- Frank-Walter Steinmeier ist zum zweiten Mal zum Bundespräsidenten gewählt worden. Er erhielt 1.045 von 1.425 gültigen Stimmen.
- In seiner Antrittsrede wählt er deutliche Worte in Richtung Russland.
- Eindrücke von einer ungewöhnlichen Wahl in Zeiten der Pandemie.
Der Applaus kommt aus der Ferne und aus der Höhe. Auch in den Sitzungssälen klatschen Menschen, die
Er sei überparteilich, versichert Steinmeier in seiner Antrittsrede. Aber neutral will er nicht sein - zumindest nicht, wenn es um die Zukunft von Staat und Gesellschaft geht: "Wer für die Demokratie streitet, der hat mich auf seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben", sagt er.
Klare Worte wählt er auch zum Ukraine-Konflikt: "Wir sind inmitten der Gefahr eines Krieges in Osteuropa. Und dafür trägt Russland die Verantwortung." In Richtung des russischen Präsidenten Wladimir Putin schickt er hinter: "Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie!"
Macht liegt in der Kraft des Wortes
Protokollarisch hat der Bundespräsident das höchste Amt im Staat inne, seine Macht ist jedoch überschaubar. In Zeiten unklarer parlamentarischer Mehrheiten kann es durchaus auf ihn ankommen – so wie im Winter 2017/2018, als Frank-Walter Steinmeier die zögernde SPD sanft zur Neuauflage der Großen Koalition drängte.
Ansonsten bleibt ihm vor allem die Kraft der Worte. Der Bundespräsident kann reden, mahnen, appellieren – und damit im besten Fall die Gesellschaft leiten und zusammenführen.
Karla Spagerer: Mit 92 das älteste Mitglied der Bundesversammlung
Genau das sei dem alten und neuen Bundespräsidenten bisher hervorragend gelungen, findet Karla Spagerer. "Der Frank-Walter ist ruhig und sympathisch, aber trotzdem bestimmend." Die Mannheimerin ist mit 92 Jahren das älteste Mitglied der 17. Bundesversammlung. Sie musste miterleben, wie ihre Großmutter von der Gestapo abgeführt wurde, auch an die Reichspogromnacht 1938 kann sie sich noch genau erinnern.
Heute berichtet Spagerer als Zeitzeugin in Schulen vom Schrecken des Nationalsozialismus. "Ich hatte eine verlorene Kindheit. Ich möchte nicht, dass Kinder so etwas noch einmal erleben müssen." Um die Zukunft der Demokratie macht sie sich eigentlich keine Sorgen, sagt sie. Wegen des wieder aufkeimenden Antisemitismus schon. "Ich werde dagegen kämpfen bis zuletzt."
Nun wählte Karla Spagerer den Bundespräsidenten mit, auf Einladung der baden-württembergischen SPD. Für sie sei das eine große Ehre, erzählt sie im Gespräch mit unserer Redaktion am Samstagnachmittag im Reichstag. "Als ich davon gehört habe, war ich sprachlos – und das passiert selten."
Hansi Flick, Leon Goretzka, Christian Drosten: Auch Prominente haben mitgewählt
Die Bundesversammlung zählt diesmal 1472 Mitglieder. Zur Hälfte besteht das Gremium aus allen 736 Mitgliedern des Bundestages. Die anderen 736 Wahlleute wurden von den 16 Landesparlamenten nach Berlin geschickt. Nicht alle von ihnen sind Politikerinnen und Politiker – die Parteien nutzen den Termin auch, um Prominente in die Bundesversammlung einzuladen. Diese müssen nicht zwingend Parteimitglieder sein, haben aber häufig eine gewisse Nähe erkennen lassen.
So sitzt zum Beispiel der Virologe
Die Schauspielerin Fritzi Haberlandt darf für die Brandenburger Grünen mitwählen. "Spitze", findet sie das, erzählt sie vor der Sitzung. "Für mich ist das ein Stück Demokratie-Teilhabe." Und wie fände sie es, wenn alle Deutschen ihren Präsidenten oder ihre Präsidentin wählen dürften? "Gut!"
Auf fünf Etagen verteilt im Paul-Löbe-Haus
Die 17. Auflage ist keine Bundesversammlung wie jede andere – das ist schon am Ort abzulesen. Da der aktuelle Bundestag der größte aller Zeiten ist, ist auch die Bundesversammlung größer als je zuvor. Um pandemietaugliche Abstände einzuhalten, wäre der Reichstag zu klein. Deswegen hat die Bundestagsverwaltung das benachbarte Paul-Löbe-Haus zum Plenarsaal erklärt.
