das Land steht bereits in der Kritik, stillschweigend die Invasion zu billigen", sagt Stanzel. Indien befinde sich derweil in einer Zwickmühle. "Es will an der Seite Russlands stehen, aber auch nicht in einem Boot mit China sitzen", erläutert die Expertin.

Von moralischer Unterstützung kann Moskau sich nichts kaufen

Sowohl Indien als auch China profitieren von billigem russischem Gas, haben untereinander aber jede Menge Differenzen. So gibt es beispielsweise einen ungeklärten Konflikt um die indische Himalaya-Region Arunachal Pradesh, die einige in China Südtibet nennen.

Diese Spannungslage mache es für die einzelnen Länder sehr schwierig, sich zu mehr zu bekennen als zu einem symbolischen Akt, meint Stanzel. Belarus steche unter den Teilnehmern heraus. "Es ist immer dazu bereit, auch aktive Unterstützung zu leisten, es unterstreicht seine Bereitschaft damit", sagt Stanzel. Das Land hänge jedoch am Rockzipfel Russlands, das treffe auf die anderen Länder nicht zu.

"Alle zeigen Russland, dass man es nicht alleine lässt", sagt Stanzel. Die moralische Unterstützung sage aber nichts über die tatsächliche Zusammenarbeit aus. "Es bleibt abzuwarten, ob China in Zukunft tatsächlich bereit sein wird, Russland konkret zu unterstützen – etwa durch das Verletzen oder Umgehen von Sanktionen", meint Stanzel.

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Schulterschluss zwischen Moskau und Peking

Aus der Perspektive Russlands sei China der einzige wirkliche strategische Partner. "Die gemeinsamen Interessen zwischen Moskau und Peking sind eng. Man ist mit der Weltordnung nicht zufrieden, versucht sie zu ändern. In beiden Staaten will das Regime überleben, man ist unzufrieden mit USA und Nato", zeigt sie auf.

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Einer US-Denkfabrik zufolge hat Russland seit März in der Ukraine ein Gebiet der Größe Dänemarks verloren - und nur einen Bruchteil dessen dazugewonnen.

Langfristig gesehen stelle sich aber für chinesische Diplomaten die Frage, wie nutzbringend die Kooperation mit Russland sein kann. "Russland ist für China zuletzt immer mehr zum Juniorpartner geworden. Russland hat sich auf dem absteigenden Ast befunden. In Peking weiß man, dass man es mit einem immer geschwächteren Partner zu tun hat", beobachtet Stanzel. Für China sei die Zukunft mit Russland ungewiss.

China sehe aber mit Blick auf die USA auch: "Selbst, wenn wir uns gegen Russland und an die Seite des Westens stellen würden, würde das nicht viel an der sogenannten Eindämmungspolitik der USA und seiner Verbündeten ändern", meint Stanzel.

Peking glaube allerdings nicht daran, dass Russland Truppen senden werde, um bei einer befürchteten Annexion von Taiwan zu helfen. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist international die Sorge gewachsen, Peking könne den Angriff auf die Ukraine als Blaupause für seine Taiwan-Politik sehen. Peking beansprucht die Insel für sich und sieht Taiwan als abtrünnig.

"China kann sich auf russische Waffenlieferungen verlassen und auf eine politische Befürwortung seiner Taiwan-Politik in internationalen Gremien", sagt Stanzel. Es habe deshalb auch eine Kalkulation, den symbolischen Akt mit dem "Wostok"-Manöver zu leisten. "Russland würde bei einer Annexion Taiwans dann auch mindestens symbolisch auf Pekings Seite stehen", erklärt sie.

Verwendete Quellen:

  • belta.by: Über 250 belarussische Soldaten nehmen an Militärübung "Wostok 2022" in Russland teil
Über die Expertin:
Dr. Angela Stanzel leitet die Forschungsgruppe Asien bei der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP). Sie studierte Soziologie, chinesische Sprache und Sinologie in Berlin. Zu ihren Schwerpunkten zählen China, Südasien, Afghanistan, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Streitkräfte und Militär.
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