- Wegen zahlreicher Pannen und Fehler muss in Berlin die Abgeordnetenhaus-Wahl von 2021 wiederholt werden.
- Auch der Neudurchgang ist kurios: Er könnte den Stadtstaat 39 Millionen Euro kosten und wird von Wahlbeobachtern begutachtet.
In Deutschland wird das öffentliche Leben zum Jahreswechsel einen Gang herunterschalten. In der Bundeshauptstadt aber kann sich die Landespolitik keine Pause gönnen: Berlin steckt mitten im Wahlkampf. Am 12. Februar des kommenden Jahres werden das Abgeordnetenhaus und die Versammlungen der zwölf Bezirke neu gewählt. Nein, eigentlich ist schon dieser Begriff falsch.
Genau genommen handelt es sich um eine Wiederholung der Wahl vom 26. September 2021. Die damalige Abstimmung ist als "Pannenwahl" in die jüngere Berliner Geschichte eingegangen: Es kam zu so langen Warteschlangen, dass viele Menschen erst nach 18 Uhr wählen konnten. Wahlzettel gingen aus und Nachschub kam wegen des gleichzeitig stattfindenden Marathons nicht in den Wahllokalen an. Wählende erhielten zum Teil Unterlagen für Abstimmungen, an denen sie gar nicht teilnehmen durften.
Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat diese Wahlen im vergangenen November für ungültig erklärt: Die große Menge an Fehlern und Mängeln vor und während der Wahl mache diese Abstimmung zu einem "wohl einmaligen Vorgang in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland", hieß es in der Begründung. Deshalb muss die Wahl nun erneut stattfinden. Und auch diese Wiederholung hat schon zu allerlei Kuriositäten geführt.
1. Die Wiederholungswahl verschlingt 39 Millionen Euro
Der Neudurchgang kommt die finanziell knappe Hauptstadt teuer zu stehen: Innensenatorin Iris Spranger sagte in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost", sie plane mit 39 Millionen Euro. Das wäre fast dreimal so viel wie 2021, als die Wahl 14 Millionen Euro kostete. Der finanzielle Aufwand ist so groß, weil dieses Mal nichts schiefgehen darf.
Das sollen unter anderem bis zu 43.000 Wahlhelferinnen und Wahlhelfer sicherstellen. Die Berliner Behörden haben in ganz Deutschland um sie geworben: Um am 12. Februar die Wahlvorstände zu unterstützen, ist ein Hauptwohnsitz in Berlin nicht erforderlich. Die Arbeit ist zwar ehrenamtlich – allerdings erhalten die Wahlhelfenden ein "Erfrischungsgeld" von 240 Euro. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2021 sah der Bundeswahlleiter für Wahlvorstände eine Aufwandsentschädigung von mindestens 25 Euro vor; allerdings mit der Möglichkeit, dass Kommunen den Betrag aufstocken.
2. Wahlbeobachter der OSZE überwachen die Abstimmung
Von der Rechtmäßigkeit der Wahl wird sich auch eine Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein Bild machen. Wahlbeobachtung klingt nach fragilen Demokratien. Bei Bundestagswahlen sind diese Wahlbeobachter allerdings auch in Deutschland die Regel. Auf Landesebene sind sie aber eher die Ausnahme.
Der Schritt ging vor allem von Berlin selbst aus. Der Senat will damit auch zeigen, dass dieses Mal alles korrekt läuft: "Wir werden zeigen, dass wir Wahlen können", sagte Innensenatorin Iris Spranger im November.
3. Abstimmung im Jahr 2023 mit den Listen von 2021
Der Verfassungsgerichtshof von Berlin hat wie erwähnt keine Neuwahl, sondern eine Wahlwiederholung angeordnet. Das ist ein Unterschied – und der hat Folgen: Die Wahl muss am 12. Februar 2023 unter den Bedingungen vom 26. September 2021 stattfinden. Das bedeutet: Die Wahllisten mit den Kandidatinnen und Kandidaten entsprechen weitgehend denen von 2021. Gestrichen werden dort nur Personen, die inzwischen verstorben sind, aus Berlin weggezogen sind oder verzichtet haben.
Das hat zum Teil kuriose Folgen: In der Bezirksversammlung von Berlin-Mitte ist zum Beispiel eine Grünen-Politikerin kurz nach der Wahl von 2021 zur Linken gewechselt. Sie steht nun aber erneut auf der Liste der Grünen zur Wahl. Ebenfalls in Berlin-Mitte haben die Grünen vor kurzem ihren eigenen Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel abgewählt und durch eine Parteifreundin ersetzt. Sie muss allerdings nicht um ihren Job fürchten, denn die Bezirksbürgermeister sind als Beamte für eine feste Zeit gewählt und nicht vom neuen Urnengang abhängig.