Das Büro- und Sitzungssaalgebäude hat die Maße einer Bahnhofshalle: 200 Meter lang, 102 Meter breit, 23 Meter hoch. Auf fünf Stockwerken sind die 1472 Stühle verteilt. Rein darf nur, wer einen negativen Corona-Test vorweisen konnte. Journalistinnen und Journalisten können die Sitzung nur per Videoübertragung im benachbarten Reichstag verfolgen.
Das ist vielleicht alles etwas umständlich – aber auch ein Akt demokratischer Verlässlichkeit in einer Zeit der Krisen, in der die Welt ein bisschen aus den Fugen geraten scheint. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zählt es in ihrer Rede vor der Wahl auf: Pandemie, ein drohender Krieg in Osteuropa, Inflation, die Jahrhundertaufgaben Klimawandel und Migration. "Natürlich kann ich nicht den Ausweg aus all diesen Krisen weisen", sagt sie – und wirbt doch für Optimismus. "Sie alle dürfen aber erwarten, dass ich Ihnen Mut mache – und das mache ich aus voller Überzeugung."
Achtungsergebnis für Gerhard Trabert und Stefanie Gebauer
Dass Steinmeier klar gewählt wird, ist keine Überraschung. Da nicht nur SPD, Grüne und FDP, sondern auch CDU und CSU dem Amtsinhaber zuvor ihre Unterstützung versichert hatten, stand die Wiederwahl von Steinmeier praktisch schon fest.
Dennoch zeigt sich beim genauen Blick aufs Ergebnis Unerwartetes: 1045 von 1425 gültigen Stimmen hat Steinmeier bekommen, also weniger als die 1223 Wahlleute der fünf Parteien, die ihn unterstützt haben.
Der Sozialmediziner Gerhard Trabert ist für die Linke ins Rennen gegangen und trägt eine rote Krawatte mit der Aufschrift "Leave No One Behind", dem Motto für Solidarität mit Geflüchteten im Lager Moria. Trabert erzielt ein Achtungsergebnis, bekommt 96 Stimmen und damit 25 mehr als die Linke Sitze hat.
Auch die Astrophysikerin und Brandenburger Kommunalpolitikerin Stefanie Gebauer, Kandidatin der Freien Wähler, sorgt für eine kleine Überraschung: Auf sie entfallen 58 Stimmen. Dabei stellte ihre Partei im Gremium nur 18 Wahlleute. Max Otte – CDU-Mitglied, an diesem Tag aber Kandidat der AfD – bekommt 140 Stimmen und damit ein Dutzend weniger, als die AfD Mitglieder in die Bundesversammlung entsendet hatte.
Mehr Sichtbarkeit und eine große Rede – Erwartungen an Steinmeiers zweite Amtszeit
Klare Mehrheit ist klare Mehrheit – und so bricht für Bundespräsident Steinmeier nun seine zweite Amtszeit an. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori ist insgesamt zufrieden mit der ersten: Der Bundespräsident habe der Gesellschaft eine Klammer und Orientierung gegeben, findet die 34-Jährige. "Vielleicht muss das Amt aber noch stärker in den digitalen Raum wirken", sagt sie. Vielen jungen Menschen sei die Rolle des Bundespräsidenten – oder potenziell auch einer Bundespräsidentin – wenig bekannt. "Da ist noch Luft nach oben."
Die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) erwartet von Steinmeier in seiner zweiten Amtszeit einerseits weiterhin Überparteilichkeit. Andererseits aber auch Sichtbarkeit. "Ich wünsche mir, dass er zu Themen, die virulent sind, deutlich Stellung bezieht", sagt sie kurz vor der Wahl im Gespräch mit unserer Redaktion. "In der Corona-Krise hat er das gemacht. Er könnte das aber auch noch stärker zur Haltung gegenüber Russland machen."
Es liege ihm fern, Forderungen an "FWS" zu stellen, meint hingegen der Musiker
Oder gleich seine Antrittsrede? Steinmeier wird darin am Nachmittag jedenfalls deutlich. "Mögen die Autoritären doch ihre Eispaläste und Golf-Ressorts bauen, nichts davon ist stärker und leuchtet heller als die Idee der Freiheit und Demokratie in den Köpfen und Herzen der Menschen."
Es lässt sich ahnen: In seiner zweiten Amtszeit wird Deutschland einen selbstbewussten Bundespräsidenten erleben.
Verwendete Quellen:
- Besuch der Bundesversammlung
- Bundestag.de: Von den Landesparlamenten entsandte Mitglieder der Bundesversammlung, die nicht einem Landesparlament angehören
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