Die Bundesregierung hat einen Entwurf für ein Maßnahmenpaket als Antwort auf den Anschlag in Solingen vorgestellt. Aus Sicht von Lars Castellucci (SPD), dem amtierenden Vorsitzenden des Innenausschusses im Bundestag, ist das ein guter Schritt.

Ein Interview

Der Anschlag in Solingen hat eine lautstarke Debatte über Asyl, Flucht und Migration ausgelöst – und den deutschen Umgang damit. CDU-Chef Friedrich Merz sprach wenig später von einer "nationalen Notlage", die ausgerufen werden müsse und machte Kanzler Olaf Scholz (SPD) ein forsches Angebot: Enge Zusammenarbeit über den Rücken der Ampel-Partnerinnen hinweg.

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Scholz lehnte ab. Passiert ist in Sachen Asyl in den folgenden Tagen dennoch so einiges. Am Donnerstag – fünf Tage nach dem Anschlag– hat die Bundesregierung den Entwurf für ein neues Gesetzespaket vorgestellt. Mit weitreichenden Verschärfungen.

SPD-Politiker Lars Castellucci, amtierender Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, sagt dazu: "Das Gewaltmonopol liegt beim Staat." Im Interview spricht der Sozialdemokrat über die neuen Regeln, Humanität und Abschiebungen.

Heute ist der erste Abschiebeflug nach Afghanistan gestartet. Ist das die neue Asylpolitik der Ampel, Herr Castellucci?

Lars Castellucci: Wir haben angekündigt, mehr Ordnung in die Asylpolitik zu bringen, und das setzen wir um. Das bedeutet auf der einen Seite, dass wir es Menschen erleichtern hierzubleiben, wenn sie einen Anspruch auf Schutz haben, sich integrieren, hier arbeiten und sich selbst finanzieren können. Auf der anderen Seite bedeutet das aber auch, dass Menschen, die hier keinen Schutzstatus erhalten – oder sogar schwerste Straftaten begehen, wie die Insassen im Flugzeug heute Morgen – unser Land wieder verlassen müssen.

Afghanistan ist ein Terrorstaat. Rückgeführten drohen unter Umständen Folter oder unmenschliche Strafen. Wie passt das mit dem Prinzip der Humanität zusammen, das sich die Bundesregierung in Sachen Migration selbst auferlegt hat?

Der Bundeskanzler hat bereits klargestellt, dass unsere eigenen Sicherheitsinteressen überwiegen in dieser Abwägung. In dem Moment, in dem Leid, Folter oder gar die Todesstrafe droht, würden unsere Gerichte intervenieren und eine Abschiebung in einem betreffenden Fall aussetzen. Wenn die verübten Verbrechen aber der Geisteshaltung der Taliban entsprechen, ist aus meiner Sicht nicht damit zu rechnen, dass den Betroffenen Unheil droht.

Der Attentäter von Solingen war ausreisepflichtig und sollte eigentlich nach Bulgarien zurückgeführt werden, da er in dem EU-Mitgliedsstaat zuerst seinen Asylantrag gestellt hatte. Passiert ist das nicht. Warum wird das Dublin-Verfahren nicht umgesetzt?

Diese Frage stelle ich mir seit 2013, seit ich hier im Bundestag arbeite. Es ist ein Fortschritt, dass sich Bulgarien bereit erklärt hat, entsprechend der geltenden Rechtslage die Person auch wirklich zurückzunehmen. Das ist auch Innenministerin Nancy Faeser zu verdanken, die durch die einzelnen Mitgliedsstaaten gereist ist und für die Umsetzung des Verfahrens geworben hat.

Was ist das Dublin Verfahren?

  • Das Verfahren soll feststellen, welcher EU-Mitgliedsstaat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist. So soll sichergestellt werden, dass jeder Antrag nur einmal innerhalb der EU geprüft wird. Stellt sich heraus, dass ein Asylsuchender bereits in einem anderen Mitgliedsstaat einen solchen Antrag gestellt hat, soll er laut Verfahren in dieses Land zurückgeführt werden.

Trotzdem hat es in Solingen nicht geklappt.

So wie ich die nordrhein-westfälische Integrationsministerin verstanden habe, ist das System dort überlastet. Die offenen Fragen müssen nun sehr gründlich aufgearbeitet werden. Der Landtag plant einen Untersuchungsausschuss, weil solche Fragen natürlich in jedem Einzelfall sehr genau beantwortet werden müssen. Nur wenn wir die Probleme verstehen, können wir in Zukunft für Verbesserungen sorgen.

Der Innenausschuss hat heute getagt, Inhalt der Sitzung dürfte auch das Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Verschärfung der Asylregeln gewesen sein. Wie blicken Sie auf die Pläne?

Mit einer positiven Grundstimmung. Gerade was das Waffenrecht angeht, sind das allerdings überwiegend Vorschläge, die wir lange hätten verabschieden können. Es sollte nicht solche schrecklichen Anlässe wie in Solingen brauchen, damit da Bewegung reinkommt. Es sind zu viele gefährliche Messer im Umlauf. Es darf nicht das Gefühl aufkommen, dass Menschen sich schützen müssen, wenn sie das Haus verlassen. Das sorgt nur für noch mehr Taten und Verletzungen. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat – und wir werden das Maximale tun, um die Bevölkerung zu schützen.

Wie kann ein Messerverbot Taten wie in Solingen verhindern?

Der konkrete Fall hätte mit einer Waffenrechtsverschärfung nicht verhindert werden können. Geholfen hätten hier die Verbesserungen bei der Durchsetzung der Dublin-Regeln. Das Arbeitspapier, das die Regierung vorgelegt hat, bezieht sich nicht nur auf die Frage, wie Solingen hätte verhindert werden können. Seit dem Ende der Corona-Pandemie gibt es einen Anstieg von Gewaltdelikten, bei vielen spielen Messer eine Rolle. Dieser Entwicklung trägt der Entwurf Rechnung.

Zur Person

  • Lars Castellucci sitzt seit 2013 für die SPD im Bundestag. Der 50-jährige Heidelberger ist seit 2022 der stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses. Da der Vorsitzposten des Ausschusses nicht besetzt ist, übernimmt Castellucci de facto diese Position. Neben der Politik ist nach eigenen Angaben Musik die große Leidenschaft Castelluccis. Er spielt Orgel und Klavier.

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