Auch wenn die Listen also von 2021 sind: Für die Wahlwiederholung wird laut Landeswahlleiter ein neues Register erstellt. Das heißt: Auch Personen, die nach der Wahl von 2021 neu nach Berlin gezogen sind, dürfen dieses Mal mitwählen.
4. Im Wahlkampf kommt auch eine Strafanzeige zum Einsatz
Politisch wird in der Hauptstadt traditionell mit harten Bandagen gekämpft. Die Parteien schenken sich nichts. Ein Beispiel aus dem aktuellen Wahlkampf: Im November hat ein Gericht die Sperrung der Berliner Friedrichstraße für den Autoverkehr aufgehoben. FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja nutzte das Urteil für PR in eigener Sache, räumte eigenhändig eine Absperrung zur Seite und ließ sich dabei filmen.
Die Retourkutsche der Konkurrenz folgte schnell. Ein Redakteur des "Tagesspiegel" hatte berichtet: Czaja habe die weggetragene Absperrung für das Video zuvor selbst aufgestellt. Daraufhin erstattete der Pressesprecher der Berliner Grünen Strafanzeige gegen Czaja. Von einer Ampel-Koalition ist Berlin offenbar weit entfernt.
5. Wenn die Grünen die Wahl gewinnen, könnten sie in der Opposition landen
SPD, CDU und Grüne liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der "Bild"-Zeitung vom 12. bis 19. Dezember erreichen SPD und CDU 21 Prozent, die Grünen 20 Prozent. Jede der drei Parteien könnte im Februar vorne liegen. Doch das bedeutet noch nicht, dass ihr die Macht sicher wäre.
Liegt zum Beispiel die CDU vorne, ist ihr Spitzenkandidat Kai Wegner deswegen noch nicht automatisch der nächste Regierende Bürgermeister. Sollten SPD, Grüne und Linke zusammen weiterhin auf eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus kommen, ist es wahrscheinlich, dass sie ihr Bündnis fortsetzen.
Doch auch die Grünen können sich nicht sicher sein. CDU und FDP hoffen nämlich auf eine schwarz-rot-gelbe Deutschland-Koalition mit der SPD. Die Berliner SPD ist daran zwar nur mäßig interessiert. Doch ausgerechnet ein grüner Wahlsieg könnte sie womöglich umstimmen. Liegen die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch vorne, müsste die SPD ihnen in einer gemeinsamen Koalition wohl den Posten der Regierenden Bürgermeisterin überlassen. Eine Koalition aus SPD, CDU und FDP könnte Franziska Giffey (SPD) dagegen den prestigeträchtigen Posten im Roten Rathaus erhalten.
6. Das Bundesverfassungsgericht kann die Wiederholung noch kippen
Als der Berliner Verfassungsgerichtshof am 16. November die Wahl von 2021 für ungültig erklärte, stand für die dortige Mehrheit der Richterinnen und Richter fest: An einer Wiederholung führt kein Weg vorbei. "Sollten die Wahlfehler trotz ihrer Schwere und Häufigkeit nicht zur Ungültigkeit der Wahlen führen, würde das Ansehen der Demokratie in Berlin dauerhaft und schwerwiegend beschädigt", hieß es im Beschluss.
Doch das sehen in Berlin nicht alle so. Mitte Dezember berichtete der "Tagesspiegel": Mehr als 30 Politikerinnen und Politiker aus verschiedenen Parteien haben gegen das Urteil Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Sie halten die Wiederholung für unnötig und argumentieren vor allem: Das Ausmaß der Fehler und Pannen sei nicht so groß, dass sie die Sitzverteilung beeinflusst hätten.
Wann das Bundesverfassungsgericht über die Beschwerde entscheidet, ist unklar. Theoretisch möglich ist aber nun, dass es die Wiederholung vor oder auch nach dem Urnengang für unzulässig erklärt. Eine ungültige Wiederholung einer Pannenwahl? Das wäre aus Sicht des "Tagesspiegel" der größte anzunehmende Unfall für die Berliner Demokratie.
Verwendete Quellen:
- Berlin.de: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erklärt die Wahlen zum 19. Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021 für ungültig
- Bild.de: Giffey wieder im Rennen ums Rote Rathaus
- Bundeswahlleiter.de: Informationen für Wahlhelfende
- Landeswahlleiter für Berlin: Allgemeine Informationen
- Morgenpost.de: Spranger: "Handwerksmeister sollten Blockierer verklagen" (Bezahlinhalt)
- Tagesspiegel.de: Kippt der Wahltermin im Februar?: Mehr als 30 Berliner Politiker ziehen vors Bundesverfassungsgericht
- Twitter-Account von Christian Latz
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