Die SPD-Chefin legt ihre Sommertour in diesem Jahr nach Hessen. Dort unterstützt sie die wahlkämpfende Innenministerin. Und besucht Orte, die Zuversicht vermitteln. Unterwegs mit Saskia Esken und Nancy Faeser.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der Name passt zum Selbstverständnis: "Platz der Energiewende". Niestetal bei Kassel, hier hat der Solartechnikkonzern SMA seinen Sitz. Ein Mittelständler, der Wechselrichter für Photovoltaikanlagen herstellt und weltweit führend ist. Wenn man so will: Energiewende made in Hessen.

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Das gefällt Saskia Esken. Gute Botschaften kann sie gebrauchen. Die SPD-Chefin hat ihre Sommerreise, begleitet von einem Tross Journalistinnen und Journalisten, in diesem Jahr nach Hessen verlegt. Dort wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt und es könnte besser laufen für die SPD. Aktuell sehen Umfragen die regierende CDU klar in Führung.

Landtagswahl in Hessen: Die CDU liegt in Umfragen vor der SPD

Dabei haben die Sozialdemokraten mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein politisches Schwergewicht zur Herausforderin von Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) ernannt. Faeser kommt aus Hessen, hier war sie 18 Jahre in der Landespolitik aktiv. Nun soll sie die Staatskanzlei in Wiesbaden nach einem Vierteljahrhundert wieder für die SPD erobern.

Mit Blick auf die aktuelle politische Stimmung ist das keine leichte Aufgabe. Die Ampel in Berlin beendet die Sommerpause mit Streit um das Wachstumschancengesetz und die Kindergrundsicherung. In bundesweiten Umfragen dümpelt die SPD auf Platz drei, hinter Union und AfD. Seit der Bundestagswahl vor knapp zwei Jahren hat sie mehr als ein Viertel an Zustimmung eingebüßt. Zu allem Ungemach trübt sich auch noch die wirtschaftliche Lage ein. Faeser kann also Unterstützung gebrauchen.

Während der zweitägigen Tour durch den Norden Hessens lassen die beiden SPD-Frauen keinen Zweifel daran, dass die nächste Ministerpräsidentin aus ihrer Sicht Nancy Faeser heißen wird. Und die Lage besser ist als die Stimmung – in vielerlei Hinsicht.

"Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht selbst in eine Depression reinreden."

SPD-Chefin Saskia Esken

Rezession, Deindustrialisierung, Deutschland als kranker Mann Europas? Saskia Esken hält das für Panikmache. "Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht selbst in eine Depression reinreden", sagt sie in Niestetal beim Werksbesuch. Wirtschaft und Gesellschaft seien stark.

Auf SMA trifft das zu. Der Solarhersteller boomt. 4.000 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, am Standort Nordhessen soll die Produktionskapazität verdoppelt werden, eine neue Fabrik ist geplant. Auch SMA-Boss Jürgen Reinert findet, dass die allgemeine wirtschaftliche Lage schlimmer geredet werde, als sie es wirklich sei.

Es sind vor allem die hohen Energiepreise, insbesondere beim Strom, die die Unternehmen belasten. Insofern sind die Ziele, die Esken für ihre Sommertour ausgesucht hat, klug gewählt: Es sind Orte, die Zuversicht vermitteln. Dazu zählt SMA, aber auch das Fraunhofer-Institut in Kassel, wo zu Energiewende und Klimaschutz geforscht wird. Und der Windpark Stiftswald im hügeligen Umland von Kassel.

Im Wald bei Kassel gelingt die Energiewende

Es dauert etwas, bis sich der Reisebus über die kurvige Schotterpiste bis zum Ziel vorgeschoben hat, einem 150 Meter hohen Windrad im Wald. Hier, auf 500 Höhenmeter, mitten in den nordhessischen Wäldern, gelingt etwas, woran es anderswo zu oft noch hapert: die Akzeptanz der Energiewende.

Der Windpark wird von umliegenden Kommunen und "Bürgerenergiegenossenschaften" getragen – ein Modell, bei dem sich die Menschen in der Region aktiv mit Einlagen beteiligen können. Und von den Erträgen in Form von Ausschüttungen profitieren. 25.000 Haushalte werden bereits mit sauberem Strom aus dem Stiftswald versorgt.

Esken und Faeser hören dem Vortrag im Inneren des Windrads aufmerksam zu. Die SPD-Spitzenkandidatin nutzt die Gelegenheit auch gleich, um der schwarz-grünen Koalition in Wiesbaden eins mitzugeben. Da Hessen landeseigene Grundstücke meistbietend verkauft, wären weitere Windparks nach diesem Modell praktisch unmöglich, sagt Faeser. Sie werde dies ändern – "wenn ich Ministerpräsidentin bin".

Das Gefühl des Abgehängtseins gibt es auch in Hessen

Ein Nebensatz, der häufig fällt auf dieser Reise. Auch in Weißenborn, der kleinsten Gemeinde Hessens. Hier geht der Blick allerdings nicht in Richtung Zukunft. Dafür sind die Probleme der Gegenwart zu drängend. Auch im reichen Hessen gibt es Landstriche, die abgehängt sind. Die Gegend um Weißenborn zählt dazu.

Kaum Arbeitsplätze, Überalterung, Bevölkerungsrückgang. Das sind nur einige der Themen, die die Menschen hier umtreiben. Der SPD-Bus hält auf einem Parkplatz, der von Schlaglöchern übersät ist. Es wirkt, als habe sich bereits das halbe Dorf versammelt. Und der Grund der Reise steht daneben: der Medibus.

Ein Projekt, das 2018 initiiert wurde. Die Kommunen vor Ort kooperieren, um die fahrende Hausarztpraxis zu betreiben. Weil der Medizinermangel auf dem Land so dramatisch ist, kommt der Medibus mehrmals pro Woche, um überhaupt eine ärztliche Versorgung anbieten zu können.

Ende 2020 stand der Medibus vor dem Aus, doch das Projekt konnte weitergeführt werden. Während SPD-Chefin Esken betont, dass der Arztengpass auf dem Land zeige, wie wichtig Zuwanderung sei, gerade im Bereich Medizin und Pflege, gibt Nancy Faeser vor der Dorfbevölkerung ein Versprechen. Sie garantiert, dass der Medibus vom Land Hessen weiter finanziert wird – wenn sie denn Ministerpräsidentin wird.

Wahlkampf in Hessen: Warum Nancy Faeser nicht abgeschrieben werden sollte

In Weißenborn kommt das gut an. Und Faeser zeigt, dass im Wahlkampf mit ihr noch zu rechnen sein könnte – trotz Rückstand in den Umfragen. Im Bürgergespräch gibt sich die Innenministerin nahbar, ist zugewandt und schlagfertig. Es bereitet ihr keine Probleme, auf Menschen zuzugehen.

Ob das reicht, um der SPD zumindest eine Regierungsbeteiligung in Wiesbaden zu sichern? Nancy Faeser setzt darauf, dass die Menschen in Hessen nach dem Sommerurlaub beginnen, sich mit Politik zu beschäftigen. Und dann auf die Probleme vor Ort schauen – und nicht ins ferne Berlin.

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