Die Diskussionen um Verwandtschaftsverhältnisse im Wirtschaftsministerium ebben nicht ab. Die Opposition fordert den Rücktritt von Robert Habecks Staatssekretär. Ein Experte sieht die Integrität des Wirtschaftsministers als beschädigt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der Vorwurf der Vetternwirtschaft im Wirtschaftsministerium beschäftigt seit Wochen die Gemüter. Neu ist er eigentlich nicht. Die Tageszeitung taz berichtete bereits Ende 2021 über die Verwandtschaftsverhältnisse rund um die Leitungsebene im Ministerium. Über Robert Habecks Staatssekretär und dessen Schwester und seinen Trauzeugen. Richtig hochgekocht ist die ganze Sache jedoch erst Anfang dieses Jahres.

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Geschwister des Staatssekretärs arbeiten in Öko-Institut

Die zentrale Figur in diesen Diskussionen ist der beamtete Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Patrick Graichen. Er ist im Ministerium zuständig für die Energiewende. Er ist auch maßgeblich verantwortlich für die aktuellen politischen Vorstöße um die Erneuerungen von Gas- und Ölheizungen. Graichen war vor Habecks Zeit schon im Umweltministerium tätig und leitete dann die Denkfabrik "Agora Energiewende". Robert Habeck holte ihn nach der Bundestagswahl als Staatssekretär in sein Wirtschaftsministerium.

Neben Graichen ist auch Michael Kellner Staatssekretär im Ministerium. Der ehemalige Bundesgeschäftsführer der Grünen ist mit Patrick Graichens Schwester Verena Graichen verheiratet. Sie wiederum, wie auch der gemeinsame Bruder der Graichens, arbeiten im Öko-Institut. Dieses Institut bekommt staatliche Aufträge auch aus dem Wirtschaftsministerium. Damit stand der Verdacht im Raum, dass Verwandte über die Aufträge entscheiden würden. Robert Habeck wies dies jedoch zurück. "Die gehen nicht über ihre Schreibtische. Noch nicht mal die Befassung, ob Aufträge in diesem Bereich vergeben werden sollen, geht über ihre Schreibtische", erklärte der Minister.

Habecks Staatssekretär wollte eigenem Trauzeugen einen Posten verschaffen

Zur sogenannten "Trauzeugen-Affäre" entwickelte sich das Ganze dann, als der Chefposten bei der Deutschen Energie-Agentur dena neu besetzt werden sollte. In dem Auswahlgremium saß auch Habecks Staatssekretär Patrick Graichen. Am Ende der Beratungen war klar, dass der ehemalige Grünen-Politiker Michael Schäfer den Posten bekommen sollte. Dieser jedoch war Patrick Graichens Trauzeuge. Mittlerweile zeigte sich der Minister zerknirscht. "Da ist ein Fehler passiert", sagte der Grünen-Politiker bei einer Veranstaltung des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Die Ausschreibung zur Besetzung des Postens bei der dena soll nun neu gestartet werden.

Diese sich mittlerweile schon länger hinziehenden Debatten haben Minister Robert Habeck bereits spürbaren Schaden zugefügt, glaubt Frank Brettschneider, Politikwissenschaftler an der Universität Hohenheim. Er weist darauf hin, dass für die Bürgerinnen und Bürger bei der Bewertung von Spitzenpolitikern drei Aspekte entscheidend seien. Die Wahrnehmung der Menschen bei der Themenkompetenz, der Führungsstärke und der persönlichen Integrität.

Besonders die Integrität Habecks habe nun gelitten, erklärt Brettschneider. Mittlerweile habe sich auch die Situation für die Grünen verschärft. "Die selbst formulierten Ansprüche der Grünen sind sehr hoch", erklärt der Professor von der Universität Hohenheim. "Umso gravierender ist es, wenn sie selbst dagegen verstoßen. Gemäß dem Motto: 'Je höher das Ross, auf dem man sitzt, desto tiefer ist der Fall.'"

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Opposition kann sich mit dieser Affäre profilieren

Die Opposition im Bundestag zeigte sich empört über diese Vorgänge. Die AfD benutzte den Begriff "Clan-Strukturen", den darauf auch die CSU übernahm. CDU-Generalsekretär Mario Czaja forderte die Entlassung von Graichen. Im ZDF kritisiert er den Minister deutlich: "Er hat sich immer mehr eingeigelt im Kreise von denen, die sein Parteibuch haben, aber vor allem auch im Verwandtschaftsverhältnis mit seinen Staatssekretären stehen." CSU-Generalsekretär Martin Huber äußert sich noch markanter: "Jeder, der zum Graichen-Clan gehört, bekommt dort einen guten Job." Huber verlangt, dass der "grüne Morast" ausgetrocknet werde.

In dieser Situation dürften sich insbesondere die Ampelpartner nicht zurücklehnen, mahnt Politikwissenschaftler Brettschneider. Erst gestern berichtete der "Spiegel", dass im SPD-geführten Verteidigungsministerium neun Spitzenjobs ohne Ausschreibung vergeben worden seien. Dass die Opposition hingegen von solchen Diskussionen nur profitieren kann, davon ist Brettschneider fest überzeugt. "Für die CDU läuft es derzeit rund. Weniger aus eigenem Zutun, sondern aufgrund der Schwäche der Ampelkoalition insgesamt und der Grünen insbesondere." Für die CDU gelte derzeit: "Die Schwächen der anderen sind kurzfristig unsere Stärke."

Über den Experten:
Prof. Dr. Frank Brettschneider ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie an der Universität Hohenheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Verständlichkeitsforschung und die Politische Kommunikation, vor allem die Wahlforschung.

Verwendete Quellen:

  • taz.de: Energiewende als Familienprojekt
  • spiegel.de: Verteidigungsministerium vergab neun Spitzenjobs ohne Ausschreibung
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