Auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz verabschieden die Grünen in Berlin ihr Wahlprogramm. Der Anschlag in Aschaffenburg lässt auch die Ökos nicht kalt – ebenso wie aus ihrer Sicht populistische Lösungen, die gerade in Sachen innere Sicherheit und Asyl gefunden werden. Über eines sprach man aber lieber nicht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Berlin startet mit einer Schweigeminute für die Opfer in Aschaffenburg. 549 Delegierte und zahlreiche Gäste – still.

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Der Messerangriff, bei dem ein Kind und ein Mann gestorben sind und weitere Menschen verletzt wurden, könnte den Wahlkampf noch einmal drehen. Die Antwort der Grünen darauf: Zusammenhalt, scharfe Analyse und das Eintreten gegen populistische Lösungen.

Grüne setzen auf Personenkult

Die Ökopartei ist motiviert. Sie seien so viele wie niemals zuvor, meint die politische Geschäftsführerin Pegah Edalitan. Seit dem Aus der Ampel hat die Partei einen Mitgliederschub erfahren. Mehr als 20.000 waren es Ende Dezember.

Bezahlbarkeit, Zusammenhalt, Investitionen in die Zukunft. Das sind die Themen, die sich die Grünen in diesem Wahlkampf groß auf ihre Fahnen schreiben. Am Ende wird das Wahlprogramm der Ökos mit großer Mehrheit beschlossen.

Dabei setzen sie allen voran auf ihren Kanzlerkandidaten, der das K-Wort zunächst nicht in den Mund nehmen wollte und jetzt selbstbewusst damit hausieren geht. Ein Personenkult um den Vizekanzler, der in den vergangenen Wochen verschiedene Küchentische der Republik besucht und sein Konterfei auf Wahrzeichen deutscher Städte hat projizieren lassen.

Es sei ein großes Privileg, dass dieser Wahlkampf so sehr mit seinem Namen verknüpft ist, sagt der Frontmann der Grünen in seiner Rede. Auch im City Cube in Berlin, in dem der Parteitag stattfindet, stehen Aufsteller herum: "Komm ins Team Habeck." Robert solls richten.

Klare Worte nach Mord in Aschaffenburg

Habeck spricht vom Mord in Aschaffenburg, von Magdeburg, Solingen und Mannheim. All das dürfe nicht ohne Folgen bleiben. Was es nun brauche, sei eine harte Analyse, wie es zu der Tat kommen konnte. Ob sie hätte verhindert werden können. Es gehe um die Frage, wie mutmaßliche Straftäter identifiziert, kontrolliert und womöglich weggesperrt oder abgeschoben werden könnten. Die Sicherheit in Deutschland müsse verbessert werden.

Klare Töne für den Kanzlerkandidaten einer Partei, die immer wieder gegen jegliche Asylverschärfungen rebelliert. Habeck stellt aber auch klar, dass zur Verantwortung der Grünen und der demokratischen Mitte zudem gehört, gegen schnelle populistische Lösungen aufzustehen.

Die Euphorie, die die Ökos bereits bei ihrer regulären Delegiertenkonferenz im vergangenen November an den Tag gelegt haben, sie ist trotz aller Turbulenzen der vergangenen Wochen wohl kaum verpufft. Sie jubeln ihrem Kanzlerkandidaten zu, während dieser von einer Richtungswahl spricht.

Habeck warnt

Habeck warnt davor, dass sich die Union an Österreich ein Beispiel nehmen könnte: "Mitte ist nicht 'Friss oder stirb'. Ist nicht, entweder stimmt ihr zu, oder wir stimmen mit Rechtsradikalen." Die Angst vor einem möglichen Rechtsruck, sie bestimmt die Parteitage der progressiv-linken Parteien in Deutschland dieser Tage. Auch SPD und Linke hatten auf ihren Parteitagen in den vergangenen Wochen ihre Sorge davor immer wieder angesprochen.

