Berlin hat in fast einem Fünftel der Wahlbezirke neu gewählt: Ein großer Knall blieb aus, die Direktmandate konnten verteidigt werden. Trotzdem verlieren die Ampel-Parteien an Zustimmung, die FDP muss sogar einen Sitz im Bundestag abgeben. Was das Ergebnis der Wahlwiederholung für die Regierung in Berlin bedeutet, erklärt Politikwissenschaftler Oliver Lembcke.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Bei der Teilwiederholung der Bundestagswahl in einigen Bezirken von Berlin haben die Ampel-Parteien Verluste eingefahren. Vor allem SPD und FDP kamen auf weniger Wählerstimmen als noch 2021, die Grünen konnten ihr Ergebnis fast halten. CDU (17,2 Prozent) und AfD hingegen gewannen an Stimmen dazu. Dabei war das Plus der CDU am deutlichsten: 1,3 Prozentpunkte mehr als vor drei Jahren.

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Die von der Landeswahlleitung veröffentlichten Zahlen bilden bereits das neue vorläufige Endergebnis, enthalten also auch den gültigen Teil der Bundestagswahl von 2021. Betrachtet man nur die Wahlergebnisse in den Bezirken, in denen die Wahl wiederholt wurde, fallen die Verluste von SPD und FDP höher aus.

Kein Wechsel bei den Direktmandaten

Die SPD (22,2 Prozent, minus 1,2 Prozentpunkte) bleibt damit stärkste Kraft vor den Grünen (22 Prozent, minus 0,3). Die Linkspartei (11,5 Prozent, plus 0,1) und sonstige Parteien (9,4 Prozent) erreichten fast dasselbe Ergebnis wie 2021. Die AfD kletterte auf 9,4 Prozent (plus 1,0) und schob sich an der FDP vorbei, die auf 8,1 Prozent sank (minus 0,9).

Die teilweise Wiederholung der Bundestagswahl hat allerdings eine Verkleinerung des Parlaments zur Folge – der Bundestag verkleinert sich auf Kosten der FDP um einen Sitz. Das hängt mit der deutlich gesunkenen Wahlbeteiligung zusammen. Sie lag diesmal nur bei 51 Prozent. Auf ganz Berlin hochgerechnet, sank die Wahlbeteiligung von 75,2 auf 69,5 Prozent.

Ein Wechsel bei den zwölf Direktmandaten blieb jedoch wie erwartet aus. In den umkämpften Wahlkreisen verteidigten Michael Müller (SPD), Stefan Gelbhaar (Grüne), Monika Grütters (CDU) und Kevin Kühnert (SPD) ihre Direktmandate.

Welches Signal an den Bund geht

Fast 550.000 Wahlberechtigte waren am Sonntag in 455 von 2.256 Wahlbezirken dazu aufgerufen, erneut ihre Stimme abzugeben. Grund war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, weil die organisatorischen Pannen bei der Wahl 2021 mandatsrelevant gewesen waren.

Neue Kandidatinnen und Kandidaten hatten die Parteien nicht aufstellen dürfen – der Stimmzettel glich dem von 2021. So kam es, dass auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann kandidierte, die mittlerweile wegen Verdachts der Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft sitzt. Sie kam auf ein Ergebnis von 5,5 Prozent (plus 0,2).

"Die AfD hat trotz Gegenwind ebenfalls zugelegt. Und auch die Linke durfte sich von Sahra Wagenknecht erholen und blieb ungeschoren."

Oliver W. Lembcke, Politikwissenschaftler

Politikwissenschaftler Oliver Lembcke hat die Wiederholung der Bundestagswahl beobachtet. Das Signal, das sie aus seiner Sicht – auch Richtung Bund – sendet: Der "große Knall" sei ausgeblieben, fast alle Parteien könnten zumindest erleichtert sein. Wirklich betroffen seien nur Politiker weit hinten auf der Landesliste und die FDP mit dem Verlust eines Bundestagsmandats.

"Die Regierung hat keine krachende Niederlage einstecken müssen", sagt Lembcke. Die CDU sei etwas gestärkt. "Die AfD hat trotz Gegenwind ebenfalls zugelegt. Und auch die Linke durfte sich von Sahra Wagenknecht erholen und blieb ungeschoren", sagt er.

Die Nachwahl sei jedoch nicht repräsentativ für das ganze Land. "Das zeigt bereits die niedrige Wahlbeteiligung, die bei den anstehenden Wahlen nicht zu erwarten ist", meint der Experte. Jetzt sei es um Stimmen gegangen, nicht nur um Stimmungen. "Dass die Parteien diesen Test ernst nehmen, hat der Wahlkampf gezeigt. Da wurden schon die großen Geschütze aufgefahren: 'Demokratie verteidigen' hier vs. 'Ampel stoppen' dort", so Lembcke.

Reaktionen auf die Ampel-Politik

Die Abweichungen zu den Wahlergebnissen von 2021 hält der Politikwissenschaftler in erster Linie für Reaktionen auf die Ampel-Politik. "Sie wird in Berlin jedoch weit weniger kritisch gesehen als anderswo in der Republik", meint er. Die jetzigen Sitzveränderungen im Bundestag wiederum hätten ihren wesentlichen Grund in dem komplexen Berechnungsverfahren des Wahlsystems. "Das ist für die Wählerschaft leider nahezu undurchschaubar", kritisiert Lembcke.

Auch wenn die Wahlergebnisse denen von 2021 ähneln – die Organisation war aus Sicht des Experten im Vergleich deutlich besser. "Die Organisation der Wahlen in Berlin 2021 war erbärmlich. Diesmal gab es nur kleinere Pannen, die überall passieren können", meint Lembcke. So bilanzierte auch der Landeswahlleiter Stephan Bröchler: "Aus organisatorischer Sicht ist die Wahl gut gelaufen", sagte er im RBB. Die "Fehlleistungen" bei der jetzigen Wahl seien im Bereich des Üblichen geblieben.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Oliver W. Lembcke ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Ruhr-Universität Bochum. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die Herausforderungen der modernen Demokratie, das Verhältnis von Staat, Recht und Unrecht sowie die Geschichte und Wirkung politischer Ideen.
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