Seit Jahren streiten Polen und Deutschland über Entschädigungen für die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Nun kommt Bewegung in die bislang verfahrenen Verhandlungen. Nach Angaben von Polens Ministerpräsident sollen schon in einigen Monaten Gelder fließen.

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Überlebende Opfer der deutschen Besatzung in Polen während des Zweiten Weltkriegs sollen von der Bundesregierung in Kürze Hilfe erhalten. Das ist eines der Hauptergebnisse der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen, die nach einer mehrjährigen Pause in Warschau stattfanden.

Inmitten der Haushaltsverhandlungen war Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dafür in Begleitung von zwölf Bundes- und Staatsministern nach Polen gereist. Das Treffen markiert einen Neustart in den schwierigen Beziehungen zwischen beiden Ländern.

"Deutschland weiß um die Schwere seiner Schuld, um seine Verantwortung für die Millionen Opfer der deutschen Besatzung, und um den Auftrag, der daraus erwächst", sagte Scholz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem polnischen Regierungschef Donald Tusk. Deutschland stehe zu seiner historischen Verantwortung ohne Wenn und Aber.

Nach Angaben von Tusk soll die finanzielle Unterstützung bereits in wenigen Monaten fließen.

Antideutsche Tönen zerrütteten Verhältnis zu Polen

"Die Situation älterer Opfer ist eine, die uns sehr bewegt, und da werden wir auch Aktivitäten unternehmen," betonte der Bundeskanzler. Scholz sagte aber nicht, wann und wie viel Entschädigung den etwa 40.000 noch lebenden Opfern der deutschen Besatzung Polens gezahlt werden soll.

In den vergangenen Jahren hatte die nationalkonservative PiS-Regierung, die Polen von 2015 bis 2023 führte, das Verhältnis zu Berlin mit antideutschen Tönen und Reparationsforderungen in Höhe von 1,3 Billionen Euro zerrüttet.

Seit November 2018 gab es daher auch keine Regierungskonsultationen mehr. Im Dezember wurde die PiS-Regierung durch ein Mitte-Links-Bündnis unter Tusk abgelöst. Seitdem hat sich das Klima verbessert.

Tusk: Gesten sind in der Politik auch wichtig

Tusk bezeichnete die Ankündigung des Bundeskanzlers als Schritt in die richtige Richtung. "Es gibt keinen Geldbetrag, der all das ausgleichen würde, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist", sagte er. Im formalen und rechtlichen Sinne sei die Frage der Reparationen abgeschlossen, dies hätten in der Vergangenheit auch polnische Regierungen so gesehen.

Trotzdem könne die von der Bundesregierung versprochene Hilfe für die Opfer der Besatzung einer neuen Öffnung in den deutsch-polnischen Beziehungen dienen. "Denn gute Gesten sind in der Politik auch sehr wichtig", sagte Tusk.

Deutschland und Polen wollen Zusammenarbeit ausbauen

Neben den Hilfen für die Opfer der Nazis wollen Deutschland und Polen ihre Zusammenarbeit mit einem Aktionsplan auf eine neue Grundlage stellen. In dem 40-seitigen Papier hielten die beiden Seiten etwa fest, dass im Dienste der Aussöhnung ein Deutsch-Polnisches Haus in Berlin gebaut werden sollt.

Es soll an die komplizierte deutsch-polnische Geschichte und die brutale deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) erinnern und einen Ort des Gedenkens für die polnischen Opfer schaffen. Beide Seiten legen Wert auf eine schnellstmögliche Fertigstellung dieses Baus.

Noch stärkerer Einsatz für die Ukraine geplant

Viel Platz räumt der Aktionsplan dem Thema Verteidigung ein. Verantwortung für die Vergangenheit bedeute auch Verantwortung für die gemeinsame Zukunft, sagte Scholz weiter. "Die Sicherheit Polens ist auch Deutschlands Sicherheit". Die Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung solle gezielt ausgebaut werden. Man stehe gemeinsam fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer.

Das EU- und Nato-Mitglied Polen ist einer der engagiertesten politischen und militärischen Unterstützer der von Russland angegriffenen Ukraine. Zudem hat das Land, das außer an die Ukraine auch noch an Belarus und die russische Exklave Kaliningrad grenzt, als Frontstaat neue Bedeutung erhalten.

In dem Papier heißt es nun: "Wir werden die Interoperabilität und Standardisierung unserer Verteidigungskapazitäten verstärken, Produktionskapazitäten erhöhen und Investitionen unserer Verteidigungsindustrie fördern."

Initiativen bei Panzern und Munition

Konkret ist davon die Rede, im Bereich Panzer und Munition gemeinsame Initiativen zu entwickeln. Dabei geht es auch um eine erhöhte Verfügbarkeit von Ersatzteilen für Leopard-Kampfpanzer, die beide Länder an die Ukraine geliefert haben.

Außerdem wollen Polen und Deutschland ihre "Bemühungen zur Schaffung einer stärkeren und leistungsfähigeren europäischen Säule in der Nato", die wesentlich zum Abschreckungspotenzial des Bündnisses beitrage, aufeinander abstimmen, heißt es weiter. Polen erwägt zudem, sich an der von Deutschland koordinierten Initiative "European Sky Shield" zu einer europäischen Luftverteidigung zu beteiligen.

Polens Regierungschef betonte, angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zähle für ihn derzeit vor allem das deutsche Engagement für Sicherheit in Europa. "Für mich ist wichtig, dass Deutschland bereit ist zu einer sehr viel größeren Verantwortung für die Sicherheit des Kontinents, dafür, dass es bei uns in Europa keinen Krieg geben wird." (dpa/thp)

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