Die Militärregierungen in Westafrika machen wenig Anstalten, zur Demokratie zurückzukehren. In Berlin möchte man ihnen trotzdem vorsichtig die Hand reichen. Entwicklungsministerin Schulze steht in Burkina Faso vor einer heiklen Aufgabe.
Svenja Schulze steht bei 40 Grad Celsius in einem grünen Beet im zweitheißesten und achtärmsten Land der Welt. Sich den Anbau von Salat auf kargen Böden erklären zu lassen, ist Routine, meint man, für die deutsche Entwicklungsministerin.
In Burkina Faso geht es aber selbst im Gemüsegarten um Geopolitik, Russland und Europa und die größte islamistische Terrorbedrohung seit dem Durchmarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und dem Irak, die Millionen Menschen in Westafrika bedroht. Und die Frage, ob man mit einst scharf verurteilten Putschisten zusammenarbeiten muss, wenn man Schlimmeres verhindern will.
Am Dienstag will
Vergangenen Sommer traf er Kremlchef
Regierung sucht den Kontakt: Trotz Rückwärtsgang bei der Demokratisierung
"Das sind selbstbewusste Staaten, die suchen sich ihre Partner aus. Da, wo wir nicht sind, sind sehr schnell andere, Russland, China", sagt Schulze zuvor am Montag im Gemüsegarten. "Es ist nun mal eines der Epizentren des Terrorismus und alles, was wir tun können, um die Wurzeln des Terrorismus zurückzudrängen, hilft uns unmittelbar auch in Deutschland."
Sie will zeigen: "dass wir hier sind, dass wir miteinander sprechen, dass wir zuhören." Die Bundesregierung nimmt zunehmend in Kauf, in Ländern engagiert zu bleiben, die bei der Demokratisierung den Rückwärtsgang einlegen.
Auch im benachbarten Niger streckte Verteidigungsminister Boris Pistorius im Dezember nicht mal ein halbes Jahr nach dem von den demokratischen Partnern aufs Schärfste verurteilten Staatsstreich die Hand aus. Das hat praktische Gründe.
"Europa und Deutschland müssen in Burkina Faso Realpolitik betreiben und nicht krampfhaft auf Wahlen dringen zu einer Zeit, wo fast die Hälfte des Territoriums de facto in der Hand von Dschihadisten ist", meint Ulf Laessing, Sahel-Büroleiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.
"Wenn Burkina Faso fällt, sind auch die Küstenländer bedroht und es wird deutlich mehr Migration nach Europa geben. Deutschland darf auch nicht eine ganze Region Russland überlassen."
Einfluss Russlands besorgt Schulze
In anderthalb Jahren unter Traoré hat Burkina Faso die in der öffentlichen Laune immer verhassteren Franzosen aus dem Land geworfen, die ihnen beim Anti-Terror-Kampf helfen sollten, mit den Junta-Nachbarn Mali und dem Niger eine Allianz gegründet und in einer Art Sahel-Brexit den Austritt aus dem Regionalblock Ecowas verkündet.
Immer enger wenden die drei sich Russland zu, von dem sie sich robuste Hilfe ohne lästige Fragen oder postkoloniale Baggage erwarten. Ende Januar landeten in Ouagadougou die ersten 100 Militärs des Afrika-Corps, Moskaus offizieller Neuauflage der schon nebenan in Mali aktiven Wagner-Söldner.
Nach den sich ausbreitenden Terrorgruppen drohe auch der wachsende russische Einfluss die Region in Europas Nachbarschaft zu destabilisieren, unterstreicht Schulze. Das Gegenmittel: "Jobs, Bildung, soziale Sicherheit und ein handlungsfähiger Staat".
Von den nach UN-Schätzung gut 23 Millionen Einwohnern könne sich fast die Hälfte nicht ausreichend ernähren, warnt die Welthungerhilfe. Zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht, Hunderttausende Kinder können nicht zur Schule gehen. Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 17 Jahre alt und braucht dringend Bildung, Jobs und eine Zukunft.
Für 2023 waren aus dem Entwicklungsministerium 57,1 Millionen Euro für Projekte in Burkina Faso zugesagt. Auch der internationale Geberverband Sahel-Allianz, dem Deutschland vorsitzt, ist mit Milliarden engagiert. Betont wird, dass deutsche Mittel nicht direkt an die Regierung gingen - dafür müsse "die Transition hin zu demokratischen Wahlen weiter beschritten" werden.
Tödlichster Terrorhort der Welt
Doch die bis Sommer zugesagten Wahlen haben Traoré zufolge keine Priorität. Erst müsse das Land stabilisiert werden. Selbst nach eigenen Angaben kontrolliert das Militär höchstens zwei Drittel des Staatsgebiets, eher noch deutlich weniger.
Burkina Faso schmiegt sich an Mali und den Niger im Norden sowie die Elfenbeinküste, Ghana, Togo und Benin im Süden - eine Brücke zwischen der Sahara und den Wäldern am Atlantik. 1984 taufte Staatschef Thomas Sankara, ein heute als Held verehrter linker Putschist, das Obervolta in Burkina Faso um - das "Land der Aufrechten". Drei Jahre später wurde er ermordet.
Sein einstiger Vertrauter Blaise Compaoré regierte 27 Jahre als frankreich-naher neoliberaler Autokrat, bis ihn 2014 eine Massenbewegung stürzte. Seit 2015 verschlingt auch der islamistische Terror das Land. 2023 wurden laut Konfliktdatenorganisation ACLED mehr als 8.400 Menschen in dem Konflikt getötet, davon mehr als 2.300 Zivilisten.
Das Eck zwischen Mali, Niger und Burkina Faso ist zum tödlichsten Terrorhort der Welt geworden. Die Angriffe kreisen die Hauptstadt ein und kriechen im Süden über die Grenzen.
Gewalt hält seit dem Putsch an
Seit dem jüngsten Putsch Oktober 2022 hält sich Traoré an der Macht, der sich als neuer Sankara geriert. Das Land zurückerobern, lautet die Losung. Die Armee ließ er durch Zehntausende Freiwillige verstärken. Recherchen deckten Fälle auf, bei denen diese Zivilisten getötet haben sollen.
Der Staat gab an, gegen die Schuldigen zu ermitteln - und wies bisher nur die Journalisten aus. Kritische Berichte über Militäroperationen sind nun verboten. Missliebige Künstler, Menschenrechtler und Journalisten werden zwangsrekrutiert an die Front. Alles sei erlaubt im Ausnahmezustand, sagen Traorés Fans, Hauptsache, es hilft.
Experten sind pessimistisch. "Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Sicherheitslage im Jahr 2024 verbessert", sagt Westafrika-Experte Mucahid Durmaz von der Risikoanalysefirma Verisk Maplecroft. Das Militär komme so nicht gegen die Milizen an. Die Gewalt lähme den Goldabbau ebenso wie die Landwirtschaft, von der der größte Teil der Bevölkerung lebt.
"Die sinkenden Staatseinnahmen werden die Regierung daran hindern, der zunehmenden Armut und den wachsenden humanitären Herausforderungen im Land zu begegnen." (dpa/thp) © dpa
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