Bundesinnenministerin Nancy Faeser will Ministerpräsidentin in Hessen werden. Als SPD-Spitzenkandidatin soll sie jetzt in den Wahlkampf starten. Ihr Berliner Amt will sie aber nur aufgeben, wenn sie tatsächlich in die Wiesbadener Staatskanzlei einziehen sollte. Das erinnert fatal an den blamablen Vollkaskowahlkampf von Norbert Röttgen 2012. Sofort wittern Medien erste Skandale.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Ich bin die erste Frau an der Spitze des Bundesinnenministeriums – und ich möchte die erste Ministerpräsidentin in Hessen sein", so kündigt Nancy Faeser ihren Karriereplan für 2023 an. Die Innenministerin sieht sich von ihren SPD-Parteifreunden in Hessen seit Wochen bedrängt, als Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl im Oktober anzutreten. Faeser könnte bei einem Wahlsieg das Bundesland nach mehr als 20 Jahren Opposition wieder in SPD-Hand zurückholen.

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In Hessen kennt Faeser sich aus - 18 Jahre saß sie in Wiesbaden im Landtag. Sie war Oppositionsführerin und von 2014 bis 2019 auch Generalsekretärin der Hessen-SPD, 2019 übernahm sie dann Landesverband und Fraktion. Beim Parteitag in Marburg Anfang Mai letzten Jahres wurde sie mit 94,3 Prozent als Parteichefin bestätigt. "Mein Herz ist in Hessen", rief sie, und viele nahmen das als Startsignal für ihren Wechsel auf.

Nancy Faeser mit gewagter Doppelrolle

Nun aber wechselt Faeser mitnichten dorthin, wo ihr Herz vermeintlich ist. Sie will ihre Machtposition in Berlin nicht aufgeben und das Amt als Bundesinnenministerin weiterführen – im Wahlkampf und auch im Fall einer Niederlage im Oktober in Hessen. Das ist ein ziemlich gewagter Spagat, sagen die einen. Es ist ein katastrophaler Fehler, unken die anderen.

Denn Faeser setzt sich damit schlagartig der Kritik aus, sie betreibe das wichtige Ministeramt in Berlin nurmehr in Teilzeit. Der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm wirft Faeser schon vor, das Bundesinnenministerium fortan als Plattform zu nutzen – um sich bekannter zu machen für die Kandidatur in Hessen. Der CDU-Mann fordert Faeser zum Rücktritt auf. Die Herausforderungen seien zu groß für eine "Teilzeitministerin".

Auch der eigene Koalitionspartner sieht das so. Der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich rät Faeser ebenfalls ab, zwei Aufgaben gleichzeitig zu übernehmen. Das sei fast nicht zu schaffen. "Es braucht eine Innenministerin, die die Aufgaben beherzt angeht und Entscheidungen nicht aus dem Wahlkampfmobil heraus trifft." Als Aufgaben nennt Emmerich: die Reform der Sicherheitsbehörden, die Stärkung des Bevölkerungsschutzes, die Folgen des Krieges in der Ukraine und die Situation der Flüchtlinge hier.

Faesers Bilanz als Ministerin ist bislang recht gemischt. Die spannungsgeladene Flüchtlingslage wird ihr ebenso kritisch angekreidet wie die peinliche Symbolpolitik mit der One-Love-Binde zur Fußball-WM in Katar.

Erinnerungen an Wahlkampf von Norbert Röttgen

In Hessen wiederum entsteht der Eindruck, dass sich hier eine Ministerin aus dem fernen Berlin nur halbherzig zur Wahl stellt und ihrem eigenen Sieg nicht wirklich traut. Das Rückfahrticket bleibt gültig, und so wird es als eine Vollkaskobewerbung betrachtet. Das kommt normalerweise beim Wahlvolk vor Ort nicht gut.

Klassisches Beispiel dafür war der Wahlkampf von Norbert Röttgen (CDU), der 2012 ebenfalls Ministerpräsident werden wollten (in NRW), sich zugleich aber an sein Amt als Bundesumweltminister klammerte. Röttgen bekam für diese Halbherzigkeit nicht nur die Quittung einer Wahlniederlage, am Ende verlor er auch das Ministeramt.

Dass Faeser den Fehler Röntgens sehenden Auges wiederholt, wird dadurch erklärbar, dass ihre Siegchancen in Hessen nicht sehr hoch sind, vor allem da die CDU mit Boris Rhein einen jungen Ministerpräsidenten mit guten Zustimmungswerten rechtzeitig ins Amt gebracht hat und der seit Monaten Punkte sammelt. Auch Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir von den Grünen ist eine richtig populäre Konkurrenz.

Nach einer Infratest-Umfrage liegt die CDU in Hessen derzeit mit 27 Prozent klar vorne - die SPD dümpelt mit 22 Prozent nur gleichauf mit den Grünen. Für Faeser wird es also ungemütlich - auch weil sie ab sofort von der Öffentlichkeit und den Medien kritischer beäugt wird. So hat gleich am Tag ihrer Ankündigung die Bild-Zeitung eine heikle Recherche publiziert.

Faesers Vermieter arbeitet für sie

Demnach habe Faeser Berufliches und Privates vermischt. Die Bild-Zeitung wähnt gar "Genossen-Filz". So wohne Faeser als Mieterin in der Wohnung ihres eigenen Parteifreundes und Mitarbeiters. Dabei handelt es sich um Martin von Simson (SPD), der als Leiter der Zentralabteilung ihres Ministeriums arbeitet. Simson erhielt laut "Bild" bei ihrem Amtsantritt eine Sprungbeförderung. Der Zeitung zufolge stieg sein Gehalt um 3.505 Euro auf 12.425 Euro monatlich.

Zudem soll Faesers Wohnung vor ihrem Einzug umgebaut worden sein. Türen und Fenster seien für 50.000 Euro Steuergeld "ertüchtigt" worden, so die "Bild", um den Sicherheitsstandards für die Innenministerin zu entsprechen. Die Geschichte ist für Faeser zum Wahlkampfauftakt denkbar heikel. Würde sie ihr Ministeramt niederlegen und für den Wahlkampf nach Wiesbaden zurückziehen, hätte sie zumindest dieses Berliner Immobilienproblem nicht mehr.

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