Markus Söder sonnt sich in steigenden Umfragewerten. Nun geht er in Klimafragen überraschend in die Offensive. Er denkt strategisch. 2021 könnte es eine schwarz-grüne Bundesregierung geben.
Im Hofgarten der Bayerischen Staatskanzlei sind drei Bienenvölker eingezogen.
Söder: "Wir stehen vor einer Jahrhundertaufgabe"
Bayerns Ministerpräsident stellt - während Berlin in der politischen Sommerpause dahinschlummert - ein ziemlich ambitioniertes Klimaschutzprogramm vor. Es liest sich wie der Weihnachtswunschzettel der Grünen mitten im Hochsommer. Von rechtlichen Meilensteinen (Klimaschutz ins Grundgesetz und in Bayerns Staatsverfassung) bis zu handfesten Massenbegrünungen (mehr als 30 Millionen neue Bäume sollen in Bayern gepflanzt werden) reicht das überraschende Maßnahmenpaket des "ergrünten" CSU-Vorsitzenden.
Schneller noch als der Bund soll Bayern klimaneutral werden. Selbst kleinste Öko-Anordnungen werden plötzlich reihenweise erteilt.
Die Staatskanzlei wird sofort zu hundert Prozent mit Ökostrom versorgt. Der Fuhrpark von Regierung und Behörden wird radikal auf Verbrennungsmotor verzichten. Zugtickets sollen durch einen günstigeren Mehrwertsteuersatz billiger werden, ein umfassendes Artenschutzgesetz ist beschlossen, Bayern wird mit Biotopen und Streuobstwiesen übersät, wildblumige Randstreifen erblühen an Feldern, Wäldern, Wegen und Bächen, es soll mehr Bio-Lebensmittel geben, mehr Insektenschutz auch und sogar verringerten Flächenverbrauch.
Söder hat seine grüne Offensive geschickt geplant, sie mit medialen Paukenschlägen inszeniert und das passend pathetische Wording gleich mitgeliefert: "Wir stehen vor einer Jahrhundertaufgabe, daher brauchen wir auch einen Jahrhundertvertrag."
"Bayern braucht einen Jahrhundertvertrag"
Politische Freunde und Feinde reiben sich die Augen. Ausgerechnet die CSU überholt die gesamte Berliner Politik auf dem grünen Randstreifen. Söders Kalkül ist dreifacher Natur:
Erstens will er für die Union die Deutungshoheit über ein Megathema endlich zurückholen. Die CSU betreibt Politik ungern aus der Defensive. Damit wiederholt Söder eine strategische Erfolgsmechanik seiner Amtsvorgänger. Die hatten sich vor Jahrzehnten in der sozialen Frage ebenfalls für einen offensiven, arbeitnehmerfreundlichen Kurs entscheiden (oft zum Leidwesen des Wirtschaftsflügels der Union) und die SPD in Bayern damit thematisch beinahe enteignet. Die Arbeiterschaft in Bayern fühlt sich seit Jahrzehnten bei der sozialpolitisch profilierten CSU gut aufgehoben. Nun versucht Söder das gleiche mit dem ökologisch gesinnten Bürgertum der Metropolen. Sigmar Gabriel (SPD) beschrieb diese systematische Umarmungsstrategie der CSU einmal so: "Die sind dadurch die letzte wirkliche Volkspartei in Deutschland."
Zweitens will Söder den Aufschwung der Grünen endlich einbremsen. Die starken Ergebnisse der Grünen bei der Europawahl haben in München die Alarmglocken klingeln lassen. Man müsse der grünen Kanzleroption Einhalt gebieten - am besten durch sachliche Regierungslösungen. Neben der Deutungsmacht müsse Gestaltungsmacht demonstriert werden. "Grüne sind Besserwisser, wir sind Bessermacher" lautet das neue Leitmotiv der CSU.
Drittens öffnet sich er eine strategische Tür zu eigenen Kanzlerkandidatur. Söder hatte mit dem holprigen Stabwechsel von Horst Seehofer einen schweren Start als CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident, die Wunden des Machtkampfs bluteten nach, bescheidene Umfragewerte drückten die Stimmung, jede Menge negative Prognosen prasselten auf ihn ein.
Doch Söder macht seinen Job - selbst aus Sicht mancher Kritiker - ausgleichend und umsichtig. Das relativ starke Wahlergebnis der CSU bei der Europawahl gibt ihm ebenso Rückenwind wie die neuen Umfragen. Nach einer Erhebung des Instituts GMS halten ihn inzwischen 60 Prozent der Befragten für einen guten Ministerpräsidenten, im Januar hatten das erst 49 Prozent gesagt.
Bei den bürgerlichen Wählern von CSU und Freien Wählern erreicht Söder sogar eine Zustimmung von je 79 Prozent. Auch in der Forsa-Umfrage zur Beliebtheit von Ministerpräsidenten kann Söder mit 49 Prozent im Vergleich zum Vorjahr am stärksten zulegen: Damals waren nur 31 Prozent der befragten Bayern mit der Arbeit des Regierungschefs zufrieden.
Nutzt Söder sein Vetorecht in der K-Frage?
Mit seinem wachsenden Rückhalt und dem ohnedies starken Potential Bayerns schlägt Söder nun eine grüne Schneise für seine Berliner Perspektive. Angesichts schwächelnder Werten der CDU und einer offenen Kanzlerkandidatenfrage kommt er zusehends in die Rolle einer denkbaren Option.
Mit Franz Josef Strauß 1980 und Edmund Stoiber 2002 gab es bereits zwei Unions-Kanzlerkandidaten aus der CSU, warum soll Söder 2021 (alle zwanzig Jahre wäre es soweit) nicht der Dritte werden? Bei der Europawahl verlor die Union überall, nur eben nicht in Bayern. Das stärkt seine Position.
Zudem hat Söder ein Veto-Recht bei der Nominierung. Der Kanzler-Kandidat muss von CDU und CSU gemeinsam aufgestellt werden. Söder verfügt damit von vornherein über einen großen Trumpf im Unions-Personalpoker. Vor allem wenn die Umfragewerte von Annegret Kramp-Karrenbauer mäßig bleiben sollten, steigen seine Chancen. Er kann es mit seinen 52 Jahren so oder so abwarten.
Und bis dahin die strategische Linie der Union nach der Migrationsfrage nun auch in der Klimadebatte festlegen. Denn genau das tut er in dieser Woche. Er legt das Umwelt-Programm für die schwarz-grüne Bundesregierung 2021 vor.
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