In den vergangenen Monaten scheint der Konflikt zwischen China und Taiwan eine neue Eskalationsstufe erreicht zu haben. Die Ursache der Auseinandersetzung liegt in den 1940er-Jahren – und ist noch immer brandaktuell.
Das Staatsgebiet Taiwans ist ungefähr so groß wie Baden-Württemberg, die Bevölkerung ist ungefähr doppelt so groß. Das sind im Vergleich mit der knapp 1,4 Milliarden Einwohner zählenden Volksrepublik zwar sehr wenige, trotzdem besteht um das Existenzrecht Taiwans ein Konflikt, der bis in die 1940er-Jahre zurückreicht und das Potenzial hat, eine internationale Krise hervorzurufen.
In den vergangenen Monaten kam es nämlich immer wieder zu Säbelrasseln zwischen Peking und der Regierung in Taipeh. Der neu gewählte Präsident Taiwans, Lai Ching-te, hatte gedroht, offiziell die Unabhängigkeit der Inselrepublik zu erklären, woraufhin die Volksrepublik mit einer Kriegserklärung reagieren wollte. Eine solche Invasion hätte weitreichende Konsequenzen, denn bei einem daraus resultierenden Krieg wären auch die USA involviert, die auf dem Eiland Soldaten stationiert haben. Ein bewaffneter Konflikt zwischen zwei Atommächten wäre die Folge.
Wie kam es zu diesem Konflikt und was sind die Hintergründe? Um die Ursachen zu verstehen, ist es wichtig, die Geschichte Taiwans und der Volksrepublik China nachzuvollziehen.
China-Taiwan: Die Anfänge des Konflikts
Einen wirklichen Moment X, an dem dieser begonnen habe, gibt es laut dem Sinologen Henning Klöter von der Humboldt-Universität Berlin nicht. "Es ist historisch eigentlich ein Konflikt zwischen zwei Parteien, der Kommunistischen Partei Chinas und der Kuomintang", sagt Klöter unserer Redaktion. Die Nationalisten (Kuomintang) gründeten sich bereits 1912, als die Republik China aus dem chinesischen Kaiserreich hervorging.
Die Kommunistische Partei Chinas wurde 1921 gegründet und massiv von der Sowjetunion unter Josef Stalin unterstützt. Als das Land ab Mitte der 1920er-Jahre aufgrund innenpolitischer Differenzen zerfiel und es zu einem blutigen Bürgerkrieg kam, kämpften die von der Sowjetunion unterstützten Kommunisten unter Mao Zedong gegen die Kuomintang unter Chiang Kai-shek.
Invasion Japans beendet den Bürgerkrieg – zeitweilig
Dieser Chinesische Bürgerkrieg wurde unterbrochen vom Angriff Japans auf China und dem Zweiten Weltkrieg. Die Kommunisten und die Kuomintang schlossen sich zu einer nationalen Einheitsfront zusammen, um sich gegen den Aggressor zu verteidigen. Dabei wurden sie zunächst von der Sowjetunion und später von den USA mit Waffenlieferungen unterstützt.
Die Kommunisten waren sich allerdings bewusst, dass nach dem Ende des Krieges gegen Japan ein erneuter Machtkampf mit der Kuomintang drohen würde. Also hielten sie ihre Waffen und fähigsten Männer zurück, um den Nationalisten den Kampf gegen die besser ausgerüsteten Japaner zu überlassen. Als Japan 1945 nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki schließlich kapitulierte, entbrannte der Bürgerkrieg von neuem. Die Kommunisten behielten die Oberhand und die Nationalisten mussten sich schließlich 1949 vollständig auf die Insel Taiwan zurückziehen.
Die Nationalisten hatten bis 1945 kaum Interesse an Taiwan gezeigt
Dabei war die Wahl des Exils keineswegs zwangsläufig: "Die Partei hatte bis 1945 herzlich wenig Interesse an Taiwan", erläutert China-Experte Klöter. Taiwan war ab 1895 von Japan besetzt und erst nach der Kapitulation 1945 wieder an China übergeben worden. Die Kuomintang unter Chiang Kai-shek hatten also keinerlei Bezug zur Bevölkerung der Insel.
Der Rückzug auf die Insel verlief schrittweise ab 1945. Vor Ort errichteten die Nationalisten eine Militärdiktatur, die die lokale Bevölkerung mit Rückgriff auf das Kriegsrecht unterdrückte. Zehntausende wurden verhaftet und etwa 10.000 bis 30.000 Menschen getötet. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Geschichte Taiwans während des "Weißen Terrors" bis heute nicht aufgearbeitet ist. Ab 1980 entwickelte sich Taiwan dann zu einer Demokratie nach westlichem Verständnis und ist heute eine semipräsidentielle Republik.
Konflikt um offizielle Bezeichnung Taiwans
Die Kommunistische Partei Chinas, die seit 1949 das Festland kontrolliert, wird seit den 1970er-Jahren von zahlreichen westlichen Ländern wie den USA und Deutschland als offizieller Vertreter Chinas anerkannt. Seit 1971 ist die Volksrepublik China bei den Vereinten Nationen vertreten anstelle von Taiwan, das zu den Gründungsmitgliedern der Organisation gehörte. Taiwan hingegen wird weder von Deutschland noch von den allermeisten anderen Ländern der Welt als offizielles Land anerkannt, da dies einen Bruch der diplomatischen Beziehungen mit China bedeuten würde.
"Das Kommunistische China sieht sich nach Aufnahme in die Vereinten Nationen als Rechtsnachfolger der Republik China und damit als Rechtsnachfolger des Kaiserreichs", sagt Henning Klöter. Damit verbunden ist der Anspruch, dass auch Taiwan letztlich Teil der Volksrepublik werden solle: "Die offizielle chinesische Rhetorik besagt, dass Taiwan offiziell zu China gehört. China strebt eine 'Vereinigung' in den kommenden Jahren und möglicherweise spätestens bis 2049 an." Zwar war Taiwan nie Teil der Volksrepublik oder der Republik China, allerdings bis 1895 Teil des Kaiserreichs. Mit der Rechtsnachfolge des Kaiserreichs bestehe also ein Anspruch Pekings auf das Eiland.
Taiwan sieht sich selbst als Republik China
Dem gegenüber steht das Selbstverständnis der Regierung in Taipeh: "Taiwan sieht sich selbst als Republik China. Die Fortsetzung dieses Labels nimmt die Volksrepublik China aktuell hin." Allerdings nur unter der Prämisse, dass es keine weiteren Schritte in Richtung einer offiziellen Unabhängigkeitserklärung inklusive offizieller Staatsgründung gebe. "Sollte die taiwanesische Regierung sich eine neue Verfassung unter dem Namen Taiwan geben, wäre das ein Kriegsfall für das kommunistische China."
Aus diesem Grund unterhält Taiwan auch keine offizielle Botschaft in Deutschland, sondern bezeichnet die eigene Vertretung als "Taipei Representative Office Berlin".
Über den Gesprächspartner
- Henning Klöter ist Sinologe und Linguist. Er ist seit 2015 Professor für Neuere Sprachen und Literaturen Chinas an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Henning Klöter
- swr.de: "Taiwans schwierige Geschichte – Von der Diktatur zur Demokratie"
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