Der Richtungskampf, den die Grünen auf ihrem Parteitag aufmachen, ist Zukunft gegen Vergangenheit. Demokratie gegen Populismus. Zusammenhalt gegen Hass. Habeck schreit das Wahlkampfmotto der Partei von der Bühne: "Die stärkste Kraft ist Zuversicht." Davon haben die Grünen dem Applaus und den Standing Ovations zufolge eine ganze Menge – und das, obwohl die Absolutismen der Rede ihres Kanzlerkandidaten düstere Zukunftsszenarien gezeichnet haben. Zumindest dann, wenn die Grünen nicht so stark abschneiden wie gewünscht, so geht zumindest die Erzählung.

Gleich mehrere Fallstricke im Grünen-Wahlkampf

In den Umfragen schneiden die Grünen aktuell mäßig ab. Zwischen 12 Prozent und 15 Prozent stehen sie. 2021 sahen die Umfragen besser aus, zwischen 14 Prozent und 20 Prozent lag die Zustimmung zu den Grünen damals in den Wochen vor der Wahl. Am Ende reichte es für gerade einmal 14,9 Prozent.

Schon im Wahlkampf 2021 flog der Partei ihre eigene Fahrlässigkeit um die Ohren. Ein aufgehübschter Lebenslauf von und Plagiatsvorwürfe gegen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock.

Auch für den Wahlkampf von Habeck spannen sich gleich mehrere Fallstricke: Da sind die Grünen selbst und ihre Spitze. Gerade erst sorgte Habeck mit einer unausgereiften Idee zur Finanzierung der Sozialversicherungen für Kritik. Dabei geht es darum, dass auch Kapitalerträge sozialversicherungspflichtig sein sollten. Wie genau das funktionieren und wer dazu verpflichtet werden sollte, diese Antworten bleibt die Partei schuldig.

Da ist Jette Nietzard, die Sprecherin der Partei-Nachwuchsorganisation Grüne Jugend. Immer wieder fällt sie mit Äußerungen auf, die vielen sauer aufstoßen, während sie sie selbst unter dem Schlagwort Feminismus verbucht. So etwa ein X-Post zu Böller-Opfern an Silvester, die nun ohne Finger und Hände wohl seltener Frauen schlagen würden. Oder ihre Aussage zum Fall Gelbhaar, in dem sie sich klar auf die Seite der mutmaßlich betroffenen Frauen stellt – während aus ihrer Sicht keine Unschuldsvermutung innerhalb der Partei gelten sollte.

Lautes Schweigen im Fall Gelbhaar

Fallstrick Nummer drei: Der Fall Gelbhaar selbst, wird doch darüber spekuliert, Habecks Wahlkampfmanager Andreas Audretsch könne in diese mutmaßliche Intrige verwickelt sein. Es geht um Anschuldigungen der sexuellen Belästigung und möglichen Meineid.

Laut Informationen der "Bild" soll Gelbhaar Vertrauten des Wahlkampfmanagers in internen Unterlagen sogar eine "Schmutzkampagne" vorwerfen. Dazu kommt, dass Audretsch mit seinem Listenplatz vom Rückzug Gelbhaars profitiert hat. Die Zeitung berichtet von Beweisen, die Gelbhaar dafür habe. Für einige dürfte mit Blick auf den Wahltag der Eindruck bleiben: Da läuft etwas nicht rund.

Auf dem Parteitag ist der Fall Gelbhaar auffällig kein Thema. Ein Mäntelchen des Schweigens liegt über dem Skandal. Stattdessen arbeiten sich die Ökos an Friedrich Merz ab. An dem potenziellen Demokratieverfall, den sie ihm und seiner Partei attestieren. An der von ihnen ausgemachten bröckelnden Brandmauer gegenüber der AfD.

Bundestags-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge wirft Merz Mutlosigkeit vor, keine Visionen für die Zukunft. Klassischer Wahlkampf-Duktus und doch wirkt es zeitweise wie ein Versuch, mit der Brandmauer-Debatte eigene Unzulänglichkeiten zu kaschieren.

Verwendete Quellen

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