Schlüsselposten im Kabinett und sozialdemokratische Herzensthemen im Koalitionsvertrag: Die SPD drückt trotz herber Verluste bei der Bundestagswahl der GroKo ihren Stempel auf. Ein Triumph für Parteichef Martin Schulz, der dennoch das Votum seiner Genossen fürchten muss.

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Ein Jahr nach seiner mit überzogenen Erwartungen verknüpften Nominierung zum SPD-Kanzlerkandidaten vollbringt Martin Schulz doch noch ein kleines Wunder:

Die Sozialdemokraten sind zwar weiter denn je davon entfernt, die Bundesregierung anzuführen. Umso bemerkenswerter aber ist das Ergebnis, das der einst so entschiedene GroKo-Gegner Schulz und seine Mannschaft aus den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU herausgeholt haben.

Die SPD könnte der neuen Bundesregierung ihren Stempel aufdrücken. Und das, nachdem sie im September trotz höherer Wahlbeteiligung 1,7 Millionen Zweitstimmen verloren hatte.

Nun aber sichert sich die SPD drei Schlüsselressorts: Nicht nur ins Außenministerium und dem von der CSU begehrten Ministerium für Arbeit und Soziales zieht ein Sozialdemokrat, sondern auch in das Finanzministerium.

"Die SPD hat durchaus eine Menge durchsetzen können, insbesondere im sozialpolitischen Bereich", sagt der Parteienforscher Lothar Probst. Bei den Themen Bildung, Familie, Wohnen, Rente und Pflege sowie Entlastungen für Geringverdiener hat die SPD genauso Erfolge vorzuweisen wie bei den strengeren Rüstungsexportregeln.

Kompromisse, die nicht wehtun

Die Abschaffung des Kooperationsverbots von Bund und Ländern in der Bildungspolitik hat die SPD gegen die Union ebenso durchgesetzt wie den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern und den Ausbau kostenloser Kita-Angebote.

Gleiches gilt für die zusätzlichen zwei Milliarden Euro für sozialen Wohnungsbau, die Erhöhung des Kindergeldes und die Abgaben-Entlastung für Geringverdiener.

"Das sind alles einzelne Punkte, die durchaus im Interesse der Sozialdemokraten, ihrer Wähler und anderer Menschen liegen", hält Probst fest. Die Haushaltslage hat es Bundeskanzlerin Angela Merkel leicht gemacht, nach dem Platzen der Jamaika-Verhandlungen auf die SPD zuzugehen.

46 Milliarden Euro waren zu verteilen, ohne an der schwarzen Null zu kratzen. "In so einer komfortablen Situation war selten eine Regierung zuvor", sagt Probst.

Am meisten zurückstecken musste die SPD dort, wo es ihrer Basis wenig schmerzt: der Zuwanderung. Auch viele SPD-Wähler wollen eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen.

Probst vermutet daher, dass der SPD-Führung der Kompromiss beim Thema Familienzusammenführung leicht gefallen ist. "Da im Vorfeld der Verhandlungen die Backen aufzublasen, sollte eher einen Teil des linken Parteiflügels beruhigen."

Zumindest aber steht die von der CSU geforderte Obergrenze nicht im Koalitionsvertrag. Das heikle Thema Zuwanderung bleibt einem künftigen Innenminister Horst Seehofer überlassen.

Die Revolution des Gesundheitssystems bleibt aus

Schwerer wiegt ein anderes Versprechen, das Schulz seinen Genossen auf dem Parteitag nach den Sondierungsgesprächen gegeben hatte: Die SPD wollte die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen und anstelle des Systems privater und gesetzlicher Krankenkassen eine Bürgerversicherung durchsetzen.

Das Ergebnis: Befristungen sollen auf eineinhalb Jahre begrenzt und nicht mehr aneinander gereiht werden. Zudem soll eine Kommission Vorschläge für eine reformierte Ärztevergütung erarbeiten. Schulz wird diese Kompromisse seinen Genossen gut verkaufen müssen.

Auch der vom wahrscheinlichen neuen Außenminister Schulz gepriesene Kurswechsel in der Europapolitik ist zumindest auf dem Papier vorerst heiße Luft.

Im Koalitionsvertrag steht nichts von einer Stärkung der EU-Kompetenzen, wie sie Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron vorschwebt. Allerdings könnte ein SPD-Finanzminister den eisernen Sparkurs Wolfgang Schäubles in der Europapolitik aufweichen.

Schwache Umfragewerte helfen Schulz

So ist die neue Kabinettsbesetzung der vielleicht größte Sieg, mit dem die SPD-Führung nach den Koalitionsverhandlungen vor ihrer Parteibasis auftrumpfen kann. Über 463.000 SPD-Mitglieder dürfen abstimmen, ob ihre Partei erneut in die Große Koalition eintreten soll.

Die GroKo-Gegner warnen eindringlich, in vier weiteren Jahren als Merkels Juniorpartner drohe die SPD ihren Status als Volkspartei endgültig zu verlieren.
Allerdings liegen die Sozialdemokraten in Umfragen schon jetzt unter der 20-Prozent-Marke. Die mageren Erfolgsaussichten vorgezogener Neuwahlen dürften daher auch eingefleischten GroKo-Gegnern zu denken geben.

Hinter die AfD zurückzufallen, ist ein realistisches Schreckensszenario geworden. Vor diesem Hintergrund strahlt der von Schulz und seinen Mitstreitern ausgehandelte Koalitionsvertrag in einem umso helleren Licht.

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